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30.11.2023 20:00
Pinguine schlafen 12 Stunden – in Zehntausenden einzelner Mikroschlafphasen
Beim Brüten in einer gefährlichen Umgebung nicken Zügelpinguine meist nicht mehr als vier Sekunden am Stück weg. Sie bekommen jedoch durch über 600 solcher Mikroschlafphasen pro Stunde – und über 10.000 pro Tag – insgesamt trotzdem bis zu 12 Stunden Schlaf. Die Tiere schlafen dabei sowohl abwechselnd mit beiden Gehirnhälften als auch mit dem ganzen Gehirn. Trotz und wohl auch aufgrund des extrem fragmentierten Schlafs sind die Tiere in der Lage, sich unter schwierigen ökologischen Bedingungen erfolgreich fortzupflanzen. Dies zeigt eine neue Studie eines internationalen Forscherteams aus Lyon und Korea mit Beteiligung von Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz.
Alle Tiere schlafen. Vieles deutet darauf hin, dass der Schlaf eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der adaptiven kognitiven Leistung im Wachzustand spielt. In der Tat wirkt sich Schlafmangel, der in unserer lärm- und lichtverschmutzten Gesellschaft ein zunehmendes Problem darstellt, nachteilig auf unsere Fähigkeit aus, mit der Umwelt zu interagieren. So kann unzureichender Schlaf zum Einnicken führen, wobei der Wachzustand durch das Schließen der Augen und schlafbezogene Hirnaktivitäten sekundenlang unterbrochen wird. Solch ein Sekundenschlaf kann ein erhebliches Risiko bergen, wenn er zum Beispiel am Steuer passiert. Aber kann so ein Mikroschlaf überhaupt die Vorteile des Schlafs bieten? Oder ist er einfach zu kurz, als dass der Schlaf seine Funktionen erfüllen kann?
Ergebnisse einer neuen Studie von Wissenschaftlern des Neuroscience Research Centre of Lyon, des Korean Polar Research Institute und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz zeigen den wohl am stärksten fragmentierten Schlaf, der je bei einem Tier festgestellt wurde. Während des Brütens sammeln Zügelpinguine (Pygoscelis antarcticus) große Mengen an Schlaf durch Tausende von wenigen Sekunden langen Mikroschlafphasen. Trotz dieses ungewöhnlichen Schlafverhaltens sind die Pinguine in der Lage, ihren Nachwuchs erfolgreich aufzuziehen. Das deutet darauf hin, dass die erholsamen Funktionen des Schlafs auch durch Mikroschlaf erreicht werden können. Dieses besondere Schlafmuster ist wahrscheinlich eine Anpassung an die ständige Anwesenheit von Braunen Skuas (einem Eierräuber) und eine Reaktion auf Lärm und Aggression durch andere Pinguine in der Kolonie.
Die Forscher zeichneten das Verhalten und die Gehirnaktivität von wild lebenden Zügelpinguinen auf, die auf King George Island in der Antarktis brüten. Dazu benutzten sie speziell angefertigte Datenlogger, die die Gehirnaktivität registrierten. Diese Aktivitäten wurden elf Tage lang an Land und auf See aufgezeichnet, wo die Pinguine bis zu einer Tiefe von 200 Metern tauchten. Die Forscher untersuchten dann, wie sich das Nisten am Rande der Kolonie, wo die Pinguine braunen Skuas ausgesetzt sind, im Vergleich zum geschäftigen Treiben im Zentrum der Kolonie auf den Pinguinschlaf auswirkt.
Der ‘slow wave sleep’, die vorherrschende Art des Schlafs bei Vögeln, trat in beiden Hemisphären gleichzeitig (bihemisphärischer slow wave sleep) oder in jeweils einer Hemisphäre (unihemisphärischer slow wave sleep) auf. Die Episoden dieses Slow-Wave-Schlafs dauerten in der Regel weniger als vier Sekunden, egal ob eine oder beide Gehirnhälften beteiligt waren. Im Verhalten äußerte sich diese Schlaffragmentierung durch häufiges Schließen und Öffnen eines oder beider Augen (siehe Video). Trotz der kurzen Schlafepisoden erreichte jede Gehirnhälfte insgesamt 11,5–12 Stunden Slow-Wave-Schlaf pro Tag, gleichmäßig über den 24-Stunden-Tag verteilt, mit über 600 Episoden pro Stunde.
Frühere Arbeiten von Niels Rattenborg, Forschungsgruppenleiter am MPI für biologische Intelligenz an Enten hatten gezeigt, dass Tiere am Rand einer Gruppe weniger schlafen und dabei mehr unihemisphärischen Schlaf haben. Das erwarteten die Autoren auch von Pinguinen, die am Rande der Kolonie Raubtieren ausgesetzt sind. Stattdessen fanden sie heraus, dass die Vögel am Rand der Kolonie zehn Prozent mehr und 40 Prozent länger schliefen (das entspricht eine Sekunde) und nicht mehr unihemisphärischen Schlaf hatten als die Vögel in der Mitte der Kolonie. Dieses unerwartete Ergebnis deutet darauf hin, dass Störungen und Aggressionen durch andere Pinguine innerhalb der Kolonie einen größeren Einfluss auf den Schlaf haben als die Exposition gegenüber Raubtieren.
Die Forscher wiesen in der Studie außerdem nach, dass Pinguine auch auf dem Meer schwimmend schlafen können. Sie schliefen auf See insgesamt deutlich kürzer als an Land und fast ausschließlich bihemisphärisch. Nach der Rückkehr an Land wurde der auf See ‘verlorene’ Schlaf teilweise wieder aufgeholt, wenn auch wieder nur in Phasen von durchschnittlich vier Sekunden Dauer.
Insgesamt zeigt diese Studie, dass Zügelpinguine in der Lage sind, sich unter erschwerten ökologischen Bedingungen erfolgreich fortzupflanzen, obwohl sie ihren Schlaf nur durch sekundenlange Mikroschlafphasen erreichen. Die anhaltende Schlaffragmentierung, die Pinguine unter allen Bedingungen an Land zeigen, ist wahrscheinlich eine Anpassung an die visuelle Überwachung der Umgebung auf Raubtiere und Artgenossen. Zumindest bei Zügelpinguinen lässt sich somit darauf schließen, dass Schlaffunktionen auch durch Tausende von Mikroschlafphasen pro Tag erfüllt werden können.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Niels Rattenborg
Forschungsgruppe Vogelschlaf
Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Tel.: +49 8157 932 245
E-Mail: niels.rattenborg@bi.mpg.de
Originalpublikation:
P.-A. Libourel*, W. Y. Lee*, I. Achin, H. Chung, J. Kim, B. Massot, N. C. Rattenborg
* These authors contributed equally to this work
Nesting chinstrap penguins accrue large quantities of sleep through seconds-long microsleeps
Science, online 30. November 2023
DOI: 10.1126/science.adh0771
Weitere Informationen:
https://www.bi.mpg.de/rattenborg/de – Webseite der Forschungsgruppe Vogelschlaf
https://www.eurekalert.org/press/scipak/ – Pressepaket des Journals ‘Science’
Bilder
Zügelpinguine, die in einer gefährlichen Umgebung nisten, verschaffen sich durch tausendfachen, seku …
© Paul-Antoine Libourel, Neurowissenschaftliches Forschungszentrum Lyon, Frankreich
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Biologie
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