03.11.2021 12:54
Arteriosklerose-Forschung: Mechanismen der Immunabwehr gegen Gefäßentzündungen
Therapieansatz der Immunonkologie auch für die Herzmedizin nutzbar: Forscher aus Heidelberg und Stanford (USA) weisen Potenzial der „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“ für die Arteriosklerose nach. Auszeichnung mit dem Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Fortschritte auf dem Gebiet der Immunonkologie könnten künftig auch neue Wege in der Behandlung von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen eröffnen. Maßgebliche Schritte dazu hat ein Team aus Wissenschaftlern unter der Leitung von Dr. med. Kai-Uwe Jarr (Abteilung für Kardiologe, Angiologie und Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Universität Stanford, USA), und Prof. Dr. med. Nicholas J. Leeper (Universität Stanford) gefunden. Die Forscher untersuchten, inwiefern ein gegen den Zelloberflächen-Marker CD47 gerichteter und bereits in der Krebstherapie bei Tumorpatienten eingesetzter Antikörper (Magrolimab in Kombination mit Rituximab) auch für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, genutzt werden kann. Im Zentrum der Arbeit steht die Idee der „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“. Die vielversprechenden Forschungsergebnisse sind kürzlich im renommierten „The New England Journal of Medicine“ (1) erschienen und wurden nun mit dem Wilhelm P. Winterstein-Preis (10.000 Euro) prämiert. „Unsere Arbeit zielt darauf ab, Regulatoren der Immunüberwachung zu finden und therapeutisch zu beeinflussen, um kranke oder sterbende Zellen besser zu entfernen“, betont Dr. Jarr. Das Team zeigte nach eigenen Angaben zum ersten Mal an Menschen, dass eine Blockade von CD47 zu einer Verringerung der Gefäßentzündung beitragen kann und sich somit möglicherweise positiv auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirkt.
Die ersten Untersuchungen an neun Patienten mit jeweils unterschiedlichen Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, Arteriosklerose, koronare Herzkrankheit (KHK)/Herzinfarkt deuten darauf hin, dass eine „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“ das Entfernen von entzündetem Gewebe aus dem Gefäßplaque reaktivieren kann. „Weitere klinische Studien sind nun notwendig, um zu zeigen, inwiefern diese Therapieoption das Auftreten von Plaques und das Risiko von Schlaganfällen und Herzinfarkten verringern kann“, erklärt Winterstein-Preisträger Dr. Jarr. „Die von den Wissenschaftlern veröffentlichten Ergebnisse bilden eine wichtige Grundlage für zukünftige Arbeiten und zeigen auf elegante Weise den gelungenen Transfer von Erkenntnissen aus der Immuntherapie zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, betont der Kardiologe Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung (www.herzstiftung.de). Die Herzstiftung hat die prämierte und erfolgreich publizierte Arbeit mit den Fördermitteln eines Jahresstipendiums unterstützt.
Marker CD47: Störer im Immunsystem im Visier der Forscher
Das Immunsystem arbeitet ohne Pause. Es erkennt, was „fremd“ oder „verändert“ ist, zum Beispiel Viren, Bakterien, Krebszellen, aber auch tote oder sterbende körpereigene Zellen. Einer der Hauptakteure in diesem Prozess sind Immunzellen, sogenannte „Makrophagen“ (griechisch: Riesenfresszellen), die Körperzellen verschlingen, die nicht als „spezifisch“ für einen gesunden Körper gekennzeichnet sind. Einer der wichtigsten Oberflächenmarker, der intakte Körperzellen vor dem Angriff von Makrophagen schützt, ist das Molekül CD47 –, ein „Don’t eat me“ („Friss mich nicht“)-Signal. Theoretisch fehlt überall dort, wo die Zelloberfläche „fremd“ oder „verändert“ ist, der CD47-Marker. Die Zellen werden daher von Makrophagen verschlungen und entfernt. Von Tumorerkrankungen ist bekannt, dass dieser Prozess des Immunsystems gestört ist: Viele Krebszellen präsentieren nämlich auf ihrer Oberfläche zu viel CD47, so dass diese Zellen fälschlicherweise als „intakt“ bewertet und deshalb vom Immunsystem nicht entfernt werden. Auf dem Gebiet der Immunonkologie hat man sich diese Erkenntnis für die Entwicklung neuer Therapien zunutze gemacht. Mittlerweile weiß man, dass es auch bei anderen chronischen Erkrankungen wie Arteriosklerose zu dieser Störung im Immunsystem kommen kann. Bei der koronaren Herzkrankheit (KHK) als Folge der Arteriosklerose kommt es in einem langen schleichenden Prozess zu entzündlichen Gefäßwandveränderungen durch Plaques, die Verkalkungen, Bindegewebe und Cholesterin enthalten. Dadurch verengen sich die Herzkranzgefäße und die Durchblutung des Herzens wird – je nach Schweregrad bis hin zum Herzinfarkt – behindert.
Makrophagen-Checkpoint-Hemmung: Wie wirksam gegen die Plaquebildung?
Auch bei Arteriosklerose ist das Entfernen erkrankter Zellen durch Makrophagen gestört. Untersuchungen konnten bereits zeigen, dass Signalstoffe des Immunsystems, welche bei lokalen und systemischen Entzündungen beteiligt sind, zu einer übermäßigen Präsentation des „Don’t eat me“-Signals CD47 beitragen. „Normalerweise würden Makrophagen erkrankte und sterbende Zellen, die die Plaquebildung fördern, ,wegräumen‘“, erklärt Dr. Jarr. „Die übermäßige Präsentation des CD47-Signals führt jedoch dazu, dass sich auch hier die erkrankten Zellen dem Immunsystem entziehen.“ Derzeitige Therapien bei Arteriosklerose konzentrieren sich auf Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung und Risikokrankheiten wie Fettstoffwechselstörungen (hohes Cholesterin), Bluthochdruck, Diabetes und Adipositas. „Aber was wäre, wenn die Möglichkeit bestünde, den ,Appetit‘ der Makrophagen zu erhöhen beziehungsweise die übermäßige Präsentation der ,Don‘t eat me‘-Signale therapeutisch zu beeinflussen und damit die Plaquebildung sowie die Gefäßentzündung zu reduzieren? Genau das ist das Prinzip der Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“, erklärt Dr. Jarr.
Der Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung wird alljährlich für eine wissenschaftlich herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bevorzugt aus einem patientennahen Forschungsbereich, vergeben. 2021 hat die Stifterin Ursula Winterstein den Preis ihres 2018 verstorbenen Ehemannes für das ausgezeichnete Forschungsprojekt des Heidelberger Wissenschaftlers und Arztes Dr. Jarr und seiner Kollegen vergeben. Infos unter: www.herzstiftung.de/herzstiftung-und-forschung/forschung-und-foerderung/wissenschaftspreise
(1) Jarr KU, Nakamoto R, Doan BH, Kojima Y, Weissman IL, Advani RH, Iagaru A, Leeper NJ. Effect of CD47 blockade on Vascular Inflammation. N Engl J Med. 2021 Jan 28;384(4):382-383. DOI: 10.1056/NEJMc2029834
Kontakt:
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Michael Wichert/Pierre König
Tel. 069 955128-114/-140
E-Mail: presse@herzstiftung.de
www.herzstiftung.de
Originalpublikation:
Jarr KU, Nakamoto R, Doan BH, Kojima Y, Weissman IL, Advani RH, Iagaru A, Leeper NJ. Effect of CD47 blockade on Vascular Inflammation. N Engl J Med. 2021 Jan 28;384(4):382-383. DOI: 10.1056/NEJMc2029834
Weitere Informationen:
http://www.herzstiftung.de
http://www.herzstiftung.de/herzstiftung-und-forschung/forschung-und-foerderung/w…
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