19.10.2021 20:00
KI hilft, Enzymtätigkeit zu quantifizieren
Bioinformatik: Veröffentlichung in PLOS Biology
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Enzyme sind biologische Katalysatoren, die Stoffumwandlungen begünstigen. Ein internationales Bioinformatikerteam unter Leitung von Prof. Dr. Martin Lercher von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) entwickelte ein neues Verfahren, um die die Reaktionskinetik bestimmende Michaelis-Konstante vorherzusagen. Dieses auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Verfahren beschreiben sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PLOS Biology.
Ohne Enzyme wäre ein Organismus nicht lebensfähig. Denn erst mithilfe dieser Biokatalysatoren können in der Zelle eine Vielzahl von chemischen Reaktionen ablaufen, mit denen die Stoffe produziert werden, aus denen die Zellen aufgebaut sind und die sie steuern. Enzyme sind heutzutage auch in der Biotechnologie und im alltäglichen Haushalt nicht mehr wegzudenken: Sie verrichten etwa in Waschmitteln ihren Dienst.
Um enzymatisch begünstigte Stoffwechselprozesse zu beschreiben, wird die sogenannte Michaelis-Menten-Gleichung benutzt. Sie beschreibt die Geschwindigkeit einer Enzymreaktion abhängig von der Konzentration, in der die beteiligten Ausgangsmoleküle – die während der Reaktion in die Endprodukte umgewandelt werden – vorliegen. Ein zentraler Faktor in dieser Gleichung ist die „Michaelis-Konstante“, die die Stärke der Bindung zwischen Enzym und Substrate charakterisiert.
Diese Konstante im Labor zu messen, ist extrem aufwändig. Aus diesem Grunde sind nur von einer Minderheit der Enzyme diese Konstanten bekannt. Ein Forschendenteam vom HHU-Institut für Computational Cell Biology und der Chalmers-Universität in Stockholm hat nun einen anderen Ansatz gewählt, um die Michaelis-Konstanten aus der Struktur der beteiligten Moleküle und Enzyme mittels KI vorherzusagen.
Sie wandten ihren auf sogenannten Deep-Learning-Verfahren basierenden Ansatz auf 47 Modellorganismen – von Bakterien über Pflanzen bis hin zum Menschen – an. Als Lerndaten, die dieser Ansatz benötigt, speisten sie bekannte Daten von fast 10.000 Paaren von Enzymen und Ausgangsstoffen ein. Die Ergebnisse testeten sie anhand von Michaelis-Konstanten, die nicht für den Lernprozess benutzt worden waren.
Prof. Lercher zur Qualität der Ergebnisse: „Anhand der unabhängigen Testdaten konnten wir zeigen, dass das Verfahren Michaelis-Konstanten mit einer Genauigkeit vorhersagen kann, die ähnlich zu den Unterschieden zwischen experimentellen Werten aus verschiedenen Laboren ist. Ein Schätzwert für eine neue Konstante kann nun per Computer ohne experimentellen Aufwand in wenigen Sekunden berechnet werden.“
Die plötzliche Verfügbarkeit von Michaelis-Konstanten für alle Enzyme von Modellorganismen eröffnet neue Wege für Computermodelle des Stoffwechsels, wie die Zeitschrift PLOS Biology in einem Begleitartikel betont.
Originalpublikation:
Alexander Kroll, Martin K. M. Engqvist, David Heckmann, Martin Lercher, Deep learning allows genome-scale prediction of Michaelis constants from structural features, PLOS Biology (2021).
DOI: 10.1371/journal.pbio.3001402
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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