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16.07.2025 17:00
Forschende übertragen Nobelpreis-Idee auf Röntgenlicht und schaffen Superauflösung am European XFEL
In der Fachzeitschrift Nature berichten Forschende über eine neue Methode der Spektroskopie, die Rauschen in wertvolle Daten verwandelt. Sie hilft, das Verständnis chemischer Reaktionen und Materialeigenschaften mit beispielloser Detailgenauigkeit auf atomarer Ebene zu verbessern.
Ein internationales Team von Forschenden hat eine neuartige Röntgentechnik für die Bildgebung auf atomarer Ebene entwickelt, die unser Verständnis der Elektronenbewegung auf mikroskopischer Ebene revolutionieren könnte. Um detaillierte Momentaufnahmen von atomaren Prozessen zu erstellen, nutzten sie dazu die außerordentlichen Möglichkeiten des European XFEL Röntgenlasers in Schenefeld bei Hamburg, dem größten Röntgenlaser der Welt.
Die Technik, die als stochastische stimulierte Röntgen-Raman-Streuung (s-SXRS) bezeichnet wird, wandelt Rauschen in wertvolle Daten um und liefert Momentaufnahmen der elektronischen Strukturen von Atomen. Die Raman-Streuung liefert eine Art „Fingerabdruck“ von den mit Röntgenlicht beleuchteten Atomen oder Molekülen. Forschende erhalten dadurch Informationen über deren angeregte elektronische Zustände.
Der innovative Ansatz wurden von Forschenden des Argonne National Laboratory des US-Energieministeriums (DOE), des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, der Experimentierstation Small Quantum Systems (SQS) von European XFEL und anderer Einrichtungen entwickelt. Er ebnet nach Ansicht der Forschenden den Weg für Durchbrüche in der chemischen Analyse und Materialwissenschaft.
„Seit langem träumen Chemikerinnen und Chemiker davon, zu sehen, wie sich Elektronen in angeregten Zuständen bewegen, da dies chemische Reaktionen antreibt“, sagt Linda Young, Argonne Distinguished Fellow und Professorin an der University of Chicago. „Unsere Technik bringt uns der Verwirklichung dieses Traums näher.“
Die nun entwickelte superauflösende Technik hilft Forschenden, sehr eng beieinander liegende Energieniveaus in Atomen zu identifizieren. Zugleich bietet sie tiefe Einblicke in die elektronischen Strukturen, die viele chemische Eigenschaften bestimmen. „Stellen Sie sich das wie ein Upgrade von einem Standard-Fernseher auf einen Ultra-HD-Bildschirm vor“, erklärt Young. „Wir sind jetzt in der Lage, die feinen Details der Elektronenbewegung zu sehen, die zuvor verschwommen oder unsichtbar waren.“
Die praktischen Anwendungen der stochastischen stimulierten Röntgen-Raman-Streuung sind vielfältig. Sie kann beispielsweise Einblicke in die Bildung oder den Bruch chemischer Bindungen liefern und so zu einem tieferen Verständnis grundlegender Prozesse beitragen, die für die chemische Analyse relevant sind. Dieses Wissen ist für die Entwicklung neuer Materialien mit spezifischen elektronischen Eigenschaften von entscheidender Bedeutung und hat Auswirkungen auf Branchen wie die Elektronik oder Nanotechnologie.
In ihren Experimenten schossen die Forschenden die Röntgenblitze des European XFEL durch ein Neongas. Anschließend sammelten sie die resultierende Strahlung mit einem Spektrometer. Die etwa fünf Millimeter kleine Hochdruck-Gaszelle wurde vom Max-Planck-Institut für Kernphysik entwickelt. Der intensive Strahl erzeugte winzige Löcher in den Ein- und Ausgangsfenstern der Zelle, sodass das Röntgenlicht zu einem Gitterspektrometer gelangen konnten – einem Gerät, das Licht in seine verschiedenen Wellenlängen zerlegt. Das Gitterspektrometer wurde von der Universität Uppsala in Schweden zur Verfügung gestellt.
Die Expertinnen und Experten von European XFEL koordinierten die Installation des Versuchsaufbaus und testeten ihn gründlich. „Dadurch konnten wir optimale Fokussierungsbedingungen gewährleisten, die für die effiziente Erfassung großer Datenmengen während des Experiments entscheidend waren“, erklärt Michael Meyer, Gruppenleiter des Instruments Small Quantum Systems (SQS) bei European XFEL und Forscher im Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“.
Wenn die Röntgenstrahlen das Gas durchdringen, verstärken sie die Raman-Signale um fast das Milliardenfache. Dieses starke Signal liefert innerhalb von Billionstel Sekunden detaillierte Informationen über die elektronische Struktur des Gases. Durch die Analyse der Beziehung zwischen den einfallenden Impulsen und den resultierenden Raman-Signalen konnten die Forschenden ein detailliertes Energiespektrum aus vielen einzelnen Momentaufnahmen erstellen, anstatt langsam verschiedene Energieniveaus abzutasten.
„Die große Anzahl von Röntgen-Photonen in jedem Röntgenblitz ist der Schlüssel zur höchsten spektralen Auflösung, da viele dieser Lichtquanten gleichzeitig den Detektor treffen“, sagt Thomas Pfeifer vom Max-Planck-Institut für Kernphysik und dem Exzellenzcluster STRUCTURES der Universität Heidelberg. „Dieser Ansatz ähnelt der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie, für deren Entwicklung unter anderem der Max-Planck-Forscher Stefan Hell 2014 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde“, fügt Pfeifer hinzu.
Ein weiteres Erfolgsrezept war die Verwendung einer statistischen Methode: der sogenannten Kovarianzanalyse. Sie verknüpft die einfallenden Röntgenimpulse mit den emittierten Raman-Signalen. Dadurch wird das, was früher als „Rauschen“ galt, zu einer wertvollen Ressource, die es ermöglicht, detaillierte Informationen aus komplexen Daten zu extrahieren. Dies verbessert nicht nur die Auflösung, sondern beschleunigt auch die Datenerfassung und liefert schnelle und detaillierte Momentaufnahmen der atomaren Wechselwirkungen.
Einen weiteren wichtigen Teil fügte die Argonne Leadership Computing Facility (ALCF) hinzu. Die Einrichtung des DOE Office of Science stellte die erforderliche Rechenleistung zur Simulation der komplexen Wechselwirkungen zwischen Röntgenimpulsen und Materie bereit. Die Simulationen stimmten weitgehend mit den experimentellen Daten überein und lieferten darüber hinaus wertvolle Erkenntnisse darüber, wie sich Röntgenimpulse beim Durchqueren von Gasen verhalten. Die Berechnungen trugen somit entscheidend zum Verständnis der Bewegungen und Wechselwirkungen bei und ebnen den Weg für zukünftige Untersuchungen.
Die Forschenden sind der Auffassung, dass die s-SXRS zu einem Standardwerkzeug in Laboren weltweit werden könnte und Fortschritte und Innovationen in vielen Bereichen vorantreiben. Michael Meyer ist überzeugt: „Diese Studie ist ein hervorragendes Beispiel für die Leistungsfähigkeit des European XFEL, insbesondere für seine hohen Intensitäten und die kürzlich demonstrierte Erzeugung extrem kurzer Röntgenimpulse mit einer Dauer von weniger als einer Billionstel Sekunde. Diese Fortschritte werden sicherlich weitere Untersuchungen zur Entschlüsselung der Dynamik komplexer chemischer Reaktionen nach sich ziehen.“
„Wir stehen erst am Anfang dessen, was wir mit dieser Detailgenauigkeit erreichen können“, sagt Young. „Es ist eine spannende Zeit für Wissenschaft und Technologie.“
Weitere Mitwirkende an dieser Arbeit sind Christian Ott, Alexander Magunia und Marc Rebholz vom Max-Planck-Institut für Kernphysik, Marcus Agåker von der Universität Uppsala und der Universität Lund, Phay Ho und Gilles Doumy vom Argonne National Laboratory, Marc Simon von der Sorbonne-Universität, Tommaso Mazza, Alberto De Fanis, Thomas M. Baumann, Jacobo Montano, Nils Rennhack, Sergey Usenko und Yevheniy Ovcharenko von European XFEL; Kalyani Chordiya von der Universität Hamburg und der Louisiana State University; Lan Cheng von der Johns Hopkins University; Jan-Erik Rubensson von der Universität Uppsala und Mette B. Gaarde von der Louisiana State University.
Die Studie wurde vom DOE Office of Science, Basic Energy Science, Chemical Sciences, Geosciences and Biosciences Division, dem Hamburger Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter”, dem Heidelberger Exzellenzcluster STRUCTURES der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem European Research Council (ERC) sowie der Max-Planck-Gesellschaft gefördert.
Ergänzendes Erklärvideo und O-Töne der Forschenden:
https://youtu.be/mk7gyPrK69E
Originalpublikation:
Super-resolution stimulated X-ray Raman spectroscopy
https://www.nature.com/articles/s41586-025-09214-5
Bilder
Eine einfallende Röntgenlichtwelle (links), die in der Regel aus einer chaotischen Verteilung sehr s …
Quelle: Illustration by Stacy Huang
Copyright: Argonne National Laboratory
Dichtes Gas verstärkt spezifische Raman-Signale. Die Analyse mit einem Gitter liefert anschließend e …
Quelle: Illustration by Stacy Huang
Copyright: Argonne National Laboratory
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Informationstechnik, Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
