Schleichender Angriff auf das alternde Nervensystem



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04.05.2021 12:00

Schleichender Angriff auf das alternde Nervensystem

Bestimmte Immunzellen können der Auslöser von Schädigungen des zentralen Nervensystems im Alter sein. Das zeigt eine neue Studie von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums und der Universität Würzburg.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Alterungsprozesse stellen auch ohne erkennbare Krankheit oder Trauma das größte Risiko für eine Schädigung des Nervensystems dar. Die impulsleitenden, myelinisierten Fortsätze und synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen sind hierbei aus bisher ungeklärten Ursachen besonders anfällig für eine alterungsabhängige Degeneration. Diese krankhaften Veränderungen äußern sich im fortgeschrittenen Alter oft im Verlust kognitiver, sensorischer, und motorischer Fähigkeiten und stellen ein enormes sozioökonomisches Problem dar.

Fehlaktivierung sorgt für Schäden

Die Wissenschaft geht schon lange davon aus, dass Entzündungsprozesse hierbei eine wichtige Rolle spielen. Die Fehl- oder Überaktivierung von bestimmten Zellen des angeborenen Immunsystems – der Mikroglia – scheinen eine Schädigung von Nervenzellfortsätzen und Synapsen im alternden zentralen Nervensystem (ZNS) zu fördern. In einer aktuellen Arbeit haben Wissenschaftler des Würzburger Universitätsklinikums nun eine wichtige Rolle des erworbenen Immunsystems entdeckt.

Die Studie entstand an der Neurologischen Klinik unter der Federführung von Privatdozent Dr. Janos Groh aus der Sektion „Experimentelle Entwicklungsneurobiologie“ (Prof. Dr. Rudolf Martini) in Zusammenarbeit mit Professor Wolfgang Kastenmüller (Institut für Systemimmunologie) und Dr. Antoine-Emmanuel Saliba vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt in der Fachzeitschrift Nature Aging veröffentlicht.

T-Zellen als Vermittler von Neurodegeneration

„Cytotoxische CD8+ T-Zellen erkennen und bekämpfen normalerweise infizierte oder entartete Zellen. Sie können im Fall von Autoimmunkrankheiten wie etwa der Multiplen Sklerose jedoch auch ungewollte Schäden im Nervensystem anrichten“, sagt Janos Groh. Solche CD8+ T-Zellen konnten von den Wissenschaftlern zuvor bereits in Modellen verschiedener genetisch bedingter neurologischer Erkrankungen als wichtige Krankheitsvermittler identifiziert werden. Ihre Rolle im alternden ZNS war bisher jedoch kaum funktionell erforscht. Das wollten die Forscher ändern; sie haben dafür den Einfluss der Zellen bei alten Mäusen untersucht, bei denen die Zellen vermehrt in Fasertrakten zu finden waren.

„Wir zeigen, dass die Akkumulation von CD8+ T-Zellen die Degeneration von Nervenfasern im ZNS von normalen, alternden Mäusen verursacht, was zur Beeinträchtigung motorischer und kognitiver Fähigkeiten beiträgt“, fasst Groh die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammen. Mit modernen Analysen der Genexpression auf Einzelzellebene konnte das Team erstmals verschiedene Populationen dieser CD8+ T-Zellen in Gehirnen von adulten und alten Mäusen detailliert beschreiben. Dies half den Wissenschaftlern anschließend dabei, durch präzise immunologische Tierexperimente den Mechanismus zu klären, wie die CD8+ T-Zellen den Schaden im Gehirn verursachen.

Entzündung als Risiko, aber auch Therapiemöglichkeit

„Außerdem zeigen wir, dass ein T-Zell-vermittelter Schaden in alten, jedoch nicht in erwachsenen Mäusen durch systemische Entzündungsprozesse verstärkt wird“, ergänzt Groh. Somit bestätigt die Studie seinen Worten nach, dass CD8+ T-Zellen wichtige Vermittler entzündlicher Schädigungen des alternden ZNS darstellen, beispielsweise auch nach Infektionen an weiter entfernten Stellen des Körpers. Warum und wie es genau zur Auslösung dieser Entzündungsreaktion kommt, wollen die Forscher in zukünftigen Studien klären.

Ganz ähnliche T-Zellreaktionen wie in Mäusen konnten die Wissenschaftler schließlich auch in Autopsien der weißen Substanz aus dem zentralen Nervensystem älterer Menschen finden. Somit könnten CD8+ T-Zellen ein mögliches Ziel für therapeutische Ansätze darstellen, um die alterungsabhängige Beeinträchtigung von Struktur und Funktion des Nervensystems zu lindern. Die Studie liefert also grundlagenwissenschaftlich und translational weitreichende Einblicke in degenerative Alterungsprozesse und ein weiteres Beispiel für die komplexe Interaktion zwischen Nervensystem und Immunsystem.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

PD Dr. Janos Groh, T: +49 931 201-44053, groh_j@ukw.de


Originalpublikation:

Accumulation of cytotoxic T cells in the aged CNS leads to axon degeneration and contributes to cognitive and motor decline. Janos Groh, Konrad Knöpper, Panagiota Arampatzi, Xidi Yuan, Lena Lößlein, Antoine-Emmanuel Saliba, Wolfgang Kastenmüller & Rudolf Martini. Nat Aging 1, 357–367 (2021). https://doi.org/10.1038/s43587-021-00049-z


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW