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10.12.2024 13:00
ATB in Potsdam leistet Pionierarbeit – Künstlich hergestellte Huminstoffe für die Landwirtschaft
Schnell, kontrolliert und aus Reststoffen: Das Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB) treibt weltweit die Forschung zur künstlichen Herstellung von Huminstoffen und deren nutzbringende Verwendung in der Landwirtschaft voran. Das neue Verfahren der hydrothermalen Humifizierung ermöglicht eine vollständige Verwertung biologischer Reststoffe.
Jeder Landwirt und jede Kleingärtnerin weiß, dass Humus gut für das Pflanzenwachstum ist. Aber warum? Humus enthält Huminstoffe. Diese Stoffe haben zahlreiche Vorteile für den Boden. Besonders fruchtbarer Boden enthält etwa 3 % Huminsäuren, Torf etwa 3 – 10 %. Die Vorteile von Huminstoffen: Sie binden Feuchtigkeit und nützliche Mineralien im Boden und fördern ein gesundes Ökosystem für Mikroorganismen, welche Biomasse in nährstoffreiche Biostimulanzien umwandeln, die das Pflanzenwachstum unterstützen. Landwirte müssen weniger wässern, weniger düngen und der Boden regeneriert sich innerhalb weniger Jahre. Huminstoffe wirken außerdem als pH-Puffer. Stickstoff, z. B. aus Düngemitteln, verbleibt tendenziell im Boden, wodurch das Grundwasser geschützt wird.
Huminstoffe kommen in der Natur vor und werden über viele Jahre hinweg durch biologische Prozesse gebildet, wobei viele Treibhausgase freigesetzt werden. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Kompostierung. In großen Mengen sind Huminstoffe in einem Vorläufer der Braunkohle, der Weichbraunkohle, zu finden, welche zu etwa 85% aus Huminstoffen besteht. Zahlreiche Firmen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auf die aufwändige Gewinnung und schonende Aufbereitung von Huminstoffen spezialisiert, um sie z. B. für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Diese Ressourcen sind jedoch endlich, Kohleabbau und -nutzung gelten als umwelt- und klimaschädlich.
Das ATB setzt daher auf ein hydrothermales Verfahren. Und das mit durchschlagendem Erfolg. Dr. Nader Marzban, Post-Doktorand am ATB und Experte für Biokohle und Huminstoffe, drückt es so aus: „Was die Natur in Jahren mit Hilfe von Mikroorganismen schafft, können wir in Minuten bis Stunden in einem kontrollierbaren Prozess mit Hitze, Druck und Wasser erreichen. In der Landwirtschaft, aber auch in der Landschaftspflege oder in Privathaushalten, fallen viele organische Abfälle an. Wir konnten nachweisen, dass sich viele davon ideal für die Humifizierung eignen. In einem Hochdruckreaktor mischen wir die Biomasse mit Wasser in einem ungefähren Verhältnis von 0,1 zu 0,4. Die Faserbestandteile Cellulose, Hemicellulose und Lignin werden dann unter hohem Druck (zwischen 6 und 60 bar) und bei hoher Temperatur (zwischen 160 und 240°C) aufgeschlossen. Je nach pH-Wert und Temperatur im Reaktor erhalten wir entweder mehr Hydrokohle oder künstliche Huminsäure. Beides sind Feststoffe, deren Farbe von bräunlich bis schwarz reicht“.
Die trockene Verkohlung, auch Pyrolyse genannt, wird von Köhlern schon seit Jahrhunderten genutzt. Im Gegensatz dazu ist die hydrothermale Umwandlung, insbesondere die hydrothermale Humifizierung, noch sehr neu. Die Forschung und der Einsatz in der Praxis nehmen derzeit Fahrt auf, viele Parameter sind jedoch noch unklar. „Hier haben wir am ATB in den letzten Jahren Pionierarbeit geleistet! Nur eine Handvoll Forschungsinstitute weltweit hat sich mit dieser Art der Huminstoffproduktion eingehend beschäftigt“, sagt Dr. Marzban.
Ende 2023 verteidigte Marzban seine Dissertation „Von der hydrothermalen Karbonisierung zur hydrothermalen Humifizierung von Biomasse: Die Rolle der Prozessbedingungen“ mit Auszeichnung (suma cum laude). Kurz darauf veröffentlichten er und seine Kollegen aus Deutschland und dem Iran zwei Arbeiten im international renommierten „Biofuel Research Journal“.
„Inhaltlich stellen wir – das sind Kolleginnen und Kollegen von einigen ausgewählten Forschungsinstituten aus der ganzen Welt – uns folgende Fragen: Welche Biomasse-Ausgangsmaterialien lassen sich künstlich humifizieren? Welche Prozessparameter haben den größten Einfluss auf die Produktion von Huminstoffen? Wie können wir die Eigenschaften unserer Produkte beeinflussen? Neben den Auswirkungen auf die Landwirtschaft stellen wir natürlich auch die Frage nach den Auswirkungen auf die Umwelt. Wie viel Kohlenstoff können wir dauerhaft im Boden speichern, wenn wir Huminstoffe hinzufügen? Und schließlich, welchen Erfolg können wir erzielen? Eine neue Art von Mikrodünger auf Huminstoffbasis ist einer unserer Ansatzpunkte. Die ersten Ergebnisse zeigten, dass die Zugabe von nur 0,01 % unserer Humifizierungsprodukte in den Boden den Keimungsindex deutlich erhöhen und die Pflanzen bei der Aufnahme von mehr Nährstoffen, z. B. Phosphor, unterstützen kann.
Besonders anschaulich ist auch ein Projekt im historischen Park Sanssouci in Potsdam, das vom brandenburgischen Wissenschaftsministerium (MWFK) gefördert wurde. Die alten Bäume dort haben mit jahrelanger Trockenheit zu kämpfen, verlieren an Vitalität und werden anfällig für Krankheiten. Die Parkbetreiber unternehmen große Anstrengungen, um die Bäume zu erhalten. In einem gemeinsamen Projekt mit dem Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Professor Markus Antonietti, und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten haben wir dort versucht, eine 150 – 160 Jahre alte Buche zu retten. Dazu stellten wir künstliche Huminstoffe her und brachten sie in den Boden rund um den Baum ein. Die erste Behandlung erfolgte im Jahr 2022, und die vorläufigen Ergebnisse sind beeindruckend! Der Buche geht es im Vergleich zu unbehandelten Bäumen sehr gut. Natürlich führen wir parallel Versuche an rund 100 kleinen Bäumen durch, um die Ergebnisse zu überprüfen“, sagt Dr. Marzban.
Er arbeitet derzeit an mehreren Projektanträgen, um die Forschung weiter voranzutreiben und das große Potenzial dieser Technologie zu nutzen: „Die hydrothermale Humifizierung kann auch andere Prozesse erleichtern. Am ATB nutzen wir zum Beispiel Biokonversionsverfahren, um mit Hilfe von Mikroorganismen hochwertige Milch- und Bernsteinsäure oder den Energieträger Biogas zu erzeugen. Die Humifizierung ermöglicht es uns, Reststoffe vollständig zu verwerten. Bei der Biogaserzeugung sind z.B. Kohlenhydrate schwer abbaubar und Lignin hemmt den Prozess. Unter Zuhilfenahme von künstlicher Humifizierung können wir bis zu 37 % der Trockensubstanz von Biogasgärresten humifizieren. Dabei entstehen Nebenprodukte wie lösliche organische Verbindungen in der Prozessflüssigkeit. Wenn wir diese bei der Biogaserzeugung wieder dem anaeroben Prozess zuführen, können wir die Methanausbeute verdoppeln. Außerdem entsteht ein humusreicher Gärrest, der als Langzeit-Biodünger chemische Düngemittel ersetzen kann.“
Für Dr. Marzban liegt die Zukunftstauglichkeit dieses Verfahrens auf der Hand. „Wir schließen Kreisläufe und ersetzen fossile Ressourcen im Sinne einer nachhaltigen und zirkulären Bioökonomie. Wenn wir sicherstellen, dass unsere Huminsäuren den natürlichen Vorkommen in Qualität und Nutzen in nichts nachstehen – und das können wir nachweisen –, haben wir ein schnelles, kontrollierbares Verfahren, das nachwachsende Rohstoffe nutzt und eine kaskadische, also mehrstufige Nutzung dieser Biomasse ermöglicht. Ich denke, dass die hydrothermale Humifizierung durch das integrierte Reststoffmanagement und die nachhaltige Umgestaltung der Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Bioökonomie leisten wird. Durch die Integration der hydrothermalen Humifizierung in Bioraffinerien können feste und flüssige Rückstände in Huminstoffe umgewandelt werden, was die Bemühungen um eine abfallfreie Produktion vorantreibt und den Kohlenstoff im Boden bindet“, fasst Dr. Marzban zusammen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Nader Marzban
Wissenschaftler, Thermochemische Konversion, ATB
Telefon: +49 331 5699-339
E-Mail: nmarzban@atb-potsdam.de
Originalpublikation:
Marzban, N.; Libra, J.A.; Rotter, V.S.; Herrmann, C.; Ro, K.S.; Filonenko, S.; Hoffmann, T.; Antonietti, M. (2024): Maximizing the value of liquid products and minimizing carbon loss in hydrothermal processing of biomass: an evolution from carbonization to humification. Biochar 6, 44. https://doi.org/10.1007/s42773-024-00334-1.
Ghaslani, M.; Rezaee, R.; Aboubakri, O.; Sarlaki, E.; Hoffmann, T.; Maleki, A.; Marzban, N. (2024): Lime-assisted hydrothermal humification and carbonization of sugar beet pulp: Unveiling the yield, quality, and phytotoxicity of products. Biofuel Research Journal. https://doi.org/10.18331/BRJ2024.11.1.4
Volikov, A.; Schneider, H.; Tarakina, Nadezda V.; Marzban, N.; Antonietti, M.; Filonenko, S. (2024): Artificial Humic Substances as Sustainable Carriers for Manganese: Development of a Novel Bio-based Microfertiliser. Biofuel Research Journal. https://doi.org/10.18331/BRJ2024.11.1.3
Tkachenko, V.; Marzban, N.; Vogl, S.; Filonenko, S.; Antonietti, M. (2023): Chemical Insight into the Base-Tuned Hydrothermal Treatment of Side Stream Biomasses. Sustainable Energy & Fuels. : p. 769-777. Online: https://doi.org/10.1039/D2SE01513G
Marzban, N. (2023): From hydrothermal carbonization to hydrothermal humification of biomass: The role of process conditions. Online: https://doi.org/10.14279/depositonce-20983
Weitere Informationen:
https://www.atb-potsdam.de/de/aktuelles-und-presse/news/news-detailseite/kuenstl… Pressemitteilung mit allen wissenschaftlichen Quellen
Bilder
Hydrothermal behandelte Stoffe: Der schwarze Stoff (links) wurde mit hydro-thermischer Humifizierung …
Lietze
ATB
Dr. Nader Marzban am hydrothermalen Reaktor
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
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