27.01.2021 10:13
„Das Virus mutiert fröhlich vor sich hin“
Bioinformatiker am Universitätsklinikum Jena verglichen in Kooperation mit Partnern in Berlin, Jena, Leipzig und Bad Langensalza das SARS-CoV-2-Genom in Thüringer Stichproben mit in Deutschland, Europa und weltweit verbreiteten Viruslinien. Die Proben aus dem Freistaat zeigen die statistisch zu erwartende Mutationsrate, die in Großbritannien, Brasilien oder Südafrika verbreiteten Mutationslinien wurden noch nicht nachgewiesen. Wichtig ist eine enge Überwachung der genetischen Veränderungen des Virus, auch angesichts der jetzt anlaufenden Impfkampagne.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Als rote Punkte im Virusstammbaum sind die 40 aus Thüringen stammenden Proben bezeichnet, die die Arbeitsgruppe von Dr. Christian Brandt mit Bezug zu knapp 10.000 vollständig sequenzierten Genomen des SARS-CoV-2 untersuchten. Das Bioinformatikteam im Institut für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena nutzte dafür eine repräsentative Auswahl deutscher, europäischer und nichteuropäischer Genomsequenzen, die aus den etwa 300.000 weltweit bekannten und von Wissenschaftler online zur Verfügung gestellten Daten entstammen.
Das Genom von SARS-CoV-2 umfasst etwa 30.000 Basen und ist damit das größte bekannte Genom aller RNA-Viren. Seine molekulare Uhr tickt mit einer Geschwindigkeit von etwa 23 Mutationen pro Jahr – das sind die zufälligen Fehler beim ständigen Kopieren der Virus-Erbinformation, die nicht von vornherein aussortiert werden, weil sie die Zelle absterben lassen. „Das Virus verändert sich, wie es statistisch zu erwarten ist: Es mutiert fröhlich vor sich hin“, fasst Christian Brandt das Bild zusammen, dass sich anhand der untersuchten Stichproben ergibt. Die Proben aus Deutschland lassen sich acht Hauptlinien zuordnen, von denen vier auch in Thüringen nachgewiesen wurden. Die in Großbritannien, Brasilien oder Südafrika verbreiteten Mutationslinien, für die ein höheres Ansteckungspotential bzw. schwächere Immunantworten vermutet werden, sind bislang nicht darunter – noch.
Die Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass sich in Europa hochfrequente Abstammungslinien auch in Deutschland und Thüringen verbreiten werden. Die begonnene Impfkampagne erhöht den Selektionsdruck auf das Virus: Es werden solche Mutationsformen bevorzugt, die die Immunisierung unterlaufen können. „Umso wichtiger ist bei den derzeitigen Inzidenzen eine engmaschige molekulargenetische Überwachung des Infektionsgeschehens“, betont Prof. Dr. Mathias Pletz, der Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena. Im Rahmen dieser Kontrolle sollen am UKJ künftig mindestens 24 zufällig ausgewählte Proben aus ganz Thüringen wöchentlich sequenziert und zum internationalen Datenpool hinzugefügt werden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Christian Brandt
Institut für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena
Tel.: 03641 / 9390933
E-Mail: Christian.Brandt@med.uni-jena.de
Originalpublikation:
Brandt C, et al. Molecular epidemiology of SARS-CoV-2 – a regional to global perspective doi: https://doi.org/10.1101/2021.01.25.21250447 (preprint, Fachbegutachtung steht noch aus)
Weitere Informationen:
http://case-group.github.io/ AG-Homepage
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch