07.04.2021 14:58
Wie wir Lernen lernen: Neue Erkenntnisse zu Ablauf und Verortung von statistischem Lernen im Gehirn
Menschen nehmen von Geburt an unbewusst Strukturen in ihrer Umwelt wahr. Schon Säuglinge können zum Beispiel einzelne Worte in Silbenströmen erkennen. Diese Fähigkeit wird als statistisches Lernen bezeichnet. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Frankfurter Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik, der NYU Langone Health und der Yale University haben nun erstmals gezeigt, wie und wo im Gehirn statistisches Lernen stattfindet.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Während bisher hauptsächlich erforscht wurde, welche Veränderungen im Gehirn nach einem statistischen Lernprozess auftreten, war wenig darüber bekannt, wo diese Prozesse verortet sind und wie das Gehirn die Grundeinheiten entschlüsselt, aus denen Sprache und visuelle Verarbeitung bestehen.
Um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen, sammelte das Forschungsteam über vier Jahre hinweg Daten anhand intrakranieller Aufzeichnungen. Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden mit akustischen und visuellen Reizen in Form von Silbenströmen und fraktalen Musterfolgen konfrontiert. Was sie nicht wussten: In diesen Datenflüssen verbargen sich ihnen bisher unbekannte Grundeinheiten von Worten und Bildpaaren.
Mithilfe einer neuartigen Technik, dem so genannten „Neural Frequency Tagging“, identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Bereiche im Gehirn, die auf diese verborgenen Grundeinheiten reagierten. Anschließend untersuchten sie, wie die verschiedenen Aspekte der Datenströme codiert wurden.
„Einige Bereiche des Gehirns codieren nur die statistischen Eigenschaften der Datenströme oder verfolgen die Position einzelner Elemente innerhalb der Grundeinheiten. Andere Bereiche des Gehirns, wie zum Beispiel der Hippocampus, codieren die Grundeinheiten im Gesamten“, erläutert Lucia Melloni vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass mehrere Rechensysteme parallel existieren. Durch die Entschlüsselung dieses Rechengerüsts und der genauen Verortung der Lernprozesse im Gehirn konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine maßgebliche Lücke in der Forschung um das statistische Lernen schließen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Lucia Melloni
Tel.: +49 69 8300479-330
lucia.melloni@ae.mpg.de
Originalpublikation:
Simon Henin, Nicholas B. Turk-Browne, Daniel Friedman, Anli Liu, Patricia Dugan, Adeen Flinker, Werner Doyle, Orrin Devinsky und Lucia Melloni (2021): Learning hierarchical sequence representations across human cortex and hippocampus. Science Advances 7(8), eabc4530. doi:10.1126/sciadv.abc4530
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
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