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09.03.2023 20:00
Zwerge und Riesen auf Inseln sterben besonders leicht aus
Inseln sind Lebensraum für viele Tierarten mit einzigartigen Eigenschaften, darunter sogenannte Zwerge, die im Vergleich zu ihren Verwandten auf dem Festland eine sehr geringe Größe erreichen, sowie Riesen, die wiederum vergleichsweise groß werden. Forschende fanden nun heraus, dass Arten, deren Körpergröße sich besonders stark von der ihrer Festlandsverwandten unterscheidet, mit größerer Wahrscheinlichkeit aussterben. Ihre Studie, die im Fachmagazin Science veröffentlicht wurde, zeigt außerdem, dass die Aussterberate von Säugetieren auf Inseln weltweit durch die Ankunft des Menschen deutlich angestiegen ist.
Inseln sind Hotspots der Biodiversität. Sie machen zwar weniger als 7 Prozent der Landmasse auf der Erde aus, beherbergen jedoch bis zu 20 Prozent der an Land lebendenden Arten. Doch sie sind auch Hotspots des Artensterbens. Die Hälfte der heute auf der Roten Liste eingetragenen bedrohten Arten sind auf Inseln heimisch.
Als Reaktion auf die einzigartigen Lebensbedingungen auf Inseln durchlaufen viele Lebewesen bemerkenswerte evolutionäre Veränderungen, wobei eine der auffälligsten und extremsten die Körpergröße betrifft. Dieses Phänomen wird als Zwergwuchs oder Gigantismus bezeichnet. Im Allgemeinen fallen Arten, die auf dem Festland große Körpergrößen entwickelt haben, auf Inseln eher kleiner aus und anders herum. Dazu gehören bereits ausgestorbene Arten wie das Zwergmammut oder Flusspferde, die gerade einmal ein Zehntel der Größe ihrer Festlandsvorfahren erreichten. Ebenso gab es Nagetiere, die über Hundertmal größer wurden.
Unter den heute noch lebenden Vertretern finden sich viele vom Aussterben bedrohte Arten wie der Tamarau (Bubalus mindorensis), ein auf der Insel Mindoro heimischer Zwergbüffel mit einer Schulterhöhe von gerade einmal einem Meter, sowie die riesige Jamaika-Ferkelratte (Geocapromys brownie), die die Größe eines Kaninchens erreicht.
Ein Forschungsteam unter Leitung des Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) konnte nun bestätigen, dass die Entwicklung hin zum Zwergwuchs oder Gigantismus oftmals einhergeht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Aussterben. „Die sogenannten Riesen versprechen zum einen als Beutetiere von Jägern potentiell einen größeren Ertrag“, erklärt Erstautor Dr. Roberto Rozzi, ehemals Wissenschaftler bei iDiv’s Synthesezentrum sDiv und am Museum für Naturkunde in Berlin, heute als Kustode für die Geowissenschaftliche Sammlung am Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU tätig. „Zwergarten sind auf der anderen Seite weniger abschreckend und daher attraktiv auch für neu eingeführte Räuber.“
Höheres Aussterberisiko für extreme Zwerge und Riesen
Um zu belegen, wie sich Zwergwuchs oder Gigantismus auf das Risiko auszusterben auswirken (sowohl vor als auch nach der Ankunft des Menschen), griffen die Forschenden auf Daten von 1,200 noch lebenden und 350 bereits ausgestorbenen Säugetierarten von insgesamt 182 Inseln und ehemaligen Inseln (die einst abgeschnitten waren, heute aber zum Festland gehören) auf der ganzen Welt zu.
So kamen sie zu einem ganz neuen Ergebnis: Arten, deren Körpergröße sich besonders extrem von der ihrer Festlandsverwandten unterscheidet, sind auf Inseln mit höherer Wahrscheinlichkeit vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Ein Vergleich zwischen den beiden Extremen – Zwerg oder Riese – zeigte ein etwas höheres Aussterberisiko für Riesenarten auf Inseln. Wurden bereits ausgestorbene Arten jedoch nicht berücksichtigt, war kein Unterschied zu den Zwergarten mehr erkennbar.
Seit der europäischen Expansion auf der ganzen Welt im 15. und 16. Jahrhundert sind Zwerg- und Riesensäugetiere gleichermaßen vom Aussterben betroffen. „Darin zeigen sich vermutlich die Auswirkungen zunehmender vielseitiger menschlicher Einflüsse, wie etwa Übernutzung und der Verlust von Lebensraum, aber auch die Verbreitung neuartiger Krankheiten und invasiver Raubtiere“, sagt Rozzi.
Die Ausbreitung des Menschen deckt sich mit höheren Aussterberaten von Säugetieren
Die Forschenden untersuchten auch fossile Belege zu Säugetieren auf Inseln der letzten 23 Millionen Jahre (Erdneuzeit) und fanden dabei eine klare Korrelation zwischen dem Aussterben von Säugetierarten auf Inseln und der Ausbreitung des modernen Menschen (Homo sapiens). „Wir konnten eine starke Veränderung der Aussterberaten von der Zeit vor dem Menschen bis zu durch den Menschen dominierten Ökosystemen verzeichnen. Bei Säugetieren, die zur gleichen Zeit wie H. sapiens auf Inseln lebten, waren die Aussterberaten mehr als zehnfach erhöht. Diese Ergebnisse auf globaler Ebene schließen aber nicht den Einfluss anderer Umweltfaktoren wie etwa des Klimawandels auf das Aussterben auf Inseln lebender Säugetiere aus“, sagt Letztautor Prof. Jonathan Chase von iDiv und der MLU. „Daher ist es wichtig, noch mehr paläontologische Daten zu sammeln und mehr über das Aussterben vergangener Arten zu erfahren. Gleichzeitig muss aber auch ein besonderes Augenmerk auf dem Schutz der extremsten Zwerge und Riesen liegen, von denen viele bereits vom Aussterben bedroht sind.“
Diese Forschung wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) gefördert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Roberto Rozzi, roberto.rozzi@zns.uni-halle.de
Prof. Dr. Jonathan Chase, jonathan.chase@idiv.de
Originalpublikation:
Roberto Rozzi, Mark V. Lomolino, Alexandra A. E. van der Geer, Daniele Silvestro, S. Kathleen Lyons, Pere Bover, Josep A. Alcover, Ana Benítez-López, Cheng-Hsiu Tsai, Masaki Fujita, Mugino O. Kubo, Janine Ochoa, Matthew E. Scarborough, Samuel T. Turvey, Alexander Zizka, Jonathan M. Chase (2023). Dwarfism and gigantism drive human-mediated extinctions on islands. Science. Doi: 10.1126/science.add8606
Bilder
Illustration von Sardischem Zwergmammut, Sardischem Riesenotter, Hirsch, Sardischem Rothund und Ries …
Peter Schouten
http://studioschouten.com.au/
Kalibasib, der weltweit letzte Tamarau in Gefangenschaft, starb 2020.
Gab Mejia
https://gabmejia.com/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Geschichte / Archäologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch