Alzheimer: Nervenzellen sind‘s nicht allein – auch Gliazellen produzieren schädliche Proteine



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09.08.2024 13:17

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Alzheimer: Nervenzellen sind‘s nicht allein – auch Gliazellen produzieren schädliche Proteine

Gedächtnisverlust, Verwirrtheit, Sprachstörungen – die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache von Demenz und betrifft weltweit rund 35 Millionen Menschen, Tendenz steigend. Eine Schlüsselrolle in der Erkrankung spielt das Protein Beta-Amyloid, das natürlicherweise im Gehirn vorkommt: Es lagert sich in Betroffenen zu unlöslichen Klumpen zusammen, setzt sich in Form von Plaques zwischen Nervenzellen im Gehirn ab und schädigt diese. Forschende am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften konnten nun zeigen, dass im Gehirn nicht nur Nervenzellen, sondern auch Gliazellen Beta-Amyloid-Proteine produzieren. Dies könnte neue Ansätze für zukünftige Therapien bieten.

Alzheimer ist nicht heilbar. Doch es gibt Therapieansätze, mit denen sich die Amyloid-Plaques im Gehirn reduzieren lassen. Das kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, aber nicht rückgängig machen oder stoppen. „Bisher waren Nervenzellen als vermeintliche Hauptproduzenten von Beta-Amyloid ein Hauptangriffspunkt für neue Medikamente“, erklärt Klaus-Armin Nave, Direktor am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften. Ergebnisse aus seiner Abteilung Neurogenetik zeigten jetzt: Neben Nervenzellen spielen auch bestimmte Gliazellen, sogenannte Oligodendrozyten, eine wichtige Rolle beim Entstehen von schädlichen Plaques.

„Die Aufgabe der Oligodendrozyten ist es unter anderem, Myelin – eine isolierende Schicht – zu bilden und diese zum schnelleren Übertragen von Signalen um die Nervenfasern zu wickeln“, erläutert Andrew Octavian Sasmita, einer der Erstautor*innen der jetzt in Nature Neuroscience veröffentlichten Arbeit und ehemaliger Doktorand der Abteilung Neurogenetik. Die Göttinger Forschungsgruppe hatte bereits in einer früheren Studie entdeckt, dass defektes Myelin der Oligodendrozyten die Alzheimer-Krankheit verschlimmert. Spielen die Gliazellen noch eine größere Rolle bei der Erkrankung als bisher angenommen?

Die Wissenschaftler*innen konnten nun zeigen, dass Nervenzellen zwar die Hauptproduzenten von Beta-Amyloid sind. „Aber auch Oligodendrozyten stellen eine beträchtliche Menge des Proteins her, das in Plaques eingebaut wird“, sagt Sasmita. Eine Forschungsgruppe um Marc Aurel Busche vom University College London (England) kam kürzlich zu ähnlichen Ergebnissen.

Plaque-Bildung eindämmen

Die Zellen des Nervensystems produzieren Beta-Amyloid, indem sie ein größeres Vorläufer-Molekül spalten. Einer der wichtigsten Helfer: das Enzym BACE1. Für ihre Experimente schalteten die Forschenden BACE1 in den Nervenzellen und Oligodendrozyten von Mäusen gezielt aus. Anschließend untersuchten sie die Plaque-Bildung im gesamten Gehirn mithilfe der 3D-Lichtblattmikroskopie und erhielten so ein vollständiges Bild der Amyloid-Plaques in allen Hirnregionen.

„Wenn BACE1 in Oligodendrozyten fehlte, entstanden etwa 30 Prozent weniger Plaques. In Nervenzellen, in denen das BACE1-Gen ausgeschaltet war, reduzierte dies die Plaque-Bildung um über 95 Prozent“, beschreibt Constanze Depp, ebenfalls Erstautorin der Studie und ehemalige Doktorandin in Naves Abteilung. Die Forschenden fanden auch heraus: „Plaque-Ablagerungen bilden sich erst, wenn eine gewisse Menge an neuronalem Beta-Amyloid vorhanden ist. Zu diesen tragen die Oligodendrozyten mit bei.“

Dieser Schwellenwert könnte für Alzheimer-Therapien hilfreich sein. Gelänge es, BACE1 zu hemmen, bevor dieser Schwellenwert erreicht ist, würden möglicherweise auch die Plaques erst später entstehen, betont Nave. Das könnte helfen, den Verlauf der Alzheimer-Krankheit bereits in frühen Stadien auszubremsen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Klaus-Armin Nave
Abteilung Neurogenetik
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
Tel.: +49 551 201-31760
E-Mail: nave@mpinat.mpg.de


Originalpublikation:

Sasmita, A. O.; Depp, C.; Nazarenko, T.; Sun, T.; Siems, S. B.; Ong, E. C.; Nkeh, Y. B.; Boehler, C.; Yu, X.; Bues, B.; Evangelista, L.; Mao, S.; Morgado, B.; Wu, Z.; Ruhwedel, T.; Subramanian, S.; Börensen, F.; Overhoff, K.; Spieth, L.; Berghoff, S. A.; Sadleir, K. R.; Vassar, R.; Eggert, S.; Goebbels, S.; Saito, T.; Saido, T.; Saher, G.; Möbius, W.; Castelo-Branco, G.; Klafki, H.-W.; Wirths, O.; Wiltfang, J.; Jäkel, S.; Yan, R.; & Nave, K.-A.: Oligodendrocytes produce amyloid-β and contribute to plaque formation alongside neurons in Alzheimer’s disease model mice. Nat Neurosci (2024).
https://doi.org/10.1038/s41593-024-01730-3


Weitere Informationen:

https://www.mpinat.mpg.de/4777154/pr_2415 – Original-Pressemitteilung
https://www.mpinat.mpg.de/de/nave – Abteilung Neurogenetik, Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften


Bilder

Bei Alzheimer bilden nicht nur Nervenzellen das Protein Beta-Amyloid (blau), das zu schädlichen Plaques verklumpt: Auch spezielle Gliazellen des Gehirns – die Oligodendrozyten (orange) – produzieren das Protein. Weiß gefärbt ist das isolierende Myelin.

Bei Alzheimer bilden nicht nur Nervenzellen das Protein Beta-Amyloid (blau), das zu schädlichen Plaq
Andrew Octavian Sasmita
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW