25.06.2021 14:26
Studien zur Thrombose nach SARS-CoV-2-Impfung
Zur Bekämpfung der Pandemie werden weltweit Impfstoffe verabreicht, die hochwirksam sind, jedoch mit minimalen unerwünschten Wirkungen einhergehen können. In jüngster Zeit hat der AstraZeneca-Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus die Öffentlichkeit mit Bedenken hinsichtlich der seltenen, aber schwerwiegenden Entwicklung von thrombotischen Ereignissen alarmiert. Dieses seltene Syndrom wird als Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie bezeichnet. Im Rahmen mehrerer Studien hat ein Forschungsteam des Zentrums für Klinische Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Tübingen nun die Entstehung, Diagnose und mögliche Behandlungsmethoden der seltenen Erkrankung untersucht.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Die sogenannte Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT) ist ein neu definiertes Syndrom, das zur Gerinnselbildung an seltenen Stellen wie den Gehirn- oder Bauchgefäßen und zu einer verminderten Blutplättchenzahl führt. Die rechtzeitige Diagnose der impfinduzierten Thrombose ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Behandlung. Einem internationalen Forschungsteam, dem auch Mediziner des Uniklinikums Tübingen angehören, ist es bereits kurz nach Bekanntwerden des Syndroms gelungen, erste Richtlinien zur Erkennung, Diagnose und Behandlung von Patientinnen und Patienten, die an dieser seltenen Impfkomplikation leiden, aufzustellen. Die Ergebnisse sind im Journal of Thrombosis and Hemostasis veröffentlicht. Eine VITT erfordert eine sofortige klinische Erkennung, gefolgt von einer bestätigenden Labordiagnostik mithilfe spezieller Tests, die nur an wenigen Zentren durchgeführt werden. Unter der Ärztlichen Leitung von Professor Dr. Tamam Bakchoul etablierte das Zentrum für Klinische Transfusionsmedizin (ZKT) in Tübingen diese Tests in seinem Labor und bietet sie auch anderen Krankenhäusern und medizinischen Versorgungszentren an.
Erste Erfahrungen in der Diagnose und der Behandlung von Patientinnen und Patienten, die thrombotische Ereignisse nach der SARS-CoV-2-Impfung entwickelten, zeigten, wie die Antikörper-vermittelte Aktivierung der Blutplättchen zur Entwicklung der VITT beiträgt. Darüber hinaus wiesen die weiteren Untersuchungen darauf hin, dass die Aktivierung der Blutplättchen durch eine Immunglobulintherapie gehemmt werden kann, was für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit VITT von großer Bedeutung sein kann. Für ihren Bericht untersuchte die Arbeitsgruppe um Dr. Karina Althaus acht Patientinnen und Patienten (5 weiblich, 3 männlich) im Alter von 24 bis 53 Jahren, die sechs bis 20 Tage nach der SARS-CoV-2-Impfung eine VITT entwickelten. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in der renommierten Fachzeitschrift Haematologica publiziert.
In einer Folgestudie, die fünf Patientinnen und Patienten miteinschloss, untersuchte Dr. Günalp Uzun mit Forschenden der Arbeitsgruppe von Prof. Bakchoul die Wirksamkeit der Immunglobulintherapie bei Patientinnen und Patienten mit VITT. Dabei zeigte sich, dass eine Immunglobulintherapie zusammen mit einer Antikoagulation (Medikamentengabe zur Hemmung der Blutgerinnung) die Thrombozytenzahl schnell erhöhen und eine Gerinnungsaktivierung hemmen kann, ohne dabei ein zusätzliches Risiko für eine Hirnblutung zu stellen. Die Ergebnisse der Studie sind in der bekannten medizinischen Fachzeitschrift Blood veröffentlicht.
Um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, kommen die Tübinger Forscherinnen und Forscher zu dem Schluss, dass der Einsatz einer Immunglobulintherapie als Behandlungsoption bei Patientinnen und Patienten mit VITT empfohlen werden kann.
Titel der Originalpublikationen
Nazy I, Sachs UJ, Arnold DM, McKenzie SE, Choi P, Althaus K, Ahlen MT, Sharma R, Grace RF, Bakchoul T. Recommendations for the clinical and laboratory diagnosis of VITT against COVID-19: Communication from the ISTH SSC Subcommittee on Platelet Immunology. J Thromb Haemost. 2021 Jun;19(6):1585-1588. https://doi.org/10.1111/jth.15341
Althaus K, Möller P, Uzun G, Singh A, Beck A, Bettag M, Bösmüller H, Guthoff M, Dorn F, Petzold GC, Henkes H, Heyne N, Jumaa H, Kreiser K, Limpach C, Luz B, Maschke M, Müller JA, Münch J, Nagel S, Pötzsch B, Müller J, Schlegel C, Viardot A, Bäzner H, Wolf M, Pelzl L, Warm V, Willinek WA, Steiner J, Schneiderhan-Marra N, Vollherbst D, Sachs UJ, Fend F, Bakchoul T. Antibody-mediated procoagulant platelets in SARS-CoV-2- vaccination associated immune thrombotic thrombocytopenia. Haematologica. 2021 May 20. https://doi.org/10.3324/haematol.2021.279000
Uzun G, Althaus K, Singh A, Möller P, Zieman U, Mengel A, Rosenberger P, Guthoff M, Petzold GP, Müller J, Büchsel M, Feil K, Henkes H, Heyne N, Maschke M, Limpach C, Nagel S, Sachs UJ, Fend F, Bakchoul T. The use of intravenous immunoglobulin in the treatment of vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia. Blood. In Press
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34166507/
https://doi.org/10.1182/blood.2021012479
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Universitätsklinikum Tübingen
Institut für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin (IKET)
Prof. Dr. Tamam Bakchoul
Otfried-Müller-Straße 4/1, 72076 Tübingen
Tel. 07071 29-81602
Zkt.sekretariat@med.uni-tuebingen.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1111/jth.15341
https://doi.org/10.3324/haematol.2021.279000
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34166507/
https://doi.org/10.1182/blood.2021012479
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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