Fünf Schritte zu einer gelungenen Renaturierung



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03.07.2025 12:16

Fünf Schritte zu einer gelungenen Renaturierung

Verteidigung, Wettbewerbsfähigkeit und ökonomisches Wachstum stehen derzeit in Europa ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Angesichts dieser Herausforderungen droht der Schutz der biologischen Vielfalt aus dem Blick zu geraten. Dabei bietet die neue EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur eigentlich gute Chancen, in diesem Bereich voranzukommen. Im Fachjournal „Restoration Ecology“ plädieren Fachleute von drei deutschen Politikberatungsgremien nachdrücklich dafür, diese Möglichkeiten auch zu nutzen. Wie aber kann das gelingen? Das Team, zu dem auch Wissenschaftlerinnen des UFZ gehören, hat dafür fünf Erfolgsfaktoren identifiziert.

Egal, ob man auf Wälder, Flüsse oder Felder und Wiesen schaut: Viele Ökosysteme in Europa sind in keinem guten Zustand. Und trotz aller Schutzbemühungen nimmt die biologische Vielfalt weiter ab. Fachleute aber haben durchaus die Hoffnung, dass sich das ändern könnte. Denn mit der „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ (Nature Restoration Regulation / NRR) hat die EU ein ehrgeiziges Regelwerk verabschiedet, das im August 2024 in Kraft getreten ist. Ziel dieser Verordnung ist, die biologische Vielfalt in Europa langfristig wieder zu erhöhen und die Natur widerstandsfähiger gegen den Klimawandel und andere Belastungen zu machen. Dazu müssen geschädigte Ökosysteme wiederhergestellt und in einen guten Zustand versetzt werden. Auch sollen gezielt die Bedingungen für bestimmte Artengruppen, zum Beispiel für Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge verbessert werden. Diese Insekten eignen sich auch gut als Indikatoren, um den Zustand von Ökosystemen zu messen. In nationalen Wiederherstellungsplänen müssen nun alle Mitgliedsstaaten festlegen, wie sie die in der Verordnung formulierten Ziele erreichen wollen. Den Entwurf dafür müssen sie bis zum 1. September 2026 bei der EU-Kommission vorlegen.

„Das ist ein Meilenstein in Sachen Ökosystem-Wiederherstellung“, meint der UFZ-Agrarökologe Prof. Dr. Josef Settele, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). „Durch diese Verordnung könnte sich der Zustand der Biodiversität in Europa deutlich verbessern.“ Voraussetzung sei allerdings, dass die Mitgliedsstaaten die verbindlichen Ziele auch mit wirksamen Maßnahmen unterfüttern.

Worauf aber ist dabei zu achten? Mit dieser Frage haben sich drei deutsche Politikberatungsgremien auseinandergesetzt. Neben dem Sachverständigenrat für Umweltfragen waren auch der Wissenschaftliche Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen sowie der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik beteiligt.
„Ursprünglich hatten wir die Empfehlungen speziell für Deutschland entwickelt. Doch wir sind der Ansicht, dass sie auch für andere EU-Staaten relevant sind. Deshalb haben wir die wichtigsten Punkte nun im Fachjournal „Restoration Ecology“ international zugänglich gemacht“, sagt Elisabeth Marquard, wissenschaftliche Mitarbeiterin am UFZ und beim SRU.

Nach Einschätzung des Teams hängt der Erfolg der nationalen Wiederherstellungspläne vor allem von fünf Faktoren ab:

So sei erstens die Einstellung gegenüber Renaturierungsmaßnahmen und Landschaftswandel entscheidend. „Wir brauchen die Unterstützung der Landnutzer, aber auch die der Politik, der Wirtschaft und der breiten Öffentlichkeit“, sagt Elisabeth Marquard. Hierfür sei es wichtig, transparent zu kommunizieren, welche Chancen und Herausforderungen mit Renaturierungsprojekten einhergehen können. Auch seien solche Projekte eher erfolgreich, wenn sich Bürger frühzeitig über Planungsprozesse informieren und an diesen beteiligen könnten.

Zweitens gelte es, sich in jedem EU-Land auf qualitative und quantitative Renaturierungsziele zu verständigen. Denn die EU-Verordnung enthält zwar durchaus Vorschriften darüber, was etwa in Wäldern, auf Landwirtschaftsflächen oder in Städten erreicht werden soll. Jeder Mitgliedsstaat muss aber selbst festlegen, wo genau in welchem Zeitraum welche konkreten Maßnahmen erfolgen sollen. Dabei könnte es beispielsweise darum gehen, Wälder noch konsequenter zu naturnäheren Mischbeständen umzubauen, auf Ackerflächen mehr Hecken zu pflanzen oder urbane Grünflächen biodiversitätsfördernd anzulegen und zu pflegen. Bei der Auswahl von Renaturierungsgebieten sei darauf zu achten, dass sie möglichst untereinander oder mit bereits bestehenden Flächen von hohem Naturschutzwert verbunden sind, damit insgesamt ein größeres Netzwerk von Lebensräumen entsteht.

Drittens wäre es wichtig, die Maßnahmen zur Renaturierung und andere Nutzungsinteressen besser abzustimmen sowie viertens unterstützende Rahmenbedingungen zu schaffen. „Bei diesen beiden Punkten geht es um die Frage, wie man großflächige Renaturierungen am besten organisiert“, erklärt UFZ-Umweltrechtler Moritz Hermsdorf, der auch beim SRU tätig ist. „Außerdem ist es nötig, schädigende Landnutzungspraktiken einzudämmen und Erreichtes abzusichern.“ Dazu müssten teilweise rechtliche Vorgaben angepasst werden, um beispielsweise den Flächenerwerb für die öffentliche Hand zu erleichtern oder die Bedingungen für langfristige vertragliche Vereinbarungen für Renaturierungsmaßnahmen auf Privatflächen zu verbessern. In entsprechenden Verträgen erklären sich Landnutzer oder Besitzer bereit, die nötigen Maßnahmen entweder selbst durchzuführen oder zu dulden.

Entscheidend wäre fünftens, freiwillige Renaturierungsmaßnahmen für Landnutzer attraktiver zu machen. „Das ist vor allem eine Frage der finanziellen Unterstützung“, sagt Elisabeth Marquard. Den größten Hebel böten hier Zahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Auch gelte es, neue Wertschöpfungsquellen zu erschließen. So gibt es bereits Pilotprojekte, in denen Pflanzen aus wiedervernässten Mooren und Feuchtwiesen als nachwachsende Rohstoffe genutzt werden. Der Versandhändler OTTO hat zum Beispiel für seine Waren eine Verpackung entwickelt, die zu zehn Prozent aus Sauergräsern und Binsen von Renaturierungsflächen besteht.

Eine erhöhte gesellschaftliche Akzeptanz für Renaturierung lasse sich häufig mit wirtschaftlichen Argumenten erreichen – aber nicht nur. So sind wiederhergestellte Ökosysteme in der Regel widerstandsfähiger gegen den Klimawandel und sie sorgen für Wasserreinhaltung und Hochwasserschutz. Auch mit einem höheren Erholungswert können sie oft punkten. „Wir müssen klar machen, dass eine Region von einer gelungenen Renaturierung stark profitieren kann“, betont Elisabeth Marquard.

Gerade in der aktuellen politischen Situation halten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen das für besonders wichtig. Denn noch ist keineswegs sicher, dass die neuen EU-Vorschriften ihr Potenzial zum Schutz der Natur auch voll entfalten können. „In einigen politischen Kreisen wird die Wiederherstellungsverordnung derzeit wieder in Frage gestellt“, sagt Josef Settele. Das hält er für einen schweren Fehler: Die Chance, über diese Verordnung etwas für die biologische Vielfalt Europas und gleichzeitig auch für nachhaltige landwirtschaftliche Produktionsbedingungen zu erreichen, dürfe man nicht verpassen. „Biologische Vielfalt und Nachhaltigkeit sind unverzichtbar, auch für anhaltend gute wirtschaftliche Bedingungen in der EU“.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Josef Settele
Leiter UFZ-Department Naturschutzforschung / Sachverständigenrat für Umweltfragen
josef.settele@ufz.de

Elisabeth Marquard
UFZ-Department Naturschutzforschung / Sachverständigenrat für Umweltfragen
elisabeth.marquard@ufz.de


Originalpublikation:

E. Marquard, M. Hermsdorf, H. Dahms, K. Schleicher, S. Strunz, M. Baron, M. Salomon, H.-L. Schmid, S. Wiegand C. Hornberg, N. Farwig, V. Wolters, J. Bauhus, P. Feindt, W. Köck und J. Settele: Underpinning the EU Nature Restoration Regulation: Five success factors for effective measures in the Member States. Restoration Ecology, 2025. https://doi.org/10.1111/rec.70121


Weitere Informationen:

https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/202…


Bilder

Renaturierungsmaßnahmen wie das Anpflanzen von Hecken verbessern die Bedingungen für verschiedene Tierarten und fördern so die biologische Vielfalt.

Renaturierungsmaßnahmen wie das Anpflanzen von Hecken verbessern die Bedingungen für verschiedene Ti
Quelle: André Künzelmann
Copyright: André Künzelmann / UFZ


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Gesellschaft, Meer / Klima, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW