Selbstabbildung eines Moleküls durch seine eigenen Elektronen



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17.09.2020 13:38

Selbstabbildung eines Moleküls durch seine eigenen Elektronen

Vermessung der Atombewegungen während einer molekularen Vibration

Eines der langfristigen Ziele der Forschung zu lichtinduzierter Dynamik von Molekülen ist die direkte und eindeutige Beobachtung von zeitabhängigen Änderungen der molekularen Struktur, die aus der Absorption von Licht resultiert. Zu diesem Zweck haben Forscher eine Vielfalt von Methoden entwickelt. Eine sehr vielversprechende Methode ist die Nutzung von Beugungserscheinungen (von Photonen oder Elektronen) zur Kodierung der Abstände zwischen den individuellen Atomen, die zusammen ein Molekül formen.

In einer vor Kurzem erschienenen Veröffentlichung (Phys. Rev. Lett. 125, 123001, 2020) hat ein Team von Forschern unter der Leitung von Dr. Arnaud Rouzée hochauflösende Filme von molekularer Dynamik aufgenommen, indem Elektronen aus den abzubildenden Molekülen durch Starkfeldionisation benutzt worden sind. Nach der Starkfeldionisation werden die freien Elektronen durch das Laserfeld vom Molekül wegbeschleunigt. Da das Laserfeld oszilliert, wird das Elektron im folgenden Halbzyklus des Feldes zum ursprünglichen Molekül zurückbeschleunigt. Dieser Vorgang ermöglicht den sogenannten Rekollisionsprozess. Hier kann das zurückkehrende Elektron entweder mit dem Ursprungsmolekül rekombinieren und ein hochenergetisches Photon erzeugen oder das Elektron streut am Ursprungsmolekül. Für bestimmte Energiebereiche kann das Elektron auch transient in einer Zentrifugalpotenzialbarriere eingefangen werden. Dieser Prozess ist schon bekannt aus der Elektronenstreuung und aus Photoionisationsexperimenten und wird „shape-Resonanz“ (wörtlich „Form-Resonanz“) genannt. Ein deutliches Zeichen für eine solche „shape-Resonanz“ ist eine starke Erhöhung des Streuquerschnitts. Wie der Name „shape-Resonanz“ schon impliziert, hängt die Elektronenenergie, bei der eine solche Resonanz erfolgt, sehr empfindlich von der Form des molekularen Potenzials und somit auch von der Form des Moleküls ab. Daher können shape-Resonanzen dazu benutzt werden, Moleküle bei ultraschnellen Strukturänderungen zu filmen.

Um diesen Effekt zu testen, hat das Team um Dr. Rouzée am MBI einen Film der molekularen Vibrationsdynamik von lichtangeregten I2-Molekülen aufgenommen. Ein erster Laserpuls mit einer Wellenlänge im sichtbaren Spektralbereich wurde benutzt, um ein Vibrationswellenpaket im elektronischen B-Zustand des Moleküls zu erzeugen. Auf diesen „Anregungs“-Laserpuls folgte in wohldefiniertem Zeitabstand ein sehr intensiver zweiter „Abfrage“-Laserpuls, dessen Wellenlänge im infraroten Spektralbereich liegt. Die durch diesen starken zweiten Laserpuls erzeugten Elektronenimpulsverteilungen wurden bei verschiedenen Zeitabständen zum ersten Laserpuls gemessen. Die verschiedenen Zeitabstände entsprechen hier verschiedenen Bindungsabständen der beiden Jod-Atome. Es wurde eine starke Variation der laserinduzierten Streuquerschnitte in Abhängigkeit des Zeitabstandes der beiden Laserpulse gemessen. Diese Variation konnte eindeutig auf eine Änderung der energetischen Lage der shape-Resonanz, die durch die Bewegung des Vibrationswellenpakets verursacht wird, zurückgeführt werden. Durch diese Arbeiten wurde der Grundstein zur weiteren Untersuchung von lichtinduzierter Molekulardynamik mit gleichzeitiger hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung gelegt.

Erklärung der Abbildung:

Unterschied zwischen dem Elektronenstreuquerschnitt, gemessen (a) und berechnet (b) bei R = 3.68 Å (entsprechend dem äußeren Umkehrpunkt der Vibrationsschwingung) und R = 2.78 Å (entsprechend des inneren Umkehrpunktes der Vibrationsschwingung) für ein I2-Vibrationswellenpaket, das durch Lichtanregung des B-Zustandes mittels eines sichtbaren Laserpulses mit einer Wellenlänge von 555 nm erzeugt wurde. Der Unterschied in den Streuquerschnitten ist als Funktion der kinetischen Energie und des Streuwinkels des zurückkehrenden Elektrons dargestellt. Insbesondere in der Nähe des Streuwinkels von 180 Grad (d.h. für rückstreuende Elektronen) ist ein sehr großer Unterschied zwischen dem Streuquerschnitt für den inneren und dem Streuquerschnitt für den äußeren Umkehrpunkt des Vibrationswellenpakets sichtbar. Mit anderen Worten werden die transienten Änderungen in den Atomabständen innerhalb des Moleküls durch die gemessenen Elektronenstreuquerschnitte abgebildet.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Kontakt:
Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI)
Dr. Arnaud Rouzée, E-Mail arnaud.rouzee@mbi-berlin.de, Tel. +49 30 6392-1240
Prof. Dr. Marc Vrakking, E-Mail marc.vrakking@mbi-berlin.de, Tel. +49 30 6392-1200


Originalpublikation:

Evolution of a Molecular Shape Resonance Along a Stretching Chemical Bond
Felix Brausse, Florian Bach, Faruk Krečinić, Marc J. J. Vrakking, and Arnaud Rouzée
Phys. Rev. Lett. 125, 123001, 2020, https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.125.123001


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW