19.02.2021 20:00
Ein ausgebremster Bremser
Eine Genmutation ist für viele Fälle des Cushing-Syndroms verantwortlich. Wie ein Team des Würzburger Uniklinikums jetzt zeigen konnte, trägt sie durch ihr Eingreifen an einer zentralen Stelle in Nebennierenzellen zu dem krankhaften Cortisol-Anstieg bei.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Von außen betrachtet, sind die Symptome klar: Menschen, die an einem endogenen Cushing-Syndrom erkrankt sind, fallen durch ihr bauchbetontes Übergewicht auf, ihr Gesicht ist rund, der Nacken kräftig. Klar sind auch die medizinischen Parameter, die mit dieser Krankheit einhergehen: Bluthochdruck, eine Muskelschwäche, Diabetes und eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte sind die klassischen Begleiterscheinungen.
Weniger klar waren bislang die molekularen Ursachen des endogenen Cushing-Syndroms. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität und des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) ist es bereits vor einigen Jahren gelungen, eine Mutation zu identifizieren, die sich als wesentlich für die Krankheitsentwicklung erwiesen hat. Jetzt ist es gelungen den genauen Wirkmechanismus noch etwas weiter aufzuklären. Federführend dabei waren Dr. Isabel Weigand, Professor Martin Fassnacht und Dr. Silviu Sbiera aus der Endokrinologie am UKW. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Science Advances haben sie die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlicht.
Gutartige Tumore der Nebenniere sind der Auslöser
„Eine Ursache für das endogene Cushing-Syndrom sind Cortisol-produzierende gutartige Tumore der Nebenniere“, erklärt Martin Fassnacht. Wie frühere Studien zeigen, sind in gut 35 bis 60 Prozent aller Fälle genetische Veränderungen in den Tumorzellen der verantwortliche Faktor. Sie sorgen für Veränderungen in einem bestimmten Signalweg, dem Protein-Kinase-A-Signalweg – konkret in der katalytischen Untereinheit Cα.
Was bisher nicht bekannt war: „Diese Mutation beeinflusst den Signalweg auf weiteren, zusätzlichen Ebenen“, erklärt Dr. Silviu Sbiera. Und Dr. Isabel Weigand, Erstautorin der Studie ergänzt: „Unbekannt war auch die Tatsache, dass eine der vier regulatorischen Untereinheiten der Protein-Kinase-A die Cortisolsekretion in diesen Tumoren hemmen kann“.
Eine Genmutation steht am Anfang
Wie das Team aus der Endokrinologie zeigen konnte, setzen die Mutationen in den Tumorzellen einen verhängnisvollen Prozess in Gang: Die Zellen exprimieren verstärkt eine Protease, die sogenannte Caspase16. Diese Protease wiederum erkennt an ihrem „Kann weg“-Vermerk die regulatorische Untereinheit, die die Cortisolsekretion im Normalfall hemmt. In der Folge wird diese, in der Fachsprache RIIβ genannte Untereinheit von der Zelle verstärkt abgebaut. Eine wesentliche Bremse der Cortisolsekretion fällt damit aus.
„Wir konnten zeigen, dass RIIβ einen hemmenden Effekt auf die Cortisolsekretion in Nebennierenzellen hat und dass die Caspase16, welche bislang lediglich als Pseudogen beschrieben war, für den Abbau der RIIβ verantwortlich ist“, fasst Silviu Sbiera die wesentlichen Ergebnisse der Studie zusammen. Als Pseudogene bezeichnet die Wissenschaft Gene, von denen nicht bekannt ist, welche Proteinprodukte sie kodieren. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse legen somit den Schluss nahe, dass Caspase16 fälschlicherweise als Pseudogen klassifiziert wurde.
Die neuen Erkenntnisse können nach Ansicht der Wissenschaftler dazu beitragen, neue Therapien gegen das Cushing-Syndrom zu entwickeln. Ziel ist es, den Abbau der regulatorischen Untereinheit IIβ zu verhindern. Darüber hinaus schlagen sie vor, das verantwortliche Gen weiter zu erforschen und das von ihm kodierte, bislang relativ unbekannte Protein besser zu charakterisieren.
Förderung
Diese Studie wurde unterstützt aus Mitteln des IZKF Würzburg, des ERA-NET „E-Rare“, der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Graduate School of Life Sciences der Uni Würzburg.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Isabel Weigand, LMU Klinikum, T: +49 89 44 00 57 59 47 59 4
isabel.weigand@med.uni-muenchen.de
PD. Dr. Silviu Sbiera, Leiter der Forschungsabteilung der Endokrinologie an der Universitätsklinikum Würzburg, T: +49 931 201 39702, Sbiera_S@ukw.de
Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls Endokrinologie & Diabetologie, Universitätsklinikum Würzburg, T: +49 931 201-39021, Fassnacht_M@ukw.de
Originalpublikation:
PKA Cα subunit mutation triggers caspase-dependent RIIβ subunit degradation via Ser114 phosphorylation. Isabel Weigand, Cristina L. Ronchi, Jens T. Vanselow, Kerstin Bathon, Kerstin Lenz, Sabine Herterich, Andreas Schlosser, Matthias Kroiss, Martin Fassnacht, Davide Calebiro, Silviu Sbiera. Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.abd4176
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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