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19.06.2024 10:37
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Parkinson-Erkrankung – Neues Testverfahren ermöglicht Früherkennung bei Risikopatient*innen
In einem internationalen Kooperationsprojekt haben Forschende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel und des University College London ein Testverfahren entwickelt, das es ermöglicht, die Diagnose einer Parkinson-Erkrankung bei Risikopatient*innen bis zu sieben Jahre vor dem Auftreten der typischen motorischen Symptome anhand einer Blutprobe vorherzusagen. Dieser Test soll im nächsten Schritt für die klinische Anwendung weiterentwickelt werden. Das vierjährige Projekt PROPAG-AGING wurde mit einer Gesamtsumme von rund sechs Millionen Euro von der EU gefördert. Die Ergebnisse sind in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
Die Parkinson-Erkrankung ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, die zunehmend häufiger in der Bevölkerung auftritt. Die Betroffenen zeigen neben motorischen Symptomen wie Verlangsamung der Bewegungen, erhöhter Muskelspannung und Zittern auch nicht-motorische Symptome wie Geruchs- und Schlafstörungen und Depressionen. Ursächlich für die Erkrankung ist der fortschreitende Abbau bestimmter Nervenzellen im Gehirn, wodurch ein Mangel des Botenstoffes Dopamin entsteht. Das Gleichgewicht von Dopamin und anderen Botenstoffen im Gehirn ist entscheidend für die richtige Funktion des Bewegungsapparates. Fehlt das Dopamin sind die Bewegungsabläufe gestört. Bisher erfolgt die Diagnose vor allem anhand der motorischen Symptome, welche jedoch erst auftreten, wenn schon mehr als 70 Prozent der Dopamin-haltigen Nervenzellen abgebaut sind. Es gibt aktuell keine Anhaltspunkte, sogenannte Biomarker, die den spezifischen Erkrankungsprozess einfach, direkt und vor allem frühzeitig anzeigen können.
Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des University College London ist es jetzt gelungen, die Parkinson-Erkrankung anhand von Blutproben und künstlicher Intelligenz bei Patient*innen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko sieben Jahre vor dem Auftreten der typischen motorischen Symptome vorherzusagen. In einem ersten Schritt wurden Proteine in Blutproben von Parkinsonpatient*innen der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel und gesunden Studienteilnehmer*innen mittels moderner Massenspektrometrie analysiert. Es konnten 23 Proteine identifiziert werden, die Unterschiede zwischen den erkrankten und gesunden Teilnehmer*innen aufwiesen und somit als Biomarker für die Erkrankung infrage kommen. In einem zweiten Schritt wurden diese 23 Proteine in den Blutproben von Personen mit einer isolierten Rapid Eye Movement (REM)-Schlafverhaltensstörung untersucht, die ein hohes Risiko für eine Parkinson-Erkrankung darstellt. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz waren acht der 23 Proteine in der Lage, die Parkinson-Erkrankung für 79 Prozent dieser Risikopatient*innen bis zu sieben Jahre vor Auftreten der Symptomatik vorherzusagen. Das Verfahren soll in weiteren Studien bestätigt und für die klinische Anwendung weiterentwickelt werden. Das vierjährige Projekt PROPAG-AGING wurde mit einer Gesamtsumme von rund sechs Millionen Euro von der EU gefördert.
„Mit der Bestimmung von acht Proteinen im Blut, können wir potenzielle Parkinson-Patient*innen bereits mehrere Jahre im Voraus identifizieren. Medikamentöse Therapien könnten zu einem früheren Zeitpunkt gegeben werden, welches den Verlauf der Erkrankung eventuell verlangsamen oder ihr Auftreten sogar verhindern könnte“, sagt Dr. Michael Bartl, Assistenzarzt in der Klinik für Neurologie und Mitglied der Arbeitsgruppe „Translationale Biomarkerforschung bei neurodegenerativen Erkrankungen“ der UMG sowie einer der Erstautoren der Studie. „Wir haben nicht nur einen Test entwickelt, sondern stellen die Diagnose anhand von acht Markerproteinen, die direkt mit Prozessen wie Entzündung und Abbau nicht funktionsfähiger Proteine verknüpft sind. Diese Marker stellen zusätzlich mögliche Ziele für medikamentöse Behandlungen dar“, so Dr. Bartl.
Die Studie im Detail
In der Studie wurden die Unterschiede von Proteinen im Blutplasma oder -serum zwischen 99 Parkinson-Patient*innen und 36 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Die Parkinson-Patient*innen waren Teilnehmende der bereits seit 2009 laufenden De Novo Parkinson (DeNoPa)-Studie der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel, deren Ziel es ist, die Parkinson-Erkrankung von den ersten Symptomen an in einer Langzeitperspektive zu verfolgen. Die Blutproben wurden mittels Massenspektrometrie, einem technischen Verfahren zur Trennung von Atomen und Molekülen anhand von Masse und Ladung, untersucht und die Konzentration verschiedener Blutproteine ermittelt. Die Analysen erfolgten in enger Kooperation mit Prof. Kevin Mills und Dr. Jenny Hällqvist, die sich in der „Translational Mass Spectrometry Research Group“ des University College London, Großbritannien, auf die Anwendung von Massenspektrometrie zur Identifizierung neuer Biomarker und Präzisionstests spezialisiert haben. Die Daten wurden anschließend mit Hilfe des maschinellen Lernens, einem Teilbereich der künstlichen Intelligenz, ausgewertet. Hierbei lernen Computersysteme Muster und Zusammenhänge in Daten zu erkennen und verbessern sich dadurch selbst. Es konnten Unterschiede in 23 Proteinen festgestellt werden.
