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04.06.2025 14:19
Alte DNA enthüllt Papua-Neuguineas genetische Vergangenheit
In der zerklüfteten Landschaft Papua-Neuguineas, wo mehr als 800 Sprachen gesprochen werden, wirft eine bemerkenswerte Entdeckung neues Licht auf eine der bemerkenswertesten Migrationen der Menschheitsgeschichte. In einer neuen Studie hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig die ersten alten Genome (aDNA) aus Papua-Neuguinea und dem Bismarck-Archipel entschlüsselt. Den Forschenden ist es gelungen, genetische Erkenntnisse aus einer ebenso kulturreichen wie historisch bedeutsamen Region zu gewinnen.
Auf den Punkt gebracht
– 2.500 Jahre Menschheitsgeschichte in Papua-Neuguinea: Die ersten alten Genome aus Papua-Neuguinea und dem Bismarck-Archipel erweitern durch den genetischen Blickwinkel unser Verständnis früher Migrationen über den Ozean und wie Menschen im Pazifik in der Vergangenheit interagierten.
– Unterschiedliche Einflussbereiche damals und heute: Verschiedene kulturelle und genetische Gruppen lebten über lange Zeiträume hinweg nebeneinander, ohne sich zu vermischen. Das heutige Mosaik verschiedener Sprachen und Kulturen entstand vermutlich schon vor 650 Jahren, als sich Netzwerke nach einer Zeit schwieriger Umweltbedingungen neu sortierten. Die Studie gibt neue Einblicke in die komplexe Besiedlungsgeschichte dieser frühen Gemeinschaften und regionale Unterschiede.
– Interdisziplinärer Ansatz: Die Kombination von alter DNA und Erkenntnissen aus Archäologie und Linguistik liefert ein ganzheitlicheres Bild davon, wie Genetik, Kultur und Umwelt die reiche Vielfalt der Gesellschaften im Pazifik beeinflusst haben.
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Die Studie kombiniert alte DNA mit linguistischen Einsichten und neuen Erkenntnissen zur Ernährung in der Vergangenheit und zeichnet damit ein lebendiges Bild der vorkolonialen Gesellschaften, die einst in den Küstengebieten Papua-Neuguineas lebten. Neuguinea, das vor über 50.000 Jahren besiedelt wurde, diente als wichtiger Ausgangspunkt für frühe Seefahrten zu den entferntesten Inseln des Pazifiks. Dieses Kapitel der Menschheitsgeschichte ist geprägt von außergewöhnlichen navigatorischen Leistungen.
Der Lapita-Kulturkomplex und die frühen Pioniere des Pazifikraums
Vor rund 3.000 Jahren wurde der Bismarck-Archipel zur Wiege der Lapita-Kultur. Die Seefahrer dieser Kultur waren für ihre kunstvollen Töpferwaren und ihren Nutzpflanzenanbau bekannt und unternahmen beeindruckende Reisen, die sie mehrere Tausend Kilometer über den offenen Ozean bis nach Vanuatu, Tonga und Samoa führten. Das genetische Erbe dieser frühen Pioniere des Pazifiks und der Inseln, die einst ihre Heimat waren, blieb jedoch bis heute unerforscht.
„Unsere Ergebnisse sind ein bedeutender Meilenstein in unserem Verständnis der genetischen Geschichte Papua-Neuguineas“, sagt Dylan Gaffney, Archäologe und Co-Autor der Studie. „Zum ersten Mal verfügen wir über direkte genetische Belege von Menschen, die diese Region in der Vergangenheit bewohnten. Diese Genome ermöglichen uns, das Verständnis der Geschichte des Pazifikraums zu erweitern.“
Ein Nebeneinander Leben im Bismarck-Archipel
Auf der Insel Watom im Bismarck-Archipel fanden Missionare Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Töpferwaren im Lapita-Stil. Eines der beeindruckendsten Ergebnisse der Studie zeigt, dass Watom auch von Individuen mit vollständig papuanischen genetischen Merkmalen bewohnt wurde. Alle auf der Insel bei Ausgrabungsarbeiten entdeckten Individuen sind jünger als die ersten Lapita-Keramik Funde. Eines dieser Individuen weist zudem einen seltenen Fall kultureller Schädelmodifikation auf – einer absichtlichen Veränderung der Schädelform. Die Ergebnisse zeigen, dass die Insel durch genetisch und kulturell unterschiedliche Gruppen bewohnt war.
Späte Vermischung
Die Studie betont auch den Einfluss von Migrationen und Interaktionen auf die genetische Zusammensetzung früher Gemeinschaften. Seit der Zeit vor etwa 2.100 Jahren weisen die genetischen Profile der Individuen unterschiedliche Anteile Papuanischer und Asiatischer Herkunft auf, die im Zusammenhang mit der austronesischen Expansion stehen.
„Unsere Analyse zeichnet ein faszinierendes Bild der frühesten Begegnungen im Bismarck-Archipel“, erklärt Co-Autorin Rebecca Kinaston. „Trotz der gemeinsamen Besiedlung scheinen sich die verschiedenen Gruppen lange Zeit nicht vermischt zu haben, was für menschliche Begegnungen eher ungewöhnlich ist.“
Die Tatsache, dass es lange Zeit nicht zum genetischen Austausch kam, sowie die Anwesenheit von Menschen mit papuanischem Herkunftsprofil geben Aufschluss über eine umstrittene Frage der pazifischen Menschheitsgeschichte: Kamen die ersten Siedlerinnen und Siedler auf den abgelegenen Inseln West-Ozeaniens „unvermischt” an und haben sich erst später mit Menschen aus Neuguinea vermischt? Die neuen Erkenntnisse stützen frühere Studien, die dieses Szenario für wahrscheinlich halten, und sie geben Aufschluss über die Seefahrerkünste der papuanischen Vorfahren, die auch die weite Reise nach Vanuatu antraten, wo ihre Anwesenheit vor 2.600 belegt ist.
Besiedlung der Marianen-Inseln
Ein Individuum liefert neue Erkenntnisse zur Besiedlung der nördlich von Papua-Neuguinea gelegenen Marianen-Inseln. Das genetische Profil dieser Person lässt schließen, dass die Marianen wahrscheinlich von südostasiatischen Inseln aus besiedelt wurde. Diese Route erforderte das Segeln gegen vorherrschende Winde und Strömungen und schließt die einfachere Passage aus den nordöstlichen Inseln Neuguineas aus. „Fehlende alte Genome aus den Philippinen und Taiwan lassen noch etwas Ungewissheit. Nichtsdestotrotz bestätigen unsere Ergebnisse die bemerkenswerten Navigationsfähigkeiten der frühen Besiedlerinnen und Besiedler der Marianen“, sagt Cosimo Posth, einer der Autoren der Studie.
Die Analyse zweier Gemeinschaften, die vor 500 bis 150 Jahren an der Südküste Papua-Neuguineas lebten und geografisch nah beieinander lagen, erwies sich als besonders interessant. Überraschenderweise hörten ihre Vorfahren vor 650 Jahren auf, sich – zumindest genetisch – auszutauschen, obwohl es keine geografischen Barrieren gab. Diese genetische Trennung lässt darauf schließen, dass die Gemeinschaften durch unterschiedliche Interaktionsbereiche und kulturelle Einflüsse geprägt wurden. Das Datieren solcher genetischer Trennungen erweitert unser Verständnis für die Entstehung alter Handelsnetzwerke und sozialer Dynamiken in der Region.
Die Rolle der Umwelt bei der kulturellen Diversifizierung
„Unsere Forschung verdeutlicht, wie das komplexe Zusammenspiel von Genetik, Kultur und Umwelt die Menschheitsgeschichte prägt“, sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Die genetische Trennung zeigt sich nach einer Zeit schwieriger klimatischer Umweltbedingungen, in der Siedlungsaktivitäten zunahmen und regionale Handelsnetzwerke wieder entstanden. Dies unterstreicht die Bedeutung von Umweltfaktoren für die Entstehung kultureller Vielfalt.“
Angesichts der klimatischen und topografischen Herausforderungen in Papua-Neuguinea ist die Gewinnung alter DNA aus dieser Region besonders bemerkenswert. Das heiße und feuchte tropische Klima ist äußerst ungünstig für den Erhalt organischer Materialien, darunter auch DNA. Gleichzeitig haben mehrere Kolonialherrschaften die kulturelle, genetische und sprachliche Landschaft dieser Region verändert. Die Erforschung der Menschheitsgeschichte Papua-Neuguineas anhand alter Genome ermöglicht nun einen Einblick in die bisher verborgene Vergangenheit dieser kulturell vielfältigen und historisch reichen Gebiete.
Interdisziplinärer Ansatz
„Diese Studie unterstreicht die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Erforschung der Geheimnisse der Menschheitsgeschichte“, fasst die leitende Autorin Kathrin Nägele zusammen. „Durch die Kombination archäologischer Daten mit modernen genetischen Analysen und unter Einbeziehung mündlicher Überlieferungen können wir ein umfassenderes Bild unserer gemeinsamen Vergangenheit rekonstruieren.“
Die Veröffentlichung dieser alten Genome ist ein wichtiger Schritt, um die genetische Vielfalt und historische Dynamik Papua-Neuguineas besser zu verstehen. Sie bildet die Grundlage für weitere Forschungen, die zweifellos neue Erkenntnisse über die Ursprünge der kulturellen und sprachlichen Vielfalt im Pazifikraum liefern werden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Kathrin Nägele
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
kathrin_naegele@eva.mpg.de
Dr. Rebecca Kinaston
BioArch South, Neuseeland
contact@bioarchsouth.com
Prof. Dr. Johannes Krause
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
krause@eva.mpg.de
Prof. Dr. Cosimo Posth
Eberhard Karls Universität Tübingen
cosimo.posth@uni-tuebingen.de
Originalpublikation:
Kathrin Nägele , Rebecca Kinaston, Dylan Gaffney, Mary Walworth, Adam B. Rohrlach, Selina Carlhoff, Yilei Huang, Harald Ringbauer, Emilie Bertolini, Monica Tromp, Rita Radzeviciute, Fiona Petchey, Dimitri Anson, Peter Petchey, Claudine Stirling, Malcolm Reid, David Barr, Ben Shaw, Glenn Summerhayes, Hallie Buckley, Cosimo Posth, Adam Powell & Johannes Krause
The impact of human dispersals and local interactions on the genetic diversity of coastal Papua New Guinea over the past 2,500 years
Nature Ecology & Evolution, 04 June 2025, https://doi.org/10.1038/s41559-025-02710-x
Bilder
Die neue Studie zeichnet ein lebendiges Bild der vorkolonialen Gesellschaften, die einst in den Papu …
© Arison Kul für MPI-EVA
Ausgrabungsarbeiten auf der Insel Watom im Bismarck-Archipel, Papua-Neuguinea, in 2009.
© Rebecca Kinaston
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
