Sicherung der kulturellen Identität durch Religion?

Erkenntnis statt Sünde. Bild: Sedlacek

Führende deutsche Journalisten halten Ideologiekritik an den christlichen Kirchen mehrheitlich für überholt. „Die meisten Meinungsmacher sehen eine kulturelle Renaissance der christlichen Religion – in Abgrenzung zum Islam“.

Die befragten Chefredakteure und Kommentatoren betrachten das Christentum, laut einer neuen Studie, unabhängig von ihrer eigenen Religiosität, als legitime Kraft zur Sicherung der öffentlichen Moral und der gesellschaftlichen Integration.

Bis Ende der 1990er Jahre sei unter Journalisten und Intellektuellen eine ideologische Abwertung des Christentums „als Hemmschuh der Moderne oder als Aberglauben“ verbreitet gewesen, schreiben die Autoren der Studie, die Soziologin Dr. habil. Christel Gärtner und die Theologen und Sozialethiker Prof. Dr. Karl Gabriel und Prof. Dr. Hans-Richard Reuter. „Die Kirchen wurden als gesellschaftliche Randerscheinung betrachtet. Diese Haltung ist unter Meinungsmachern nicht mehr zu finden. Sie sehen die Kirchen als wesentliche zivilgesellschaftliche Kraft in einer Situation des Umbruchs.“

Durch die Globalisierung, die wachsende Vielfalt der Religionen und einen radikalisierten Islam sei viel Verunsicherung entstanden, so die Wissenschaftler: „Aus Sicht der Journalisten können die Kirchen Orientierung geben, indem sie helfen, die eigene religiös-kulturelle Identität zu stärken“.

Religion und Gewalt

Die Autoren haben für die qualitative Studie anonymisierte Interviews mit 18 Chefredakteuren und Ressortleitern von überregionalen Printmedien sowie TV und Radio geführt. Sie befragten sie detailliert über den Nachrichtenwert von Religion, über Gründe für die Zunahme der Berichterstattung sowie über die eigenen religiösen und normativen Orientierungsmuster. Die Daten wurden 2007 erhoben, als die medial breit vermittelte Papstwahl noch stark im Bewusstsein war, und vor Beginn des Missbrauchsskandals in der Kirche. „An den gesellschaftlichen und religionspolitischen Umständen hat sich aber wenig geändert.“

Die befragten Journalisten sehen das Thema Religion auch im Zusammenhang mit religiös motivierter Gewalt und politischen Konflikten, wie die Befragung ergab. Daraus leiten sie einen hohen Nachrichtenwert für die Berichterstattung ab. Als Zäsur betrachten die Medienmacher die Attentate des 11. Septembers 2001. „Wenn Religion unter führenden Journalisten negativ bewertet wird, betrifft das also vornehmlich den Islam“, schreiben die Autoren.

Die Chefredakteure messen der Religion im Mediengeschehen keine Sonderstellung bei, wie aus den Interviews hervorgeht. Vielmehr folge die Berichterstattung üblichen journalistischen Auswahlkriterien wie Neuigkeit, Nähe, Konflikt und Tragweite. Letzteres Kriterium führt der Studie zufolge dazu, dass Medien vor allem über Religion als Massenphänomen in kirchlichen Kontexten berichten, „weil Millionen von Menschen den Kirchen angehören und kirchliche Feste ihren Jahreskreis strukturieren“. Der in den 1980er Jahren üblichen Berichterstattung über eine frei flottierende, nicht-institutionalisierte Religiosität, etwa über Esoterik, messen die befragten Journalisten kaum Bedeutung zu.

Die persönliche Religiosität der Befragten ähnelt den Mustern, die die Journalisten für die Berichterstattung formulieren: Die neue religiöse Vielfalt mit einem großen muslimischen Bevölkerungsanteil motiviert sie, die Wurzeln der eigenen Kultur im Christentum zu suchen und sich der eigenen kulturellen Identität zu vergewissern. „Diese sehen die Meinungsmacher in einer geglückten Verbindung aus Christentum, Humanismus und Aufklärung“, schreiben die Autoren. „Für eine solche Verbindung machen sie im Islam im Unterschied zum Christentum prinzipielle Hindernisse aus.“ (vvm) (Quelle: idw)

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