Wie wird ein Fledermaus-Virus zum Pandemie-Auslöser? Nach Aminosäure-Austausch bindet RaTG13 an menschliche Zellen



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30.11.2021 11:29

Wie wird ein Fledermaus-Virus zum Pandemie-Auslöser? Nach Aminosäure-Austausch bindet RaTG13 an menschliche Zellen

Das Fledermaus-Virus RaTG13 ist ein naher Verwandter von SARS-CoV-2, doch anders als der Verursacher der COVID-19-Pandemie kann RaTG13 nur schlecht an menschliche Zellen andocken. Allerdings reicht der Austausch einer einzigen Aminosäure im Spike-Protein dieses Fledermaus-Coronavirus aus, damit es ähnlich wie SARS-CoV-2 über den ACE2-Rezeptor an menschliche Zellen binden kann. Dies hat eine Studie aus dem Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm gezeigt, die jüngst im Fachjournal Nature Communications publiziert wurde. Ein weiteres Ergebnis der Arbeit: Eine Impfung gegen SARS-CoV-2 kann möglicherweise helfen, das Überspringen von solchen Krankheitserregern v

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Der Verursacher der COVID-19-Pandemie, SARS-CoV-2, wurde höchstwahrscheinlich direkt oder über einen Zwischenwirt von Fledermäusen auf den Menschen übertragen. Das Virus konnte sich so rasch in der menschlichen Bevölkerung ausbreiten, weil es menschliche Lungenzellen effektiv infiziert. Welche Eigenschaften es Fledermausviren ermöglichen, auf den Menschen überzuspringen, ist derzeit noch wenig verstanden. Bekannt ist, dass SARS-CoV-2 mit seinem Spike-Protein am ACE2-Rezeptor menschlicher Zellen andocken und dadurch in die Zellen eindringen kann. Ein Forschungsteam um den Ulmer Virologen Professor Frank Kirchhoff hat nun gezeigt, dass der Austausch einer einzigen Aminosäure im Spike-Protein des Fledermaus-Virus RaTG13 ausreicht, damit dieses Protein über den ACE2-Rezeptor an menschliche Zellen andocken und zu deren Infektion führen kann. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im renommierten Fachjournal Nature Communications.

„Die gezielte Mutation einer Aminosäure im Spike-Protein des RaTG13, genauer gesagt an Position 403, erlaubt es diesem Fledermaus-Coronavirus, am selben Rezeptor anzudocken wie SARS-CoV-2: dem humanen ACE2-Rezeptor“, erklärt Professor Frank Kirchhoff, Leiter des Instituts für Molekulare Virologie am Universitätsklinikum Ulm. Das Forschungsteam konnte außerdem den grundlegenden Mechanismus aufzeigen, der erklärt, wieso der ACE2-Rezeptor auf das modifizierte Spike-Protein plötzlich eine so anziehende Wirkung entfaltet: „Die ausgetauschte Aminosäure im Spike-Protein des Virus ist positiv geladen und interagiert mit einer negativ geladenen Aminosäure im humanen ACE2-Rezeptor-Molekül“, so Fabian Zech, Erstautor der Studie und Doktorand am Institut für Molekulare Virologie.

Die wissenschaftliche Arbeit ist ein perfektes Beispiel für das interdisziplinäre Zusammenspiel von experimenteller Laborarbeit und theoretischer Computer-Modellierung. Auf der einen Seite haben die Ulmer Virusforscher und -forscherinnen durch die gezielte Erzeugung von Mutationen (Mutagenese) das Spike-Protein des Virus in seiner Aminosäuren-Zusammensetzung verändert. Auf der anderen Seite halfen computergestützte Modellierungen dabei, Proteinstrukturen und Protein-Protein-Interaktionen aufzuklären. Diese wurden von Dr. Christoph Jung aus dem Institut für Elektrochemie der Universität Ulm von Professor Timo Jacob durchgeführt. Dabei kamen sogenannte reaktive Kraftfeldmethoden zum Einsatz, mit deren Hilfe Einblicke in die physikochemischen Eigenschaften und Wechselwirkungsenergien gewonnen werden können.

