31.07.2020 09:25
Das Universum ist homogener als gedacht
Aktuelle Ergebnisse des Kilo-Degree Survey haben ergeben, dass die Materie im Universum um etwa zehn Prozent gleichmäßiger verteilt ist als vom Standardmodell der Kosmologie vorhergesagt. Ein internationales Team, geleitet von Astronominnen und Astronomen aus den Niederlanden, Schottland, England und Deutschland – unter Beteiligung der Ruhr-Universität Bochum – beschreibt die Ergebnisse in fünf Artikeln, von denen drei am 31. Juli 2020 auf einem Preprint-Server veröffentlicht wurden. Sie sind zudem in der Zeitschrift Astronomy and Astrophysics zur Veröffentlichung eingereicht.
Die Daten wurden mit dem Very Large Telescope Survey Telescope (VST) der European Space Organisation auf dem Cerro Paranal in Nordchile aufgezeichnet. Die so entstandene Himmelskarte deckt fünf Prozent des extragalaktischen Himmels ab und umfasst 31 Millionen Galaxien, die alle in die Analyse eingingen. Sie sind bis zu zehn Milliarden Lichtjahre entfernt, ihr Licht wurde ausgesendet, als das Universum nur rund ein Viertel so alt war wie heute.
Klumpungstendenz der Materie bestimmt
Anhand der Galaxien erstellte das Forschungskonsortium eine Karte mit der Materieverteilung im Universum. Dazu nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den sogenannten schwachen Gravitationslinseneffekt: Das Licht von fernen Galaxien wird auf dem Weg zur Erde durch die Gravitationswirkung großer Materieansammlungen wie Galaxienhaufen abgelenkt und verzerrt. Basierend auf diesem Effekt kann die Klumpungstendenz der Materie bestimmt werden – und zwar der sichtbaren Materie, der Gase und der nicht sichtbaren Dunklen Materie, welche etwa 85 Prozent der Gesamtmaterie im Universum ausmacht.
Im Lauf der Zeit sorgt die Gravitation der Materie dafür, dass das Universum immer weniger homogen wird. Gebiete, die etwas mehr Masse als der Durchschnitt besitzen, ziehen Materie aus ihrer Umgebung an. So werden die Unterschiede in der Verteilung immer größer. Gleichzeitig wirkt die Expansion des Universums diesem Effekt entgegen. Beide Prozesse werden von der Schwerkraft angetrieben und eignen sich somit dafür, um das Standardmodell der Kosmologie auf den Prüfstand zu stellen. Die Gleichungen sagen präzise voraus, wie sehr die Materiedichte sich im Lauf der Zeit ändern wird.
Experimentelle Daten passen nicht zum Standardmodell
Allerdings offenbaren die Daten des Kilo-Degree Survey eine Diskrepanz: Das Universum ist um zehn Prozent homogener als es nach dem Standardmodell sein dürfte. „Das Standardmodell der Kosmologie beschreibt seit 20 Jahren alle kosmologischen Beobachtungen, die wir machen. Dabei ist es aber etwas unbefriedigend, dass man mysteriöse Substanzen wie Dunkle Materie und Dunkle Energie annehmen muss. Darum versuchen wir, dieses Modell, so gut es geht, zu testen“, sagt Prof. Dr. Hendrik Hildebrandt, Leiter der Gruppe Beobachtende Kosmologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Die aktuelle Analyse könnte darauf hinweisen, dass das Standardmodell Risse bekommt. Es ist nicht die erste Unstimmigkeit, auch die sogenannte Hubble-Konstante, die die Expansionsrate des Universums repräsentiert, passt nicht zu den Vorhersagen des Modells. „Diese Diskrepanzen könnten natürlich von systematischen Messfehlern hervorgerufen werden“, räumt Prof. Dr. Catherine Heymans (University of Edinburgh) ein, die zusammen mit Hendrik Hildebrandt das German Centre for Cosmological Lensing an der RUB leitet, wo sie auch eine Gastprofessur innehat. „Aber die Messungen werden immer genauer, sodass das immer unwahrscheinlicher wird“, so Heymans weiter.
Ob das Standardmodell letztendlich durch eine komplett neue Theorie abgelöst werden muss, zum Beispiel indem Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie ersetzt wird, können die Forscher noch nicht abschätzen. „Es gibt viele Theorien, die versuchen, die Messungen mit neuer Physik zu erklären“, so Hendrik Hildebrandt. „Als beobachtender Kosmologe versucht man, dabei unparteiisch zu bleiben und die Messungen ohne theoretische Vorurteile so genau wie möglich zu machen. Eins ist klar, wir leben in spannenden Zeiten!“
Noch größere Datenanalyse geplant
In ein bis zwei Jahren wird die finale Karte des Kilo-Degree Survey vorliegen, mit allen Beobachtungen, die in dem Projekt gemacht wurden. Sie wird noch einmal 30 Prozent größer sein als die aktuelle Karte.
Zwei weitere Projekte, ein US-amerikanisches und ein japanisches, arbeiten derweil an ähnlichen Analysen basierend auf Beobachtungsdaten. Ab 2022 wird noch bessere Messtechnik zur Verfügung stehen: das Rubin-Teleskop, das 60-mal leistungsfähiger ist als das VST, und der Euclid-Satellit, der außerhalb der Atmosphäre wesentlich schärfere Bilder wird aufnehmen können als die erdgebundenen Teleskope. Viele Mitglieder des Kilo-Degree-Survey-Konsortiums werden auch an diesen Projekten beteiligt sein.
Kilo-Degree Survery
Der Kilo-Degree Survey ist ein internationales Projekt, das von Astronominnen und Astronomen in den Niederlanden, Schottland, England und Deutschland geleitet wird. Der Projektkoordinator ist Prof. Dr. Koen Kuijken vom niederländischen Leiden Observatory. Weitere Partner kommen aus Italien, Australien, Polen, den USA und China.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hendrik Hildebrandt
Arbeitsgruppe Beobachtende Kosmologie
Fakultät für Physik und Astronomie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 24019
E-Mail: hendrik@astro.rub.de
Originalpublikation:
Alle Paper wurden online verab veröffentlicht unter http://kids.strw.leidenuniv.nl/KiDS-1000.php
Weitere Informationen:
https://news.rub.de/wissenschaft/2020-04-28-kosmologie-wie-viel-wiegt-das-univer… Artikel im Wissenschaftsmagazin Rubin zur Materiedichtebestimmung im Universum
Ergänzung vom 31.07.2020
In der Pressemitteilung ist fälschlicherweise von der European Space Organisation die Rede. Korrekt müsste es heißen, dass die Aufnahmen mit dem Very Large Telescope Survey Telescope des European Southern Observatory (ESO) gemacht wurden.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch