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19.03.2024 16:11
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Seltene Borna-Virus-Erkrankung früher erkennen
Wissenschaftler und Ärzte der Universitätsmedizin Augsburg haben eine mögliche frühe diagnostische Methode zum Nachweis der seltenen Borna-Virus-Gehirnentzündung gefunden. Ihre Erkenntnisse wurden in der höchst renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht. Das Virus löst beim Menschen eine fast immer tödlich endende Gehirnentzündung aus und wird durch Feldspitzmäuse übertragen.
Das Borna Disease Virus 1 (BoDV-1) ist schon seit Langem als Erreger der Borna’schen Krankheit bei Pferden, Schafen und anderen Säugetieren in Mitteleuropa bekannt. Im Jahr 2018 wurde das Virus erstmalig als Ursache für schwere Gehirnentzündungen (Enzephalitis) beim Menschen nachgewiesen. Zwei bis sechs Menschen erkranken jährlich in Deutschland. In Bayern ist das Virus endemisch, es ist also dauerhaft hier heimisch.
„Erst kürzlich konnten wir bei einer 71-jährigen Patientin die schwierige Diagnose einer Borna-Enzephalitis stellen. Sie hatte sich aus voller Gesundheit heraus über mehrere Wochen hinweg kontinuierlich neurologisch verschlechtert und war letztendlich an den Folgen der schweren Gehirnentzündung verstorben“, erklärt Prof. Dr. Markus Naumann, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Augsburg. Zunächst waren alle Untersuchungen wie Kernspintomographien des Gehirns und ausführliche Labor- und Nervenwasseruntersuchungen völlig unauffällig verlaufen.
Früherer Nachweis der Gehirnentzündung gelungen
Die Wissenschaftler und Ärzte wandten dann ein nuklearmedizinisches Verfahren an, das normalerweise zur Diagnostik bei Tumorerkrankungen und Entzündungen dient: die 18Fluorodeoxyglucose Positronenemissionstomographie / Computertomographie (18F-FDG PET/CT). Damit stellten sie einen krankhaft veränderten Glukosestoffwechsel im Gehirn der Patientin fest. „Das ist bemerkenswert, weil diese Auffälligkeit sichtbar wurde, lange bevor wir mit wiederholten Kernspintomographien und einem Antikörpernachweis schließlich das Borna-Virus nachweisen konnten“, sagt Prof. Dr. Antonios Bayas. Er ist Leiter der Sektion Klinische Neuroimmunologie an der Klinik für Neurologie.
Mit der genauen Beschreibung dieses Falles im Fachjournal The Lancet wollen Bayas, Naumann und die weiteren beteiligten forschenden Ärzte und Ärztinnen weltweit darüber informieren, dass bei schweren Fällen einer Gehirnentzündung mit ungeklärter Ursache unbedingt auf eine Infektion mit dem Borna-Virus getestet werden sollte. „Das gilt vor allem, wenn man sich einem Risikogebiet befindet. Das 18F-FDG PET/CT kann hier sehr früh diagnostisch wegweisend sein“, sagt Bayas.
Was ist das Borna-Virus?
Laut Informationen des Robert-Koch-Instituts zeigen infizierte Patientinnen und Patienten anfangs Kopfschmerzen, Fieber und ein allgemeines Krankheitsgefühl. Bei allen bislang bekannten Erkrankungsfällen kam es anschließend zu neurologischen Symptomen, z. B. Verhaltensauffälligkeiten und Sprach- und Gangstörungen. Im weiteren Verlauf der Krankheit fallen die Menschen innerhalb weniger Tage oder Wochen ins Koma. Die Infektion verläuft fast immer tödlich. Eine spezifische Therapie gegen Bornavirus-Infektionen gibt es zum aktuellen Zeitpunkt nicht.
Übertragen wird die Krankheit durch Feldspitzmäuse: beim direkten Kontakt mit einem Tier oder seinen Ausscheidungen. Die Mäuse leben auf Brachgebieten, z.B. Straßenböschungen, Steinmauern oder unter Hecken, sind aber sehr scheu und nachtaktiv, so dass Begegnungen zwischen Feldspitzmaus und Mensch selten vorkommen. Andere Tiere, z. B. infizierte Pferde, Schafe und andere Säuger, gelten derzeit für Menschen als nicht-infektiös.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Markus Naumann
Lehrstuhlinhaber Neurologie
Direktor Klinik der Neurologie und klinische Neurophysiologie
Telefon: +49 (0) 821 400-2991
E-Mail: markus.naumann@med.uni-augsburg.de
Prof. Dr. med. Antonios Bayas
Leitender Oberarzt und stellvertretender Direktor
Klinik der Neurologie und klinische Neurophysiologie
Telefon: 0821 400-2861
E-Mail: antonios.bayas@uk-augsburg.de
Originalpublikation:
Antonios Bayas*, Martina Menacher*, Constantin Lapa, Dennis Tappe, Christoph Maurer, Friederike Liesche-Starnecker, Hauke Schneider, Markus Naumann (*Erstautor:in): 18Fluorodeoxyglucose PET/CT as possible early diagnostic tool preceding MRI changes in Borna disease virus 1 encephalitis. The Lancet. Volume 403, Issue 10427.
Weitere Informationen:
http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)00049-7/fullte…
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