05.11.2021 13:00
Tropenfrösche ermöglichen neue Erkenntnisse zu Nierenkrankheit
Mithilfe modernster Gentechnik haben UZH-Forschende in tropischen Fröschen ein Modell zur Untersuchung einer erblichen Nierenkrankheit entwickelt. Dies ermöglicht ihnen, grosse Datenmengen zu den entsprechenden Anomalien zu sammeln und diese mit Künstlicher Intelligenz zu analysieren. Das Vorgehen eröffnet effiziente Möglichkeiten für die Suche nach Therapeutika gegen die bisher unheilbare Krankheit.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Die Anatomie und die Funktion der Organe von Fröschen sind denjenigen von Menschen verblüffend ähnlich. Ein internationales Team unter der Leitung von Soeren Lienkamp, Professor am Anatomischen Institut der UZH, hat sich dies zunutze gemacht und den Tropenfrosch Xenopus tropicalis für die Modellierung menschlicher Erbkrankheiten eingesetzt. Dabei haben sich die Forschenden auf die polyzystische Nierenerkrankung konzentriert – eine angeborene und derzeit unheilbare Form des fortschreitenden Nierenverfalls – und diese in Fröschen nachgebildet.
Krankheitsprozesse in Echtzeit beobachten
Mithilfe der CRISPR/Cas9-Methode haben die Wissenschaftler gezielt Gene ausgeschaltet, die bei Patientinnen und Patienten mit zystischer Nierenerkrankung eine Rolle spielen. «Unsere neuartigen Froschmodelle entwickeln innerhalb weniger Tage Zysten in den Nieren, so dass wir zum ersten Mal beobachten können, wie diese Krankheitsprozesse in Echtzeit ablaufen», sagt der Erstautor Thomas Naert. Während die meisten genetischen Studien an Mäusen durchgeführt werden, haben Frösche Eigenschaften, die sich für Untersuchungen in grösserem Massstab eignen. «Ein Froschpaar kann Hunderte oder sogar Tausende von Eiern produzieren», so Naert. «Deshalb schwärmen die Kaulquappen im Frühling in den Seen in so grosser Zahl aus.» In vergleichbarer Weise lassen sich im Labor grosse Mengen von Xenopus-tropicalis-Kaulquappen so verändern, dass sie die zu untersuchenden zystischen Nierenkrankheiten entwickeln.
Künstliche Intelligenz analysiert Daten aus Lichtblattmikroskopie
Um die Analyse dieser grossen Anzahl Tiere zu bewältigen, nutzte das Team Lichtblattmikroskopie – eine Technik, die eine 3D-Rekonstruktion der gesamten Kaulquappe und aller ihrer Organe ermöglicht. Ähnlich wie bei der Magnetresonanztomographie lässt sich das Gewebe der Kaulquappen mit der Lichtblatttechnik virtuell durchleuchten, um zu den erkrankten Organen vorzudringen. Die gesammelten Daten verarbeiteten die Forschenden mithilfe von künstlicher Intelligenz, was eine schnelle, automatisierte Beurteilung der Krankheit erlaubt. «Während mein Team sonst Tage bis Wochen brauchte, um die Daten von Hunderten von Kaulquappen zu analysieren, kann künstliche Intelligenz diese Aufgabe jetzt in wenigen Stunden leisten», sagt Lienkamp.
Anhand der so analysierten Froschmodelle lassen sich neue Erkenntnisse über die frühen Prozesse der polyzystischen Nierenerkrankung gewinnen. Das ist die Grundlage für die Entwicklung neuer Versorgungsansätze für die betroffene Patientinnen und Patienten.
Finanzierung:
Die Studie wurde durch den Schweizer Nationalfonds (SNF), den NCCR Kidney.ch sowie durch ERC Horizon2020 (Starting Grant und Marie Skłodowska-Curie-Programm) finanziert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Kontakt
Prof. Soeren Lienkamp
Universität Zürich
Anatomisches Institut
Tel. +41 (0) 44 635 53 48
E-Mail: soeren.lienkamp@uzh.ch
Originalpublikation:
Literatur
Thomas Naert et al. Deep learning is widely applicable to phenotyping embryonic development and disease, Development, 5. November 2021. DOI: 10.1242/dev.199664
Weitere Informationen:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2021/Frosch.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch