27.05.2021 09:09
Künstliche Neuronen erkennen Biosignale in Echtzeit
Zürcher Forscher haben ein kompaktes stromsparendes Gerät aus künstlichen Nervenzellen entwickelt, das Hirnströme entziffern kann. Anhand aufgezeichneter Hirnstrom-Daten von Epilepsie-Patienten lassen sich mit dem Chip Hirnareale identifizieren, welche die epileptischen Anfälle hervorrufen. Damit eröffnen sich neue Perspektiven für die Therapie.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Die heutigen Algorithmen für neuronale Netze erzielen beeindruckende Ergebnisse bei der Lösung einer unglaublichen Anzahl von Problemen. Allerdings benötigen die elektronischen Geräte, auf denen diese Algorithmen laufen, immer noch zu viel Rechenleistung. Diese Systeme der Künstlichen Intelligenz (KI) können nicht mit echten Gehirnen konkurrieren, wenn es um die Verarbeitung sensorischer Daten oder die Interaktion mit der Umwelt in Echtzeit geht.
Ein neuer vielversprechender Ansatz, der die Lücke zwischen künstlicher und natürlicher Intelligenz schliesst, ist das «Neuromorphic Engineering». Diesem Ansatz folgend hat ein interdisziplinäres Forscherteam der Universität Zürich, der ETH Zürich und des Universitätsspitals Zürich nun einen auf neuromorpher Technologie basierenden Chip entwickelt, der zuverlässig und genau komplexe Biosignale erkennt. Die Wissenschaftler wendeten diese Technologie erfolgreich auf die Detektion von zuvor aufgezeichneten Hochfrequenz-Oszillationen (HFO) an. Diese spezifischen Wellen im intrakraniellen Elektroenzephalogramm (iEEG) haben sich als vielversprechende Biomarker für jenes Hirngewebe etabliert, das epileptische Anfälle hervorruft.
Komplex, kompakt und stromsparend
Die Forschenden haben zunächst einen Algorithmus zur HFO-Erkennung entworfen, der das natürliche neuronale Netzwerk im Gehirn nachahmt: ein kleines sogenanntes Spiking Neural Network (SNN). In einem zweiten Schritt wurde dieses SNN in eine fingernagelgrosse Hardware implementiert, die über Elektroden neuronale Signale empfängt und im Gegensatz zu herkömmlichen Computern enorm stromsparend läuft. Sie ermöglicht Berechnungen mit einer sehr hohen Zeitauflösung, ohne dass dafür Internet oder Cloud-Computing nötig wären. «Unser Aufbau erlaubt es, raumzeitliche Muster in biologische Signalen in Echtzeit zu erkennen», sagt Giacomo Indiveri, Professor am Institut für Neuroinformatik der UZH und der ETH Zürch.
HFO-Messung im OP und ausserhalb des Spitals
Auf Basis ihrer Erkenntnisse planen die Forschenden nun den Aufbau eines elektronischen Systems zur verlässlichen Echtzeit-Erkennung und -Überwachung von HFO. Im Operationssaal als zusätzliche Diagnosemethode eingesetzt, könnte dieses den Outcome neurochirurgischer Eingriffe verbessern.
Die Erkennung von HFO ist jedoch nicht nur dafür wertvoll. Langfristiges Ziel wäre es, auch ein Epilepsie-Überwachungsgerät für den Einsatz ausserhalb des Spitals zu entwickeln, das die Auswertung der Signale einer grossen Anzahl von Elektrodenkontakten über mehrere Wochen oder Monate ermöglicht. «Wir möchten dafür eine drahtlose Datenübertragung mit geringem Stromverbrauch integrieren – beispielsweise zur Datenerfassung auf einem Mobiltelefon», so Indiveri. Johannes Sarnthein, Neurophysiologe am Universitätsspital Zürich, ergänzt: «Ein solcher tragbarer oder implantierbarer Chip könnte Phasen mit hoher oder niedrigen Anfallsneigung identifizieren und so eine personalisierte Medizin ermöglichen.» Die Epilepsieforschung erfolgt am Zentrum für Epileptologie und Epilepsiechirurgie Zürich, einer Kollaboration von Universitätsspital Zürich, Schweizerische Epilepsie-Klinik und Universitäts-Kinderspital Zürich.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Giacomo Indiveri
Institut für Neuroinformatik
Universität Zürich und ETH Zürich
Telefon: +41 44 635 30 26
E-Mail: giacomo@ini.uzh.ch
Prof. Dr. techn. Johannes Sarnthein
Klinik für Neurochirurgie
UniversitätsSpital Zürich
Telefon: +41 44 255 5672
E-Mail: johannes.sarnthein@usz.ch
Originalpublikation:
Mohammadali Sharifshazileh, Karla Burelo, Johannes Sarnthein, Giacomo Indiveri. An electronic neuromorphic system for real-time detection of high frequency oscillations (HFO) in intracranial EEG. Nature Communications. 25 May 2021. DOI: 10.1038/s41467-021-23342-2
Weitere Informationen:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2021/chip.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Elektrotechnik, Informationstechnik, Medizin
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Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
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