Mit Abwasser schnell und kostengünstig zum R-Wert



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15.12.2021 08:00

Mit Abwasser schnell und kostengünstig zum R-Wert

Ein vom Schweizerischen Nationalfonds finanziertes interdisziplinäres Forschungsteam zeigt, dass Abwasseranalysen Aufschluss über die Reproduktionszahl des Coronavirus geben.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Seit Beginn der Sars-Cov-2-Pandemie beruhen Entscheidungen über Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit häufig auf Schätzungen über die Dynamik des Virus, genauer gesagt auf der Reproduktionszahl (auch bekannt als R-Wert). Dieser Wert gibt an, wie viele Menschen im Durchschnitt von einer infizierten Person angesteckt werden, und steht somit für die Übertragungsgeschwindigkeit der Krankheit.

Bisher wurde der R-Wert anhand klinischer Daten geschätzt, insbesondere aufgrund der positiv Getesteten, der Hospitalisierungen oder der Todesfälle. Nun hat ein vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstütztes Forschungsteam erstmals gezeigt, dass es auch möglich ist, die Reproduktionszahl des Virus mittels Abwasseranalysen zuverlässig zu schätzen. Die Studie wurde auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlicht und wurde also noch nicht begutachtet (*).

Bestimmung der Anzahl infizierter Personen

Infizierte Personen geben das Virus ins Abwassersystem ab, zum Beispiel beim Zähneputzen oder auf der Toilette. Je nachdem, wie viele Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt erkrankt sind, ist die Viruskonzentration im Abwasser unterschiedlich hoch. “Wir bestimmen die Virenlast im Abwasser mit einem Test, der ähnlich funktioniert wie die PCR-Tests beim Menschen. Kurz gesagt analysieren wir, wie viel genetisches Material des Virus sich im Abwasser befindet”, erklärt Jana Huisman, Postdoktorandin an der ETH Zürich und Erstautorin der Studie.

Der nächste Schritt ist die Schätzung der Reproduktionszahl aufgrund der Virenlast. Hier kommt ein vom Forschungsteam entwickeltes mathematisches Modell ins Spiel. “Anhand der Virenlast, die wir im Abwasser messen, können wir schätzen, wie viele Personen vom Virus infiziert sind, und die Dynamik über die Zeit verfolgen”, führt Huisman aus. Damit lässt sich auch die Reproduktionszahl des Virus schätzen.

Effiziente und günstige Methode

Die Technik wurde in Zürich und in den USA getestet und hat sich als zuverlässig erwiesen: Es resultieren ähnliche Schätzungen für den R-Wert wie mit klinischen Daten, falls das Abwasser mindestens dreimal pro Woche analysiert wird. Diese Häufigkeit gewährleistet gemäss den Forschenden ein optimales Verhältnis von Genauigkeit und Kosten.

Die Überwachung von Sars-Cov-2 im Abwasser ist nicht neu. Doch dank der vom Forschungsteam entwickelten Technik ist es nun möglich, diese Messungen schnell und kostengünstig in einem Wert auszudrücken, der für epidemiologische Szenarien von direktem praktischen Nutzen ist. “Ausserdem benötigen wir dafür keine klinischen Daten”, sagt Huisman. Dies ist ein wichtiger Punkt, da klinische Daten verzerrt sein können. Wenn sich zum Beispiel die Kriterien dafür ändern, wer sich einem Test unterziehen muss, beeinflusst dies die Zahl der positiv Getesteten. Auch die Kriterien für die Erfassung der Hospitalisierungen oder der Covid-19-bedingten Todesfälle können ändern.

Ein weiterer Vorteil ist, dass die Technik des Forschungsteams auch regelmässige Analysen ermöglicht, wenn an einem Ort kaum klinische Tests durchgeführt werden. Der Ansatz könnte ausserdem zur Überwachung anderer Krankheitserreger, für die keine klinischen Daten vorliegen, eingesetzt werden, z. B. für andere humane Coronaviren, Enteroviren, Noroviren, Rotaviren oder sogar für Influenza.

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Besseres Verständnis des Virus

Im Frühjahr 2020 wurde durch Covid-19 ein internationaler Gesundheitsnotstand ausgelöst. Zur raschen Intensivierung der notwendigen Forschung lancierte der SNF eine Sonderausschreibung für Forschungsprojekte zum Coronavirus. Dieses Projekt wurde im Rahmen dieser Förderung finanziert.

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Der Text dieser Medienmitteilung, ein Download-Bild und weitere Informationen stehen auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Jana Huisman
ETH Zürich
Universitätstrasse 16
8092 Zürich
Tel.: +41 44 632 91 46
E-Mail: jana.huisman@env.ethz.ch


Originalpublikation:

(*) J. Huisman, J. Scire, L. Caduff, X. Fernandez-Cassi, P. Ganesanandamoorthy, A. Kull, A. Scheidegger, E. Stachler, A. Boehm, B. Hughes, A. Knudson, A. Topol, K. Wigginton, M. Wolfe, T. Kohn, C. Ort, T. Stadler, T. Julian: Wastewater-based estimation of the effective reproductive number of SARS-CoV-2, medRxiv (2021).
https://doi.org/10.1101/2021.04.29.21255961
Dieser Artikel ist ein Preprint und wurde nicht peer-reviewed.


Weitere Informationen:

https://www.snf.ch/de/Mhz1a3piOEoSgb2B/news/mit-abwasser-schnell-und-kostenguens…


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW