07.01.2021 17:00
Prothese als leichter empfinden dank Neurofeedback
Werden sensorische Signale von Prothesen an das Nervensystem weitergeleitet, hilft das beinamputierten Personen, ihre Prothese als Teil ihres Körpers wahrzunehmen. Dies führt auch dazu, die sonst als schwer empfundenen Prothesen als leichter zu empfinden, wie ETH-Forschende zeigen konnten.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Obschon die Prothesentechnik ständig Fortschritte macht, sind beinamputierte Personen nicht immer zufrieden mit ihrer Prothese. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Personen das Gewicht der Prothese als zu hoch empfinden. Dies, obschon Beinprothesen tatsächlich in der Regel weniger als halb so schwer sind als eine natürliche Gliedmasse. Forschende unter der Leitung von Stanisa Raspopovic, Professor am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie, konnten nun zeigen, dass eine Verbindung der Prothesen mit dem Nervensystem hilft, das Prothesengewicht als geringer wahrzunehmen, was der Akzeptanz der Prothesen zuträglich ist.
Gemeinsam mit einem internationalen Konsortium hat Raspopovic in den vergangenen Jahren Prothesen entwickelt, welche dem Nervensystem des Träger ein Feedback gibt. Dies geschieht über in den Oberschenkel implantierte Elektroden, welche mit den dort vorhandenen Beinnerven verbunden werden. Informationen von Tastsensoren unter der Fusssohle sowie von Winkelsensoren im elektronischen Prothesen-Kniegelenk werden dazu in Stromimpulse umgewandelt und an die Nerven weitergegeben.
«Wir stellten das verlorene sensorische Feedback künstlich wieder her. Dem Gehirn einer oberschenkelamputierten Person wird so vorgegaukelt, dass die Beinprothese ihrem eigenen Bein ähnlich ist», erzählt ETH-Professor Raspopovic. In einer letztes Jahr veröffentlichten Studie zeigte er mit seinem Team, das sich Träger solcher Neurofeedback-Prothesen sicherer und mit weniger Kraftanstrengung fortbewegen können.
In weiterführenden Untersuchungen konnten die Wissenschaftler nun zeigen, dass das Neurofeedback auch das empfundene Gewicht der Prothese reduziert. Sie veröffentlichten die Resultate im Fachmagazin Current Biology.Um zu bestimmen, als wie schwer eine oberschenkelamputierte Person ihre Beinprothese empfindet, liessen sie einen freiwilligen Studienteilnehmer Gangübungen mit entweder eingeschaltetem oder ausgeschaltetem Neurofeedback absolvieren. Dabei beschwerten sie den gesunden Fuss mit Zusatzgewichten und liessen den Studienteilnehmer bewerten, als wie schwer der die beiden Beine im Verhältnis zueinander empfindet. Es zeigte sich, dass das Neurofeedback das empfundene Prothesengewicht um 23 Prozent oder knapp 500 Gramm reduziert.
Dass sich das Neurofeedback positiv auf das Gehirn auswirkt, bestätigten die Wissenschaftler ausserdem mit einer motorisch-kognitiven Aufgabe, bei der der Proband beim Gehen Wörter mit fünf Buchstaben rückwärts buchstabieren sollte. Das sensorische Feedback ermöglichte ihm nicht nur einen schnelleren Gang, sondern er schnitt auch bei der Buchstabierübung besser ab.
«Neurofeedback ermöglicht nicht nur sicheres Gehen und beeinflusst das Gewichtsempfinden positiv», sagt Raspopovic. «Unsere Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass sich damit ganz grundsätzlich die Erfahrung von Patienten mit künstlichen Gliedmassen näher an jene mit einer natürlichen Gliedmasse heranführen lässt.»
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Stanisa Raspopovic: stanisa.raspopovic@hest.ethz.ch
Originalpublikation:
http://doi.org/10.1016/j.cub.2020.11.069
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Elektrotechnik, Maschinenbau, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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