24.06.2021 11:00
Einsatz von Machine Learning im Kampf gegen Covid-19
Ein an der Technischen Hochschule Aschaffenburg entwickelter und in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Würzburg erprobter KI-Algorithmus hilft bei der Vorhersage des Verlaufs einer Nierenbeteiligung bei Covid-19-Patienten.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Covid-19 ist eine Multisystemerkrankung, deren Schwere und Verlauf von der Art und Anzahl beteiligter Organsysteme abhängt. Verschiedene Risikofaktoren wie Adipositas, Bluthochdruck und erhöhtes Alter verschlechtern den Verlauf. Kommt noch die Beteiligung von Herz und Nieren dazu, steigt das Risiko, an einer Covid-19-Infektion zu versterben, drastisch.
Ausgehend von Hinweisen darauf, dass das Virus SARS-CoV2 häufig mit Nierenversagen in Verbindung steht, untersuchten Prof. Dr. Holger v. Jouanne-Diedrich von der Technischen Hochschule Aschaffenburg und die Leiterin des Transplantationszentrums des Uniklinikums Würzburg, Dr. Anna Laura Herzog, bei schwerkranken Covid-19-Patienten, ob man anhand einer vorliegenden Proteinurie (übermäßige Ausscheidung von Eiweiß über den Urin) ein Nierenversagen, die Entwicklung einer chronischen Nierenerkrankung und die Mortalität vorhersagen kann. Dazu verwendeten sie Machine-Learning-(ML)-Methoden, die teilweise an der TH Aschaffenburg entwickelt wurden.
Algorithmus öffentlich kostenlos verfügbar
Das von Jouanne-Diedrich entwickelte OneR-Paket ermöglicht es, auf einfache Weise Einflussfaktoren und Grenzwerte (Cut-Off-Punkte) zu finden. „Ich bin stolz, dass das OneR-Paket im Kampf gegen die Pandemie einen Beitrag leisten kann“, freut sich der Professor, der an der Technischen Hochschule Aschaffenburg im Bereich Künstliche Intelligenz lehrt und forscht sowie den neuen Studiengang Medical Engineering and Data Science mit konzipiert, aufgebaut und gestaltet hat. „Ich habe das Paket der interessierten Öffentlichkeit schon vor einiger Zeit kostenfrei zur Verfügung gestellt, damit auch andere Forscherinnen und Forscher sowie Datenanalystinnen und -analysten in verschiedensten Bereichen daraus Nutzen ziehen können.“
Das Besondere an dem neu entwickelten Verfahren ist, dass die Ergebnisse in Form von leicht verständlichen Regeln dargestellt werden. Damit ist es oft komplizierteren Verfahren, wie zum Beispiel Neuronalen Netzen, sogenanntem Deep Learning, überlegen, welche schwer nachvollziehbar sind. Nicht nur im medizinischen Kontext ist eine gute Interpretierbarkeit der Ergebnisse von großer Wichtigkeit.
Von den in diesem Vorhaben einbezogenen 37 Corona-Patienten erlitten 24 ein akutes Nierenversagen, 20 Patienten benötigten eine Nierenersatztherapie, also regelmäßige Blutwäschen. Mehr als 40 % der Patienten waren auch nach Verlegung von der Intensivstation noch auf die Dialyse angewiesen, knapp ein Drittel der schwer kranken Patienten ist verstorben.
Proteinverlust als wichtige Vorhersage-Variable
In der Studie wurde untersucht, ob sich das Nierenversagen im Falle einer schweren Covid-19-Infektion vorhersagen lässt und ob es Blutwerte der Routinebehandlung gibt, die den Verlauf prognostizieren können. Bei einer akuten Erkrankung der Niere gehen häufig Blutproteine verloren, die dann im Urin nachgewiesen werden können. Es konnte bei den meisten Patienten, die später ein Nierenversagen entwickelten, schon am Aufnahmetag eine Proteinurie nachgewiesen werden. Der ML-Algorithmus konnte unter anderem den Proteinverlust, also die Nierenbeteiligung als eine wertvolle Variable zur Vorhersage des Verlaufs identifizieren und damit prognostizieren, ob eine längerfristige chronische Nierenerkrankung zu erwarten ist. OneR fand Cut-off-Punkte von >31,4 kg/m2 für den Body-Mass-Index (BMI) und >69 Jahre für das Alter, ab einem Wert darüber war das Sterberisiko bei den Patient*innen deutlich erhöht.
Alle Ergebnisse der gemeinsamen Forschungsarbeit wurden im Wissenschaftsjournal PLOS One veröffentlicht und können frei abgerufen werden: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0251932
Das von Prof. Holger v. Jouanne-Diedrich entwickelte OneR-Paket ist frei verfügbar unter: https://blog.ephorie.de/oner-in-medical-research-finding-leading-symptoms-main-p…
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Holger von Jouanne-Diedrich, Holgervon.Jouanne-Diedrich@th-ab.de
Originalpublikation:
Herzog AL, von Jouanne-Diedrich HK, Wanner C, Weismann D, Schlesinger T, Meybohm P, et al. (2021) COVID-19 and the kidney: A retrospective analysis of 37 critically ill patients using machine learning. PLoS ONE 16(5): e0251932. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0251932
Weitere Informationen:
https://blog.ephorie.de/oner-in-medical-research-finding-leading-symptoms-main-p… (das frei verfügbare, von Prof. Holger v. Jouanne-Diedrich entwickelte OneR-Paket)
http://www.studieren-in-ab.de/meds (Informationen zum Studiengang Medical Engineering and Data Science an der TH Aschaffenburg)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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