300.000 Jahre gemeinsame, konfliktreiche Geschichte von Höhlenbär und Mensch in Europa



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21.05.2024 09:46

300.000 Jahre gemeinsame, konfliktreiche Geschichte von Höhlenbär und Mensch in Europa

Der Mensch konkurrierte um Lebensraum – Forscherteam zeigt Wandel der Beziehung bis zum Aussterben des Höhlenbärs vor 24.000 Jahren

Der Mensch zog Höhlenbären ihr Fell bereits vor 320.000 Jahren ab, mit dem Auftreten des Homo sapiens in Europa vor 45.000 Jahren intensivierte sich der Jagddruck auf das Tier, bis Ursus spelaeus schließlich vor 24.000 Jahren ausstarb. Mit 1,70 Meter Schulterhöhe und einer Länge bis zu 3,5 Metern war der Höhlenbär deutlich größer und massiger als sein Verwandter, der Braunbär, der bis heute überlebt hat.

Die konfliktreiche Beziehung zwischen Höhlenbär und Mensch wird nun erstmals über diesen langen Zeitraum in Deutschland von einem Forscherteam der Universität Tübingen, der Universität Göttingen, des Senckenberg Centres for Human Evolution and Palaeoenvironment und der Landesämter für Denkmalpflege Baden-Württemberg und Niedersachsen dokumentiert. Die Forschenden können die lang umstrittene Frage beantworten, ob der Klimawandel oder auch der Mensch Ursache für das Aussterben des Höhlenbärs war. Ihre Studie belegt durch Funde eine immer intensiver werdende Jagd auf den Höhlenbären und legt somit auch den Menschen als Ursache für das Aussterben des Höhlenbären nahe. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Quarternary Science Reviews erschienen.

„Der Mensch machte sich den Höhlenbären auf vielfältige Weise zunutze: er aß sein Fleisch, fertigte Kleidung aus dem Fell, trat auch in eine symbolische Beziehung mit dem Tier über Schmuckstücke aus dessen Zähnen oder Bärenfiguren aus Elfenbein“, sagt Dr. Giulia Toniato, die Koordinatorin des Forscherteams. Die Forschenden untersuchten fünf Fundorte in Deutschland (Schöningen, Einhornhöhle, Hohle Fels, Geißenklösterle, Schafstall), in denen Knochen des Höhlenbären über einen Zeitraum von 300.000 bis 28.000 Jahren vor heute nachweisbar sind, und setzten sie in Beziehung zu bestehenden Studien über Funde von Bärenknochen in Frankreich, Belgien, Italien, Bulgarien und Polen. In Deutschland ist eine der ältesten Nachweise der Nutzung des Höhlenbären durch den Menschen aus der Freilandstation Schöningen in Niedersachsen bekannt: Feine, lange Schnittspuren auf Tatzenknochen, die sich deutlich von Bissspuren großer Raubtiere unterscheiden, lassen eindeutig darauf schließen, dass der Mensch Hand anlegte, um dem Bären das Fell abzuziehen.

Die Funde aus Einhornhöhle, Geißenklösterle und Hohle Fels zeigen, dass die Bärenjagd dann auch bei den Neandertalern eine gelegentliche und gefestigte Praxis war. Mit der Ausbreitung des modernen Menschen in Europa wurden die Bären intensiver genutzt, wie die größere Häufigkeit und Vielfalt modifizierter Bärenreste aus Schafstall II, Geißenklösterle und Hohle Fels belegen. Der Höhlenbär zog sich zum Überwintern in Höhlen zurück, die auch zunehmend von Menschen genutzt wurden. Dadurch konkurrierten die beiden Spezies um denselben Lebensraum. Die Begegnungen häuften sich, wie die Forschenden durch die Auswertung der Fundstätten nachweisen können, und der Mensch machte immer intensiver Jagd auf den Höhlenbären, vorzugsweise während dessen Winterruhe. Ein abgebrochenes Projektil aus Feuerstein in den Brustwirbeln eines Bären aus dem Hohle Fels, zeugt von so einem Überfall. Die Pfeilspitze steckte in einem der ersten Brustwirbel, daraus schließen die Forschenden, dass ein Blattschuss beabsichtigt war. „In dieser Lage konnten die Jäger den Bären nur in seiner Schlafposition vorgefunden haben“, sagt Dr. Susanne Münzel vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen.

Die genetische Vielfalt der Höhlenbären ging bereits vor 50.000 Jahren zurück, als noch Neandertaler durch Europa streiften. Mit dem Einzug des Homo sapiens erhöhte sich die Konkurrenz um den Lebensraum Höhle und gleichzeitig der Jagddruck. Die jüngsten Funde von Höhlenbärenknochen sind 24.000 Jahre alt und wurden in Norditalien entdeckt. Danach verliert sich seine Spur.

„Höhlenbären haben also die Zeit der Maximalvereisung vor 20.000 Jahren nicht überlebt, Braunbären dagegen schon. Der Grund ist die unterschiedliche Ernährung der beiden Bärenarten, denn Höhlenbären haben sich ausschließlich vegetarisch ernährt. Die vegetationsarme Winterzeit mussten sie durch ihre Winterruhe überbrücken, in der auch die Jungbären geboren wurden. Braunbären hingegen waren Fleischfresser, solange sie Zeitgenossen der Höhlenbären waren. Nach der Maximalvereisung und dem Aussterben der Höhlenbären erweiterten sie ihr Spektrum auf hauptsächlich pflanzliche Nahrung. Das bedeutet, dass sich Braunbären besser an die veränderten Umweltbedingungen angepasst haben“, so Münzel.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Giulia Toniato
Universität Tübingen
giulia.tonato@uni-tuebingen.de

Dr. Susanne C. Münzel
Universität Tübingen
Mobil: 0176-47 390 379
susanne.muenzel@uni-tuebingen.de

Dr. Tobias Wulf
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
Tel: 0511 925 5263
tobias.wulf@nld.niedersachsen.de


Originalpublikation:

Giulia Toniato, Gabriele Russo, Ivo Verheijen, Jordi Serangeli, Nicholas J. Conard, Dirk Le-der, Thomas Terberger, Britt M. Starkovich, Susanne Münzel: “A diachronic study of hu-man-bear interactions: An overview of ursid exploitation during the Paleolithic of Germany”, Quaternary Science Reviews, 11. May 2024; https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2024.108601


Bilder

Rekonstruktion einer Bärenjagd in einer offenen Landschaft wie in Schöningen, Niedersachsen.

Rekonstruktion einer Bärenjagd in einer offenen Landschaft wie in Schöningen, Niedersachsen.

Benoît Clarys / Universität Tübingen

Vier Beispiele von durch Menschen verursachte Schnittspuren an Bärenresten aus Schöningen (A), Ein-hornhöhle (B), Schafstall II (C), Hohle Fels (D)

Vier Beispiele von durch Menschen verursachte Schnittspuren an Bärenresten aus Schöningen (A), Ein-h

Universität Tübingen


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW