06.12.2021 13:12
Silvesterfeuerwerk: Verkaufsverbot reduzierte Augenverletzungen um 80 Prozent
Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) begrüßt das neuerliche Verkaufsverbot für Pyrotechnik zu Silvester. Wie eine Umfrage der DOG an 75 deutschen Kliniken zeigt, reduzierte das Verkaufsverbot zum Jahreswechsel 2020/2021 die Zahl der Augenverletzungen im Vergleich zu den Vorjahren um mehr als 80 Prozent. Um schwere, langfristige Schäden durch Raketen, Böller und Co über die Zeit der Pandemie hinaus zu vermeiden, plädieren die Augenärzte dafür, privates künftig durch gemeinschaftliches, professionell organisiertes Feuerwerk zu ersetzen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Seit dem Jahreswechsel 2016/17 führt die DOG regelmäßig Umfragen an den deutschen notdienstleistenden Augenkliniken durch, um die Anzahl und Schwere von Augenverletzungen zu erfassen, die sich in den Tagen um Silvester durch Feuerwerkskörper ereignen. „Wie die Erhebungen zeigen, kam es zu den Jahreswechseln 2016/2017 bis 2019/2020 zu jeweils etwa 500 Fällen von Augenverletzungen“, berichtet Dr. med. Ameli Gabel-Pfisterer von der Klinik für Augenheilkunde am Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam.
Dabei stellten die Experten alle Jahre wieder fest: Ein Viertel der Betroffenen erlitt so schwere Schäden, dass eine stationäre Behandlung erforderlich wurde. „Unbeteiligte, Kinder und Jugendliche traf es stets besonders häufig“, ergänzt die Expertin. So zündete mehr als die Hälfte der Verletzten den Feuerwerkskörper nicht selbst, und der Anteil der Minderjährigen betrug bis zu 40 Prozent – obwohl sie nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. „Tragischerweise ist bei 40 Prozent der Verletzten ein dauerhafter Sehverlust zu erwarten“, sagt Gabel-Pfisterer.
Im vergangenen Winter aber änderte sich die Situation grundlegend: Zum Jahreswechsel 2020/21 sprach die Politik ein deutschlandweites Verkaufsverbot für Feuerwerkskörper aus, um die Krankenhäuser in der COVID-19-Pandemie zu entlasten; vielerorts galten zudem Ausgangsbeschränkungen, Versammlungs- und Böllerverbote. In dieser Saison beteiligten sich 75 Augenkliniken an der DOG-Silvesterumfrage, so viele wie nie zuvor. Ergebnis der nahezu flächendeckenden Erhebung: Die Verletztenzahl in den Augenkliniken sank drastisch ab – von üblicherweise 500 auf 79 Personen zum Jahreswechsel 2020/2021.
„Das bedeutet einen Rückgang bei den Augenverletzungen auf weniger als 20 Prozent der Vorjahreswerte“, betont Professor Dr. med. Hansjürgen Agostini von der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg. Zugleich fiel der Anteil der verletzten Minderjährigen auf 25 Prozent. „Wir stellen fest: Verkaufsverbot und Versammlungsbeschränkungen hatten eindeutig einen Schutzeffekt“, resümiert Agostini. Der Effekt entspricht internationalen Studien, wonach in Ländern oder Regionen mit Verbot von privatem Feuerwerk die Inzidenz von Augenverletzungen durch Pyrotechnik um 87 Prozent sinkt.
Vor dem Hintergrund der dramatischen Zahlen will die Arbeitsgruppe „Feuerwerksverletzung“ der DOG eine Petition für sicheres Silvesterfeuerwerk starten. „Ziel dieser Initiative ist, privates durch gemeinschaftliches, professionelles Feuerwerk zu ersetzen“, erläutert Gabel-Pfisterer. „Ein solches Feuerwerk, das sich privat, über Bürgerspenden oder durch Gemeinden finanziert, kann vielfältig und prächtig sein und zum Erlebnis im Dorf, in der Stadt oder Metropole werden“, ergänzt Agostini. Neben professionellen Feuerwerkern könnten auch angeleitete kommunale Spezialisten – beispielweise aus den Reihen der lokalen Feuerwehr – für Qualität und Sicherheit sorgen.
Der gesundheitsfördernde Effekt eines solchen Paradigmenwechsels dürfte jedenfalls enorm sein. „Da Augenverletzungen je nach Studie zehn bis fünfzehn Prozent aller Verletzungen durch Pyrotechnik ausmachen, kann man abschätzen, wie hoch das protektive Potential sicherer Feuerwerke insgesamt ist“, betonen die beiden DOG-Experten.
DOG: Forschung – Lehre – Krankenversorgung
Die DOG ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Augenheilkunde in Deutschland. Sie vereint unter ihrem Dach mehr als 8.000 Mitglieder, die augenheilkundlich forschen, lehren und behandeln. Wesentliches Anliegen der DOG ist es, die Forschung in der Augenheilkunde zu fördern: Sie unterstützt wissenschaftliche Projekte und Studien, veranstaltet Kongresse und gibt wissenschaftliche Fachzeitschriften heraus. Darüber hinaus setzt sich die DOG für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Augenheilkunde ein, indem sie zum Beispiel Stipendien vor allem für junge Forscherinnen und Forscher vergibt. Gegründet im Jahr 1857 in Heidelberg ist die DOG die älteste augenärztliche Fachgesellschaft der Welt und die älteste fachärztliche Gesellschaft Deutschlands.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
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