26.08.2021 12:16
Mukoviszidose: Immer mehr Erkrankten kann geholfen werden
Ein internationales Team unter Co-Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat in einer klinischen Studie gezeigt, dass Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose und relativ seltenen krankheitsauslösenden Genveränderungen durch eine Kombination von drei bereits bekannten Wirkstoffen effektiv und sicher behandelt werden können. Damit ist es künftig möglich, Gesundheitszustand und Lebensqualität von insgesamt etwa 90 Prozent aller an Mukoviszidose Erkrankten deutlich zu verbessern, wie die Forschenden im Fachmagazin New England Journal of Medicine* beschreiben.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Ein zäher Schleim in den Lungen, der die Atmung zunehmend behindert, ist eines der Symptome der Mukoviszidose, oder auch Cystischen Fibrose. Ebenso ein erhöhter Salzgehalt im Schweiß, durch den sich die Erbkrankheit leicht diagnostizieren lässt. Etwa einer von 2.500 bis 3.500 Menschen ist – in der Regel schon im frühen Kindesalter – davon betroffen. Es handelt sich damit um die häufigste tödlich verlaufende Erbkrankheit. Verursacht wird sie durch Mutationen im CFTR-Gen, das für die Bildung eines Chloridkanals verantwortlich ist und so den Salz- und Wassertransport in den Schleimhäuten und auf der Haut steuert. Über 2.000 solcher Veränderungen, die beide Genkopien betreffen, sind bekannt und können die Funktion der CFTR-Chloridkanäle auf unterschiedliche Art und Weise beeinträchtigen.
Über lange Zeit konnten lediglich die Symptome der Mukoviszidose behandelt werden. Vor einigen Jahren gelang der Durchbruch bei der Entwicklung einer Dreifachkombination von Wirkstoffen – sogenannten CFTR-Modulatoren –, die direkt an den molekularen Ursachen der Erkrankung angreifen. Diese effektive Therapie stand bislang jedoch nicht zur Behandlung von seltenen Formen der Mukoviszidose zur Verfügung, die durch bestimmte Gendefekte verursacht werden. Nun hat sich die Dreifachtherapie auch bei Patientinnen und Patienten mit solchen seltenen Mutationen als hochwirksam erwiesen: „Damit können wir zukünftig in Deutschland etwa neun von zehn von Mukoviszidose Betroffenen effektiv an dem zugrundeliegenden molekularen Defekt behandeln“, erklärt Prof. Dr. Marcus A. Mall, Co-Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie und Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin sowie des Christiane Herzog Mukoviszidose-Zentrums an der Charité. „Hierdurch sind wir dem Ziel einer effektiven Behandlung aller Menschen mit Mukoviszidose einen entscheidenden Schritt nähergekommen.“
Die häufigste – als F508del bezeichnete – Mutation löst bei 90 Prozent aller Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose einen Faltungsdefekt der Kanäle aus, wodurch diese als fehlerhaft erkannt und nicht in die Zellmembran eingebaut werden. Dieser Faltungsdefekt (F) kann mit sogenannten CFTR-Korrektoren wie Elexacaftor und Tezacaftor korrigiert werden, die an unterschiedliche Stellen binden und nur gemeinsam die Proteinfaltung des Kanals effektiv verbessern. Eine Vielzahl seltener Mutationen auf beiden Genkopien kann darüber hinaus dazu führen, dass – bei sogenannten Minimalfunktionsmutationen (MF) – kein pharmakologisch aktivierbares CFTR-Protein gebildet wird, die Kanäle in der Zellmembran – bei sogenannten Gatingmutationen (G) – ganz verschlossen bleiben oder – durch Restfunktionsmutationen (RF) – zumindest in ihrer Funktion vermindert sind. Die Funktion dieser mutierten Kanäle in der Zellmembran kann durch sogenannte CFTR-Potentiatoren wie Ivacaftor verbessert werden. In der Dreifachtherapie werden die drei Wirkstoffe Elexacaftor, Tezacaftor und Ivacaftor kombiniert, um sowohl die Faltung der F508del-Mutation als auch die Aktivität der in die Zellmembran eingebaute Kanäle effektiv zu verbessern und so eine optimale therapeutische Wirkung zu erzielen.
„Die Wirkung einer solchen Dreifachtherapie bei Betroffenen, die eine Kombination einer F508del-Mutation mit einer seltenen Gating-Mutation (F/G) oder Restfunktionsmutation (F/RF) aufweisen, war bislang nicht bekannt. Obwohl die einzelnen Mutationen selten vorkommen, sind insgesamt etwa 15 Prozent aller Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose von solchen Mutationen betroffen“, sagt Einstein-Professor Mall, der auch die Mukoviszidose-Forschung im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) leitet. Vorangegangene klinische Phase-III-Studien, zu denen der Lungenspezialist ebenfalls beitragen konnte, hatten bereits eine deutlich gesteigerte CFTR-Funktion und damit verbesserte Lungenfunktion und Lebensqualität durch die Dreifachtherapie für diejenigen 75 Prozent aller Patientinnen und Patienten bestätigt, welche die F508del-Mutation entweder auf beiden Genkopien (F/F) oder in Kombination mit Minimalfunktionsmutation (F/MF) aufweisen. Dies ermöglichte eine europaweite Zulassung der Dreifachtherapie für Patientinnen und Patienten ab einem Alter von 12 Jahren mit diesen genetischen Veränderungen.
In die aktuelle randomisierte, kontrollierte Phase-III-Studie wurden 258 Patientinnen und Patienten mit F/G oder F/RF-Mutation eingeschlossen – für eine seltene Erkrankung wie Mukoviszidose eine große Anzahl. Sie erhielten entweder die Dreifachtherapie oder den derzeitigen Behandlungsstandard – eine Therapie mit Ivacaftor allein oder zusammen mit Tezacaftor. Über einen Zeitraum von acht Wochen wurden die Veränderungen der Lungenfunktion sowie der Chloridkonzentration im Schweißtest als Biomarker der CFTR-Funktion bestimmt. Durch einen krankheitsspezifischen Fragebogen konnte zudem die gesundheitsbezogene Lebensqualität ermittelt werden. „Die Dreifachtherapie führte im Vergleich zum Behandlungsstandard zu einer deutlichen Verbesserung der CFTR-Funktion, Lungenfunktion und Lebensqualität. Auch bei diesen Patientengruppen war die Dreifachtherapie – wie in früheren Studien – außerdem sicher und gut verträglich“, betont Prof. Mall. „Durch die pharmakologische Behandlung der durch verschiedene Mutationen auf beiden Genkopien veränderten CFTR-Chloridkanäle lässt sich die Erkrankung also noch effektiver behandeln.“
Sobald die Therapie für alle Altersgruppen – idealerweise ab dem Säuglingsalter – zur Verfügung steht, können zukünftig insgesamt etwa 90 Prozent aller an Mukoviszidose Erkrankten effektiv behandelt werden, wie Prof. Mall erläutert: „Insbesondere eine frühzeitige Therapie der krankheitsverursachenden molekularen Defekte durch die Dreifachtherapie hat ein enormes Potential, die Entstehung irreversibler und bislang lebenszeitbegrenzender Lungenschäden zu verhindern. Damit wird Mukoviszidose schließlich von einer tödlich verlaufenden zu einer behandelbaren Erbkrankheit.“ Prof. Mall leitet das globale Studienprogramm für die klinische Entwicklung der Dreifachtherapie bei Kindern mit Mukoviszidose. Ein Schwerpunkt der derzeitigen Forschungsarbeiten seines Teams liegt daher auf der klinischen Entwicklung einer solchen Frühtherapie, die weltweite erste randomisierte und kontrollierte Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit bei betroffenen Vorschulkindern, die eine F508del-Mutation in Kombination mit Minimalfunktionsmutation tragen, läuft bereits.
Über die Charité – Universitätsmedizin Berlin
Die Charité – Universitätsmedizin Berlin ist mit rund 100 Kliniken und Instituten an 4 Campi sowie 3.001 Betten eine der größten Universitätskliniken Europas. Forschung, Lehre und Krankenversorgung sind hier eng miteinander vernetzt. Mit Charité-weit durchschnittlich 16.391 und konzernweit rund 19.400 Beschäftigten aus über 100 Nationen gehört die Berliner Universitätsmedizin zu den größten Arbeitgeberinnen der Hauptstadt. Dabei waren 4.707 der Beschäftigten im Pflegebereich und 4.693 im wissenschaftlichen und ärztlichen Bereich tätig. An der Charité wurden im vergangenen Jahr 132.383 voll- und teilstationäre Fälle sowie 655.138 ambulante Fälle behandelt. Im Jahr 2020 hat die Charité Gesamteinnahmen von rund 2,2 Milliarden Euro, inklusive Drittmitteleinnahmen und Investitionszuschüssen, erzielt. Mit den 196 Millionen Euro eingeworbenen Drittmitteln erreichte die Charité einen erneuten Rekord. An der medizinischen Fakultät, die zu den größten in Deutschland gehört, werden mehr als 8.600 Studierende in Humanmedizin, Zahnmedizin sowie Gesundheitswissenschaften ausgebildet. Darüber hinaus gibt es 577 Ausbildungsplätze in 10 Gesundheitsberufen. Die Berliner Universitätsmedizin setzt Akzente in den Forschungsschwerpunkten: Infektion, Inflammation und Immunität einschließlich Forschung zu COVID-19, Kardiovaskuläre Forschung und Metabolismus, Neurowissenschaften, Onkologie, Regenerative Therapien sowie Seltene Erkrankungen und Genetik. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité arbeiten unter anderem in 28 DFG-Sonderforschungsbereichen, darunter sechs mit Sprecherfunktion, in drei Exzellenzclustern, davon eines mit Sprecherschaft, 9 Emmy-Noether-Nachwuchsgruppen, 14 Grants des European Research Councils und 9 europäischen Verbundprojekten mit Charité-Koordination.
Über das Deutsche Zentrum für Lungenforschung
Das Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL e.V.) ist ein Zusammenschluss aus 29 führenden universitären und außeruniversitären Einrichtungen, die sich der Erforschung von Atemwegserkrankungen widmen. Im DZL wird die grundlagen-, krankheits- und patientenorientierte Forschung auf dem Gebiet der Lungenerkrankungen koordiniert und auf internationalem Spitzenniveau durchgeführt, um so die Translation grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in neue klinische Konzepte zur Verbesserung der Patientenversorgung zu beschleunigen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Marcus A. Mall
Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 566 131
E-Mail: marcus.mall@charite.de
Originalpublikation:
*Barr PJ und Mall MA et al. A Phase 3 Study of Elexacaftor-Tezacaftor-Ivacaftor for Cystic Fibrosis with Phe508del and Gating or Residual Function Alleles. N Engl J Med (2021), DOI: 10.1056/NEJMoa2100665.
Weitere Informationen:
http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2100665
http://www.charite-ppi.de
http://www.dzl.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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