29.03.2021 17:22
Hoffnung für Menschen mit überempfindlichen Zähnen
Der Kältesensor TRPC5 ist für die Kälteempfindlichkeit von Zähnen verantwortlich. Das hat ein internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Katharina Zimmermann von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) entdeckt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre Erkenntnisse im renommierten Wissenschaftsjournal „Science Advances“ publiziert.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„Zahnschmerzen sind für viele Menschen der Horror, und überempfindliche Zähne sind nicht weniger belastend“, weiß Prof. Dr. Katharina Zimmermann von der Anästhesiologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen der FAU. „Wer gerne Eis isst und empfindliche Zähne hat, kennt das Problem: Kaum berührt das Eis den Zahn, schlägt der Blitz ein.“
Kältesensor liegt direkt auf den Odontoblasten
Dafür verantwortlich ist ein körpereigener Mechanismus, der die menschlichen Zähne vor Überlastung schützt. „Die Natur hat in den Zähnen den stärksten Schutzreflex im Körper installiert“, erklärt die FAU-Schmerzforscherin. „Denn Zähne heilen nicht, wenn sie einmal brechen.“ Der Reflex schützt deshalb das Zahnmark und die empfindlichen Zellen des Zahngewebes, die sogenannten Odontoblasten. Diese bilden die Hartsubstanz des Zahns, also das Zahnbein und den Zahnschmelz.
Die Odontoblasten funktionieren aber auch als Kältesensoren, das hat das Forschungsteam nun erstmals nachgewiesen. Denn direkt auf den Fortsätzen der Odontoblasten liegt der Ionenkanal TRPC5, der als Kaltrezeptor fungiert. Ionenkanäle sind Poren in Zellmembranen, die wie molekulare Schließmuskeln wirken. Nach dem Erkennen eines Signals, wie beispielsweise einer Temperaturänderung, öffnen sich die Kanäle und lassen Ionen in die Zelle fließen. Dies erzeugt einen elektrischen Impuls, der zur Informationsübermittlung weitergeleitet wird.
„Der Zellkörper der Odontoblasten und ihre Nervenendigungen liegen am äußeren Rand des Zahnmarks“, erklärt Professorin Zimmermann. „Sie besitzen einen Fortsatz, der in einem feinen Kanälchen im Zahnbein verläuft, wo er die Temperaturänderungen misst und sie elektrisch an das Gehirn weitergibt und so die schmerzhafte Reaktion auslöst.“
Ansatzpunkt für Mittel gegen Zahnschmerz
Bereits früher war die FAU-Forscherin an der Entdeckung der Kaltsensitivität des Ionenkanals TRPC5 beteiligt. „Jetzt haben wir herausgefunden, dass der gleiche Ionenkanal für das Kälteempfinden in Zähnen verantwortlich ist. Das ist ein hervorragender Ansatzpunkt für künftige Mittel gegen Zahnschmerz und kälteüberempfindliche Zähne.“ Da der Rezeptor im Zahn auf den spezialisierten Sinneszellen und weniger auf Nerven vorkommt, vermutet das Team der Anästhesiologischen Klinik, dass die üblichen Nebenwirkungen einer Leitungsanästhesie, wie Taubheit und Lähmung im Kieferbereich, ausbleiben werden. Darüber hinaus fanden die Forscherinnen und Forscher auch gleich eine Erklärung für den Wirkmechanismus eines uralten Hausmittels gegen Zahnschmerzen: Der Hauptbestandteil von Nelkenöl ist Eugenol – und das blockiert den TRPC5-Rezeptor.
Mechanismus der Kälteempfindlichkeit entschlüsselt
Entschlüsselt haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Mechanismus der Kälteempfindlichkeit durch Experimente an Mäusezähnen. Das Forschungsteam entwickelte eine neue Methode, elektrische Impulse von Zahnnerven intakter Mäusezähne zu registrieren. „Durch eine spezielle Technik mit Glaselektroden konnte ich normale Mäuse mit Mäusen vergleichen, denen das Molekül TRPC5 fehlte“, erklärt die Elektrophysiologin Dr. Laura Bernal (jetzt Universidad Alcalá in Spanien). „Es zeigte sich, dass TRPC5 für einen Großteil der Kaltantworten im Zahn entscheidend ist und dass TRPC5-Antagonisten die Kaltantworten blockieren.“ In Verhaltensversuchen an Mäusen stellte FAU-Forscherin Dr. Christine König schließlich fest, dass die Mäuse, denen der TRPC5-Rezeptor fehlt, auch keine Zahnschmerzen mehr nach einer Zahnentzündung entwickeln. Darauf dürfen nun auch Menschen mit kälteempfindlichen Zähnen hoffen, denn in entzündeten Zähnen mit Karies fand das Team besonders viele TRPC5- Rezeptoren.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Katharina Zimmermann
Tel.: 09131/85-33901
katharina.zimmermann@uk-erlangen.de
Originalpublikation:
https://advances.sciencemag.org/content/7/13/eabf5567
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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