In einem weiteren Schritt wurden die Blutproben von 72 Patient*innen mit einer isolierten REM-Schlafverhaltensstörung, die durch lebhafte Träume und körperliche Aktivität während des Traumschlafs gekennzeichnet ist und ein hohes Risiko für eine spätere Parkinson-Erkrankung darstellt, im Vergleich zu der gesunden Kontrollgruppe mit 36 Teilnehmenden unter Anwendung des maschinellen Lernens untersucht. Zum Zeitpunkt der ersten Blutabnahme hatte keine der untersuchten Personen mit Schlafverhaltensstörung motorische Hinweise auf eine Parkinson-Erkrankung. Beide Gruppen wurden über einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht.
In der Studie konnten mittels Massenspektrometrie 23 Proteine in den Blutproben als mögliche Biomarker für die Parkinson-Erkrankung identifiziert werden. Mit Hilfe des maschinellen Lernens waren acht dieser Proteine in der Lage, bei 79 Prozent der Risikopatient*innen mit einer REM-Schlafverhaltensstörung, eine Parkinson-Erkrankung bis zu sieben Jahre im Voraus zu prognostizieren. Klinisch wurde dies in der Langzeitbeobachtung bestätigt. Im Verlauf der Studie erkrankten bereits 16 dieser Patient*innen an Parkinson.
„Ziel ist es nun, die Untersuchungen mit einem vereinfachten Verfahren nicht nur an Patient*innen mit einem erhöhten Risiko für die Parkinson-Erkrankung durchzuführen sondern bevölkerungsbasiert. Eine fundierte Datenlage ist notwendig, um einen diagnostischen Test zu etablieren und die Ergebnisse in die allgemeine klinische Anwendung zu übertragen“, erklärt Prof. Dr. Brit Mollenhauer, Professorin an der Klinik für Neurologie und Leiterin der Arbeitsgruppe „Translationale Biomarkerforschung bei neurodegenerativen Erkrankungen“ der UMG, Chefärztin des Fachbereichs Neurologie der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel und Letztautorin der Studie.
Diese Untersuchungen haben bereits begonnen: Zum einen werden neben weiteren Personen mit einer isolierten REM-Schlafverhaltensstörung auch weitere Risikopersonen mit einem reduzierten Riechvermögen untersucht. Zudem führen die Wissenschaftler*innen in Kassel die Studie „Gesund Altern“ durch: Hierzu wurden 170.000 Personen zwischen 50 und 80 Jahren angeschrieben und um die Beantwortung eines Fragebogens zu Risikosymptomen für Parkinson und/oder Demenz gebeten. Fast 10.000 Personen folgten dem Aufruf; 3.000 bekamen im zweiten Schritt einen Riechtest zugeschickt und bis Ende dieses Jahres werden 300 Personen mit einem hohen oder einem niedrigen Risiko in der Klinik untersucht; dabei wird auch Blut abgenommen für die weitere Überprüfung des neuen Testverfahrens. Diese Risikogruppe wird ebenfalls unter der Federführung der UMG und der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel in Lübeck, Tübingen sowie Innsbruck (Österreich), Barcelona (Spanien), Luxemburg (Luxemburg) und London (Großbritannien) untersucht.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Arbeitsgruppe „Translationale Biomarkerforschung bei neurodegenerativen Erkrankungen“
Leiterin: Prof. Dr. Brit Mollenhauer, brit.mollenhauer@med.uni-goettingen.de
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Klinik für Neurologie
Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen
Telefon 0551 / 39-67087
Paracelsus-Elena-Klinik Kassel
Klinikstraße 16, 34128 Kassel
Telefon 0561 / 600-90
Originalpublikation:
Plasma proteomics identify biomarkers predicting Parkinson’s disease up to 7 years before symptom onset. Jenny Hällqvist*, Michael Bartl*§, Mohammed Dakna, Sebastian Schade, Paolo Garagnani, Maria-Giulia Bacalini, Chiara Pirazzini, Kailash Bhatia, Sebastian Schreglmann, Maria Xylaki, Sandrina Weber, Marielle Ernst, Maria-Lucia Muntean, Friederike Sixel-Döring, Claudio Franceschi, Ivan Doykov, Justyna Śpiewak, Héloїse Vinette, Claudia Trenkwalder, Wendy E. Heywood, Kevin Mills#, Brit Mollenhauer#§. Nature Communications (2024). DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-489613
*= shared first authors; #=shared last authors, §= correspondence
Weitere Informationen:
https://doi.org/10.1038/s41467-024-489613 – Originalpublikation
Bilder
Dr. Michael Bartl, Assistenzarzt in der Klinik für Neurologie und Mitglied der Arbeitsgruppe „Transl …
umg/Manuel Hewitt
Prof. Dr. Brit Mollenhauer, Professorin an der Klinik für Neurologie und Arbeitsgruppenleiterin „Tra …
umg/fskimmel
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
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Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
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