20.04.2021 12:00
Wie SARS-Coronaviren die menschliche Zelle zum eigenen Vorteil umfunktionieren
Coronavirus-Forscherinnen und -Forscher um Prof. Rolf Hilgenfeld von der Universität zu Lübeck und Privatdozent Dr. Albrecht von Brunn von der Ludwigs-Maximilians-Universität München, beides Forscher am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), konnten einen Forschungserfolg im angesehenen “EMBO Journal” publizieren: Sie fanden heraus, wie SARS-Viren die Herstellung viraler Proteine in infizierten Zellen so anregen, dass viele neue Kopien des Virus gebildet werden können. Andere Coronaviren als SARS-CoV und SARS-CoV-2 verfügen nicht über diesen Mechanismus, so dass hier eine Erklärung für die ungleich höhere Pathogenität der SARS-Viren liegen könnte.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Seit mehr als 50 Jahren sind Coronaviren bekannt, die beim Menschen harmlose Erkäl-tungskrankheiten auslösen. Mit dem SARS-Coronavirus trat 2002/2003 erstmals ein Coronavirus auf, welches bei Infizierten zu schweren Lungenerkrankungen führte. Beim Vergleich der RNA-Genome von für den Menschen harmlosen Coronaviren und dem des SARS-Virus stießen Forscher auf eine Region, die nur in letzterem vorkam und deswegen “SARS-unique Domain” (SUD) genannt wurde.
Solche Genregionen und ihre Proteinprodukte könnten mit der außerordentlichen Pathogenität des SARS-Coronavirus und seines jüngsten Verwandten, des COVID-19-Virus SARS-CoV-2, in Zusammenhang stehen.
Die Arbeitsgruppen von Hilgenfeld und von Brunn zeigten, dass das SUD-Protein der Vi-ren wechselwirkt mit einem menschlichen Protein namens Paip-1, welches wiederum an den ersten Schritten der Proteinbiosynthese beteiligt ist. Zusammen mit Paip-1 und ande-ren Proteinen der menschlichen Zelle bindet SUD offenbar an die Proteinsynthesefabrik der Wirtszelle, die Ribosomen, und steigert so die Herstellung aller Proteine. Dadurch würden alle Proteine, sowohl die der menschlichen Zelle als auch die des Virus, in ver-stärktem Maße hergestellt. Doch werden in mit SARS-CoV oder SARS-CoV-2 infizierten Zellen die Boten-RNA-Moleküle, die menschliche Proteine kodieren, durch das Virus ge-zielt zerstört, und zwar durch ein virales Protein namens Nsp1. Als Folge dieses kompli-zierten Prozesses produziert die infizierte Zelle dann überwiegend virale Proteine, so dass viele neue Kopien des Virus gebildet werden können.
Die Arbeitsgruppe von Albrecht von Brunn hatte die Wechselwirkung zwischen den Pro-teinen SUD und Paip1 vor mehreren Jahren entdeckt. “Als erfahrener Coronavirus-Forscher wusste ich, dass man die Besonderheiten des SARS-Coronavirus-Genoms an-schauen muss, wenn man dieses Virus verstehen will”, sagt Albrecht von Brunn.
Die Entdeckung aus München war von höchstem Interesse für Hilgenfeld, dessen Arbeits-gruppe bereits früher die dreidimensionale Struktur des SUD-Proteins aufgeklärt hatte, und die beiden Arbeitsgruppen taten sich zusammen. Dr. Jian Lei in Hilgenfelds Gruppe, inzwischen Gruppenleiter an der Sichuan University in Chengdu (China), gelang es, den Komplex aus SUD und Paip1 zu kristallisieren und seine dreidimensionale Struktur mittels Röntgenstrukturanalyse aufzuklären. Und Co-Erstautorin Dr. Yue “Lizzy” Ma-Lauer in von Brunns Gruppe charakterisierte den Komplex der beiden Proteine und seine Funktion durch eine Vielzahl von zellbiologischen und biophysikalischen Methoden.
“Derartige Wechselwirkungsstudien zwischen Coronavirusproteinen und Proteinen der infizierten menschlichen Zelle werden uns helfen zu verstehen, wie sich die Viren Schlüs-selfunktionen der Wirtszelle zunutze machen”, freut sich Hilgenfeld über die neuen Er-gebnisse. Die Arbeiten der beiden Forschergruppen wurden u.a. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) finanziell unterstützt.
Die Originalpublikation wurde am 20.April 2021 hier veröffentlicht:
J. Lei et al., The SARS-unique domain (SUD) of SARS-CoV and SARS-CoV-2 interacts with hu-man Paip1 to enhance viral RNA translation. EMBO Journal.
https://www.embopress.org/doi/10.15252/embj.2019102277
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Hilgenfeld
Universität zu Lübeck
Institut für Biochemie
Ratzeburger Allee 160
D-23562 Lübeck
Tel.: +49 451 3101 9058
Mobil: +49 1520 1450335
E-Mail: rolf.hilgenfeld@uni-luebeck.de
PD Dr. rer. nat. Dr. habil. med. Albrecht von Brunn
Ludwig-Maximilians-Universität München
Max von Pettenkofer-Institut
Lehrstuhl Virologie
Pettenkoferstrasse 9a
D-80336 München
Tel.: +49 89 218072839
E-Mail: vonBrunn@mvp.lmu.de
Originalpublikation:
J. Lei et al., The SARS-unique domain (SUD) of SARS-CoV and SARS-CoV-2 interacts with hu-man Paip1 to enhance viral RNA translation. EMBO Journal.
https://www.embopress.org/doi/10.15252/embj.2019102277
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Medizin
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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