Die umgekehrte Mutation macht SARS-CoV-2 weniger infektiös

Die Ulmer Virologen und Virologinnen habe es in dieser wissenschaftlichen Arbeit nicht nur geschafft, das Spike-Protein des Fledermaus-Coronavirus RaTG13 mit gentechnischen Eingriffen in die Lage zu versetzen, menschliche Zellen zu infizieren. Sie konnten auch nachweisen, dass eine umgekehrte Mutation bei SARS-CoV-2 (R403T) den Pandemie-Erreger schwächt und eine Virusinfektion der menschlichen Zellen reduziert. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die positiv geladene Aminosäure wichtig für die hohe Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 ist.

Das Forschungsprojekt hat aufgezeigt, welche Eigenschaften von Coronaviren entscheidend dafür sind, dass diese als Zoonosen auf den Menschen überspringen können. Die Ergebnisse tragen somit dazu bei, das Risiko zukünftiger viraler Pandemien besser abschätzen zu können. Und noch ein weiterer Aspekt macht die Studie interessant: So haben die Forschenden außerdem untersucht, ob aktuelle Impfungen gegen SARS-CoV-2 vor nahe verwandten Fledermaus-Viren und damit vor zukünftigen Zoonosen schützen können. Das Ergebnis: „Die Seren von Personen, die gegen COVID-19 geimpft wurden, konnten das Fledermaus-Virus effektiv unschädlich machen. Die SARS-CoV-2-Impfung könnte also helfen, ein zukünftiges Überspringen solcher viralen Erreger auf den Menschen zu verhindern“, so die Forschenden.

Beteiligt an diesem Forschungsprojekt des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie waren Virusforscher und Infektionsbiologen aus Erlangen-Nürnberg, München und Göttingen sowie weitere Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Elektrochemie, der Inneren Medizin und Medizinischen Mikrobiologie. Unterstützt wurde die Studie – die als Preprint bereits veröffentlicht wurde und auf großes Interesse stieß – von der DFG (u.a. aus dem Heisenberg-Programm), vom BMBF, vom Freistaat Bayern und der Internationalen Graduiertenschule für Molekulare Medizin (IGradU) der Universität Ulm. Realisiert wurde diese wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des Ulmer Sonderforschungsbereichs 1279 „Nutzung des menschlichen Peptidoms zur Entwicklung neuer antimikrobieller und anti-Krebs Therapeutika“.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Frank Kirchhoff, Leiter des Instituts für Molekulare Virologie des Universitätsklinikum Ulm, E-Mail: frank.kirchhoff@uni-ulm.de


Originalpublikation:

Spike residue 403 affects binding of coronavirus spikes to human ACE2
Fabian Zech, Daniel Schniertshauer, Christoph Jung, Alexandra Herrmann, Arne Cordsmeier, Qinya Xie, Rayhane Nchioua, Caterina Prelli Bozzo, Meta Volcic, Lennart Koepke, Janis A. Müller, Jana Krüger, Sandra Heller, Steffen Stenger, Markus Hoffmann, Stefan Pöhlmann,
Alexander Kleger, Timo Jacob, Karl-Klaus Conzelmann, Armin Ensser, Konstantin M. J. Sparrer & Frank Kirchhoff ✉, in: Nature Communications, volume 12, Article number: 6855 (2021), https://doi.org/10.1038/s41467-021-27180-0


Anhang

attachment icon Gruppenbild v.l.: Dr. Christoph Jung, Fabian Zech, Prof. Frank Kirchhoff, Dr. Daniel Schniertshauer, Dr. Konstantin Sparrer. Es fehlt Prof. Timo Jacob


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW