Neue Studie zeichnet die Entstehung der Hackerkulturen in DDR und BRD nach



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12.03.2021 10:53

Neue Studie zeichnet die Entstehung der Hackerkulturen in DDR und BRD nach

Hacker gelten als Vorreiter der Digitalisierung und Computerisierung. Neuartige Netzwerke prägten seit den späten 1970er-Jahren maßgeblich den öffentlichen Diskurs sowie den individuellen Umgang mit der neu verfügbaren Computertechnik. Julia Gül Erdogan veröffentlicht die Ergebnisse ihres Promotionsprojekts am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam in der Studie „Avantgarde der Computernutzung. Hackerkulturen der Bundesrepublik und der DDR“, die jetzt im Wallstein Verlag erschienen ist und das Bild von Hackern und ihre Rolle in der Computerisierung der beiden deutschen Teilstaaten, aber auch im transnationalen Zusammenhang, maßgeblich aufarbeitet.

Spielerisch-explorativ, dann subversiv, zeitgleich dennoch als Experten anerkannt, brachten sich Hacker seit den späten 1970er-Jahren zunehmend in den Prozess der Computerisierung in den beiden deutschen Teilstaaten ein. Als Avantgarde der privaten Computernutzung trieben sie kreativ und innovativ Entwicklungen an, die heute unverzichtbar und wegweisend erscheinen, wie eine offene Online-Kommunikation oder frei verfügbare Software. In Aushandlungsprozessen um kulturelle, soziale und ökonomische Normen prägten sie die Nutzung der neuen Technologien, indem sie die zuvor oft als langweilige, entmenschlichenden und zutiefst rationalisierenden Maschinen einer Neubewertung unterzogen: Für Hacker waren Computer und deren Nutzung nicht nur unterhaltsam, sondern vor allem von großer gesellschaftlicher Relevanz.

Die Hacker auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze forderten entgegen einer technikdeterministischen Sichtweise die Öffentlichkeit dazu auf, sich vielmehr selbst der Technik zu ermächtigen. Die Nutzung und (Weiter-)Entwicklung der Computertechnologie sollte so kritisch mitgestaltet werden. Diese offene, Machtgefüge herausfordernde Herangehensweise verschaffte der neuen Technologie bereits in den 1980er-Jahren Anknüpfungspunkte in der gegenkulturellen und oppositionellen Arbeit des politischen Aktivismus. Dabei gelang es allerdings nicht, Computer entgegen des eigenen Anspruchs für alle Gesellschaftsgruppen gleichermaßen attraktiv erscheinen zu lassen: Julia Gül Erdogan spürt in der Betrachtung sozialer Aushandlungsprozesse auch der schwierigen Rolle weiblicher Hacker, den sogenannten Haecksen, und regulärer Userinnen nach, die sich in der männlich konnotierten Technologie ihre Teilhabe erst erkämpfen mussten.

Darüber hinaus zeigt Julia Gül Erdogan besonders lokale Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Hackerkulturen in Ost- und Westdeutschland auf. Bemerkenswerterweise, so Erdogan, erwiesen sich die Verschiedenheiten, wie etwa die ungleichen technischen Standards, nach der deutschen Wiedervereinigung als kaum hinderlich für einen schnellen Zusammenschluss der Hackerkulturen. Gemeinsame Praktiken und Werte wie die explorative Herangehensweise an technische Neuerungen, Löten und Basteln sowie der offene Umgang mit Wissen erleichterten die Herausbildung einer geteilten Identität.

Die anfangs fast ausschließlich als exzessive Programmierer wahrgenommenen Hacker konnten durch ihr spezifisches Wissen in der Bundesrepublik zunehmend auch die Rolle von gefragten Expertinnen und Experten ein-nehmen, so Erdogan. Durch die Schaffung von Kontakt- und Handlungsräumen, die einerseits enge Gemeinschaften entstehen ließen, andererseits aber auch Interessierten außerhalb der eigenen Community offen standen, gelang es ihnen, Anfälligkeiten und Risiken, aber auch neue Chancen und Einsatzmöglichkeiten zu identifizieren. Nicht zuletzt konnten sie durch gut inszenierte Hacks und ihre Verbindung von technischen mit gesellschaftlichen Fragen den Status einer Watchgroup der digitalisierten Gesellschaft erlangen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Julia Gül Erdogan
kontakt@julia-erdogan.de


Originalpublikation:

Julia Gül Erdogan: Avantgarde der Computernutzung. Hackerkulturen der Bundesrepublik und der DDR

Reihe: Geschichte der Gegenwart, Bd. 24
Ort: Göttingen
Jahr: 2021
Verlag: Wallstein Verlag
Seiten: 392
ISBN: 978-3-8353-3370-3


Weitere Informationen:

https://zzf-potsdam.de/de/publikationen/avantgarde-der-computernutzung


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Informationstechnik, Kulturwissenschaften, Politik
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW