02.10.2019 11:46
Topologie auf der Spur: ein ultraschnelles Verfahren kitzelt kritische Informationen aus Quantenmaterialien heraus
Topologische Isolatoren sind exotische Quantenmaterialien, die dank einer besonderen elektronischen Struktur entlang ihrer Oberflächen und Kanten elektrischen Strom leiten wie ein Metall. Ihr Inneres hingegen ist ein Isolator und nicht leitfähig. Wissenschaftler des Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) haben nun erstmals zeigen können, wie man solche topologischen Materialien innerhalb einer Femtosekunde von herkömmlichen Materialien unterscheiden kann, indem man sie mit ultraschnellem Laserpulsen bestrahlt. Das Verfahren könnte neue Möglichkeiten für den Einsatz solcher Materialien als logische Bausteine in der lichtgesteuerten Elektronik eröffnen.
Die bekannteste Darstellung des Konzepts der Topologie beruht auf einer elastischen Brezel, die beliebig auseinandergezogen, verbogen oder verdreht werden kann. Wie man sie auch verformt: Es ist unmöglich, aus einer Brezel einen Bagel zu machen oder Löcher hinzuzufügen, ohne sie zu zerreißen. Die Anzahl von Löchern in einer Brezel ist unveränderlich und beinhaltet topologische Informationen über die Form der Brezel.
In einem Festkörper bestimmen die Gesetze der Quantenphysik, welche Energien Elektronen haben können. Dies führt zur Bildung von sogenannten elektronischen Bändern, die entweder erlaubte oder verbotene Energien aufweisen. Mit Hilfe des Konzepts der Topologie können Physiker nun komplex geformte Bänder mit erlaubten Energien beschreiben und ihnen eine spezifische topologische Zahl zuweisen. Eine besondere Topologie der elektronischen Bandstruktur in einem Materialsystem zeigt sich in entsprechenden exotischen Eigenschaften – wie etwa in der Oberflächenleitfähigkeit topologischer Isolatoren.
„Der außergewöhnlichste Aspekt der Topologie ist ihre Robustheit: Durch Topologie hervorgerufene Eigenschaften werden von ihr geschützt“, erklärt Dr. Álvaro Jiménez-Galán vom MBI, einer der beiden Hauptautoren des Artikels. So wie man die Anzahl der Löcher in einer Brezel nicht verändern kann, ohne sie zu zerreißen, beeinträchtigen Verunreinigungen und andere Defekte – die sonst die Stromleitfähigkeit eines Materials beeinträchtigen – nicht die hohe Elektronenmobilität auf der Oberfläche topologischer Isolatoren. Diese Unempfindlichkeit gegenüber Verunreinigungen ist der Grund, warum die Elektronikindustrie sich seit einiger Zeit stark für topologische Materialien interessiert.
Wie Elektronen ihre Topologie preisgeben
Obwohl die Topologie eines Systems eng mit dem Verhalten der in ihm enthaltenen Elektronen verknüpft ist, ließ sich der Einfluss topologischer Eigenschaften auf die Dynamik der Elektronen auf der Zeitskala von etwa einer Femtosekunde (millionstel milliardstel Sekunde) bislang nicht nachweisen. Anhand numerischer Simulationen und theoretischer Analysen hat das Forscherteam am MBI nun zeigen können, auf welche Weise die Informationen über die Topologie eines solchen Systems in seiner ultraschnellen Elektronendynamik kodiert sind. Diese Informationen lassen sich ermitteln, indem man die Elektronen zunächst mit Laserstrahlung anregt und dann das von ihnen emittierte Licht analysiert.
„Wenn wir uns die Elektronen in einem Festkörper, die sich entlang bestimmter Energiebänder bewegen, wie Läufer auf einer Rennstrecke vorstellen, dann ermöglicht es unsere Methode, die Topologie dieser Rennstrecke zu ermitteln, einfach indem wir die Beschleunigung der Läufer messen”, erklärt Prof. Dr. Olga Smirnova, Leiterin einer Theoriegruppe am MBI. Die ultrakurzen Laserpulse regen die Elektronen in dem System so an, dass sie von einem Energieband auf ein höheres springen, wobei sie auf der neuen „Rennstrecke“ eine Beschleunigung erfahren. Die beschleunigten Elektronen emittieren dabei Licht und fallen schnell wieder auf die untere Bahn zurück. Der ganze Prozess dauert nur Sekundenbruchteile, ist aber lang genug, dass ein Elektron den feinen Unterschied zwischen den Energiestrukturen von gewöhnlichen und topologischen Isolatoren „spüren“ und diese Informationen auf das emittierte Licht übertragen kann.
Auf dem Weg zur ultraschnellen Lichtwellen-Elektronik
Die neue Studie zeigt, wie man mit ultrakurzen Pulsen zwischen gewöhnlichen und topologischen Isolatoren unterscheiden und wie man die topologischen Informationen des Systems mittels Laserspektroskopie auslesen kann. Im nächsten Schritt wollen die MBI-Forscher dieses Wissen nutzen, um mit Hilfe von Laserstrahlung einen gewöhnlichen Isolator in einen topologischen zu verwandeln und umgekehrt – also die topologischen Informationen entsprechend schnell in das Material zu „schreiben“. Der theoretische Nachweis dieses Effekts könnte den Einsatz topologischer Materialien in der optisch gesteuerten Elektronik voranbringen, bei der die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung nur durch die Reaktionsgeschwindigkeit der Elektronen auf Licht begrenzt ist.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie
Dr. Álvaro Jiménez-Galán
Attosecond Theory Group
E-Mail alvaro.jimenez@mbi-berlin.de
Tel. +49 30 6392-1239
Prof. Dr. Olga Smirnova
Strongfield Theory Group
E-Mail olga.smirnova@mbi-berlin.de
Tel. +49 30 6392-1340
Originalpublikation:
Topological strong-field physics on sub-laser-cycle timescale
R. E. F. Silva, Á. Jiménez-Galán, B. Amorim, O. Smirnova & M. Ivanov, Nature Photonics. 1-6 (2019)
doi: 10.1038/s41566-019-0516-1
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
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