Magnetwirbel maßgeschneidert: HZDR-Team nimmt besondere Quasiteilchen unter die Lupe



Teilen: 

19.07.2023 10:15

Magnetwirbel maßgeschneidert: HZDR-Team nimmt besondere Quasiteilchen unter die Lupe

Skyrmionen sind mikroskopisch kleine, magnetische Wirbel, die sich in bestimmten Materialien ausbilden können und 2009 erstmals nachgewiesen wurden. Sie sind deshalb interessant, weil sie für neue Formen der Datenspeicherung in Frage kommen. Die Theorie hatte zudem die Existenz sogenannter Antiskyrmionen vorhergesagt, die schließlich zehn Jahre nach den Skyrmionen entdeckt wurden. Forschende des HZDR, dem MPI CPfS, dem IFW Dresden und der University of South Florida sind dem Ursprung dieses komplexen Phänomens mittels Ionenstrahlsäge und ausgeklügelter Messverfahren auf den Grund gegangen, wie sie im Fachjournal Communications Materials (DOI: 10.1038/s43246-022-00323-6) berichten.

„Ein Antiskyrmion ist gewissermaßen das Antiteilchen des Skyrmions. Beides sind sogenannte Quasiteilchen, die ihre Eigenschaften der kollektiven Wechselwirkung einer Vielzahl von Teilchen im Festkörper verdanken und sich stark von den Eigenschaften der zugrundeliegenden Elementarteilchen unterscheiden“, sagt Dr. Toni Helm vom Hochfeld-Magnetlabor Dresden (HLD) am HZDR. Helm veranschaulicht das Nebeneinander beider Quasiteilchen in einem Bild: „Die mikroskopisch kleinen Skyrmion-Wirbel bilden sich in einem Meer aus magnetischen Teilchen innerhalb spezieller Materialien aus und benehmen sich merkwürdig. Würde sich ein ‚magnetischer‘ Seefahrer ihnen nähern, würde er entweder angezogen oder abgestoßen werden. Antiskyrmionen wiederum wären für ihn kaum auffindbar, da diese eigentümlichen ‚Anti‘-Wirbel das unterschiedliche Verhalten der Skyrmionen in sich vereinen.“

Charakteristischer Fußabdruck, verborgen in elektrischen Signalen

Diese Analogie lässt erahnen, dass die Detektion von Antiskyrmionen recht schwierig ist. Doch Helms Team ist einer theoretischen Vorhersage gefolgt, die einen Weg dafür aufzeigt. Aufgrund einzigartiger geometrischer Eigenschaften – ihrer sogenannten Topologie – verursachen Antiskyrmionen eine zusätzliche Spannung in der elektrischen Leitung des Materials. Das Team hat nun erstmals mittels elektrischer Messmethoden in Kombination mit magnetooptischer Mikroskopie die elektrische Signatur der Antiskyrmionen im untersuchten Material aufgedeckt.

Der charakteristische Fußabdruck der magnetischen Anti-Wirbel ist im sogenannten Hall-Effekt verborgen. Bei diesem Effekt wird der Strom aufgrund eines äußeren Magnetfeldes, das senkrecht zur Fließrichtung angelegt wird, abgelenkt. Mögliche vorhandene topologische Wirbel erzeugen ein lokales Magnetfeld, das zu einer zusätzlichen Spannung führt. Dieses Signal ist laut Theorie direkt mit der jeweiligen Topologie der Wirbel verwoben. So könnte man durch Messung des Hall-Effekts Skyrmionen von Antiskyrmionen unterscheiden. „Unsere Studie legt nahe, dass dieser Beitrag extrem klein und die gemessene Signatur hauptsächlich auf die magnetischen Eigenschaften der Antiskyrmionen zurückzuführen ist. Mit unseren Ergebnissen helfen wir, die eigentliche Hall-Signatur besser von anderen Effekten zu unterscheiden und geben eine erste Abschätzung ihrer Größenordnung, die frühere Forschungsergebnisse widerlegt“, fasst Helm zusammen.

Skalierbar: Je kleiner, desto strukturierter

Helms Team hat sich für die Untersuchungen eine bestimmte magnetische Verbindung aus den Metallen Platin, Mangan und Zinn vorgenommen, die zur Klasse der Heusler-Verbindung zählt. Diese kristallinen Verbindungen zeigen ein anderes Verhalten, als man von ihrer Zusammensetzung her erwarten würde. Sie sind beispielsweise ferromagnetisch, obwohl keines ihrer elementaren Bausteine das für sich allein genommen ist.

In der untersuchten Verbindung können sich unter bestimmten Bedingungen verschiedene topologische Strukturen wie Skyrmionen oder Antiskyrmionen ausbilden. Und den Wissenschaftler*innen ist noch ein weiteres faszinierendes Detail aufgefallen: Die Stärke der Ausprägung der Antiskyrmionen hängt von der Probendicke ab und kann über diese gesteuert werden. „Sie sind in einem massiveren Stück des Ausgangsmaterials nicht feststellbar, treten aber auf, wenn das Material in flache Plättchen mit Dicken unterhalb von zehn Mikrometern geschnitten wird“, erläutert Helm. Dazu verwenden die Physiker*innen eine Art Ionenstrahlkanone, mit der sie die Kristalle des Ausgangsmaterials in feine Teile zersägen.

Bei technologischen Anwendungen spielt die Skalierbarkeit eine entscheidende Rolle. Um etwa zu neuartigen Magnetspeichern und Datenübertragungssystemen zu kommen, die auf solchen Quasiteilchen basieren, sind nanoskalige Bauelemente erforderlich. Weitere Eigenschaften des Materials, die in Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen vom HZDR-Ionenstrahlzentrum erforscht wurden, fanden Eingang in die ergänzenden theoretischen Berechnungen und Simulationen. Mit ihnen konnte Helms Team die Existenz von Antiskyrmionen untermauern und zeigen, wie genau sie sich aus einer hochkomplexen magnetischen Umgebung herausbilden können.

Ausblick

Helm sieht Potential für künftige Anwendungen in der Informationstechnologie: „Skyrmionen werden mittlerweile als Kandidaten für Quantenbits oder kurz Qubits gehandelt, die die Datenspeicherung in topologischen Quantencomputern übernehmen sollen. Wenn das funktioniert, würde es auf unsere Antiskyrmionen gleichermaßen zutreffen.“

Aus technologischer Sicht werden Materialien an Bedeutung gewinnen, in denen diese Effekte bei geringeren magnetischen Feldenergien erzeugt werden können. Hier sind gerade die Heusler-Verbindungen interessant, da sie sich mittels gezielter chemischer Verfahren extrem vielfältig modifizieren lassen.

Publikation:
M. Winter, F. J. T. Goncalves, I. Soldatov, Y. He, B. E. Zúñiga Céspedes, P. Milde, K. Lenz, S. Hamann, M. Uhlarz, P.Vir, M. König, P. J. W. Moll, R. Schlitz, S. T. B. Goennenwein, L. M. Eng, R. Schäfer, J. Wosnitza, C. Felser, J. Gayles, T. Helm, Antiskyrmions and their electrical footprint in crystalline mesoscale structures of Mn1.4PtSn, Communications Materials, 2022 (DOI: 10.1038/s43246-022-00323-6)

Weitere Informationen:
Dr. Toni Helm
Hochfeld-Magnetlabor Dresden am HZDR
Tel.: +49 351 260 3314 | Email: t.helm@hzdr.de

Medienkontakt:
Simon Schmitt | Leitung und Pressesprecher
Abteilung Kommunikation und Medien am HZDR
Tel.: +49 351 260 3400 | Mobil: +49 175 874 2865 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de

Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
• Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
• Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
• Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?

Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt fast 1.500 Mitarbeiter*innen – davon etwa 670 Wissenschaftler*innen inklusive 220 Doktorand*innen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Toni Helm
Hochfeld-Magnetlabor Dresden am HZDR
Tel.: +49 351 260 3314 | Email: t.helm@hzdr.de


Originalpublikation:

M. Winter, F. J. T. Goncalves, I. Soldatov, Y. He, B. E. Zúñiga Céspedes, P. Milde, K. Lenz, S. Hamann, M. Uhlarz, P.Vir, M. König, P. J. W. Moll, R. Schlitz, S. T. B. Goennenwein, L. M. Eng, R. Schäfer, J. Wosnitza, C. Felser, J. Gayles, T. Helm, Antiskyrmions and their electrical footprint in crystalline mesoscale structures of Mn1.4PtSn, Communications Materials, 2022 (DOI: 10.1038/s43246-022-00323-6)


Weitere Informationen:

https://www.hzdr.de/presse/antiskyrmions mit hochaufgelöster Grafik und Filmmaterial


Bilder

3D-Model: Zu sehen ist eine einkristalline Probe der Heusler-Verbindung, die mittels Ionenstrahlen mit abgestufter Dicke maßgeschneidert wurde. Magnetische Domänenstrukturen (schwarze Linien) bilden sich unter dem Einfluss des magnetischen Feldes.

3D-Model: Zu sehen ist eine einkristalline Probe der Heusler-Verbindung, die mittels Ionenstrahlen m
B. Schröder/HZDR
B. Schröder/HZDR


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Chemie, Informationstechnik, Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch


 

Quelle: IDW