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03.06.2025 12:00
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Neue stammzellbasierte Parkinson-Therapie liefert vielversprechende Ergebnisse
Aus Stammzellen gewonnene neuronale Vorläuferzellen können aktuellen Studien zufolge, implantiert in bestimmte Hirnbereiche, zu einer klinischen Verbesserung bei Parkinson führen. Die Therapieinnovation ist insbesondere für die Patientinnen und Patienten interessant, bei denen die Wirksamkeit von L-Dopa zunehmend nachlässt. Die Frage ist nur, ob die implantierten Zellen auch in einer pathologisch veränderten Umgebung dauerhaft gesund bleiben. In den Studien war das über 18 bzw. 24 Monate der Fall
Im Verlauf der Parkinson-Erkrankung kommt es zum fortschreitenden Untergang von Dopamin-produzierenden Zellen in der Substantia nigra im Mittelhirn, so dass im sog. Striatum und im Großhirn Dopamin als Botenstoff fehlt. Daraus entwickeln sich die für die Krankheit typischen motorischen Symptome wie Tremor (Zittern), Rigor (Muskelsteifigkeit) und Akinese (Verlangsamung der Bewegung).
Eine wichtige Säule der Parkinsontherapie stellt daher die Gabe von Levodopa (L-Dopa) dar, einer Dopaminvorstufe, die im Körper zu Dopamin umgewandelt wird. Zunächst können die motorischen Symptome damit gut abgefangen werden, viele Betroffene erleben nach dem Therapiebeginn mit L-Dopa eine merkliche Verbesserung. Allerdings hat die Therapie Limitationen: Zum einen kann es zu Nebenwirkungen wie gastrointestinalen Problemen oder psychischen Beeinträchtigungen kommen. Das größere Problem ist aber das sich im Verlauf der Erkrankung „schließende Therapiefenster“, es kommt vermehrt zu sogenannten „On-Off-Fluktuationen“. Das bedeutet, dass der Zeitraum, in dem das Medikament optimal wirkt, sich zunehmend verkürzt und sich Phasen der Unter- und Überbeweglichkeit (OFF- und ON-Zeiten) abwechseln. Relativ neu sind L-Dopa-Pumpen, die eine kontinuierliche Gabe des Medikaments ermöglichen und so die Fluktuationen eine Zeitlang abfedern. Dennoch – die Wirkung von L-Dopa nimmt im Laufe der Zeit ab, auch weil immer mehr Neurone absterben, die L-Dopa zum eigentlichen Botenstoff Dopamin umwandeln können, sodass die Krankheit trotz Medikation voranschreitet.
Ein neuer Therapieansatz adressiert genau dieses Problem und könnte eine dauerhafte Lösung darstellen: Statt den Botenstoff Dopamin durch den Vorläufer L-Dopa zu supplementieren, werden aus Stammzellen gewonnene Zellen in einen für die Motorik zuständigen Bereich der Basalganglien, dem Striatum implantiert, die sich zu dopaminergen Neuronen entwickeln, selbst Dopamin ausschütten und dieses zur Signalübertragung verwenden. „Dieser Ansatz könnte die Parkinson-Therapie revolutionieren, da damit in den Pathomechanismus der Erkrankung eingegriffen wird. Wenn es gelingt, untergegangene Nervenzellen nachhaltig zu ersetzen, könnte das darüber hinaus eine Relevanz ungeahnten Ausmaßes für andere neurodegenerative Erkrankungen haben“, erklärt Prof. Dr. Lars Timmermann, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Aktuell wurden zwei Studien publiziert, eine Phase-1-Studie aus den USA [1] und eine Phase 1/2-Studie aus Japan [2], die diesen innovativen Therapieansatz untersucht haben – beide mit ermutigenden Ergebnissen.
In der amerikanischen Studie [1] wurden humane embryonale Stammzellen in vitro zu dopaminergen neuronalen Vorläuferzellen differenziert, welche beidseitig in das Putamen (ein Teil des Striatums) transplantiert wurden. Die zwölf Patientinnen und Patienten wurden in zwei Gruppen unterteilt, die eine erhielt das Zellprodukt in niedriger Dosierung (0,9 Millionen Zellen (n=5)), die zweite in hoher (2,7 Millionen (n=7)). Alle Studienteilnehmenden erhielten darüber hinaus über ein Jahr lang Immunsuppressiva, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden. Im Ergebnis erwies sich die Therapie als sicher (primärer Endpunkt der Studie) – und effektiv (sekundärer Endpunkt): Nach 18 Monaten stieg die Aufnahme von 18F-DOPA im Putamen in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET); es waren also mehr dopaminerge Neurone vorhanden, die Dopamin-Vorstufen aufnehmen können, was auf ein Überleben der transplantierten Zellen hindeutet. Auch kam es zu einer Verbesserung der klinischen Endpunkte: Im Durchschnitt verbesserte sich das Ergebnis in der Hochdosis-Kohorte im motorischen Teil der „Movement Disorder Society – Unified Parkinson’s Disease Rating Scale“ (MDS-UPDRS) um beachtliche 23 Punkte – und es kam unter der Therapie nicht zu Überbewegungen, sogenannten Dyskinesien.
In der japanischen Studie [2] wurden dopaminerge neuronale Vorläuferzellen für die Transplantation ins Striatum verwendet, welche zuvor in vitro aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen worden waren. Auch in dieser Studie kam es nicht zu schweren Nebenwirkungen und es zeigte sich, dass die Vorläuferzellen nach Transplantation überlebten und sich die 18F-DOPA-Aufnahme im Putamen durchschnittlich um circa 45 % erhöhte. Auch klinisch profitierten fünf der sechs Patientinnen und Patienten, was sich anhand besserer MDS-UPDRS-Werte nach 24 Monaten zeigte.
„Nach vielen Enttäuschungen bei Stammzell-Therapien demonstrieren diese neuen Studien die Machbarkeit bei der Parkinson-Krankheit. Nun müssen größere Studien untersuchen, ob die Ergebnisse nachhaltig sind und es einen dauerhaften Therapieeffekt gibt“, erklärt Prof. Timmermann. „Als Ursache für den Untergang der Nervenzellen im Verlauf der Parkinson-Krankheit wird die Bildung von Alpha-Synnuclein und Einschlusskörperchen angenommen. Und dieses Schicksal könnte möglicherweise auch die transplantierten Vorläuferzellen treffen, wenn sie der erkrankten Zellumgebung ausgesetzt werden. In einer Studie, in der Menschen mit Parkinson-Krankheit eine Transplantation von fetalem Mittelhirngewebe erhalten hatten, waren bei manchen von ihnen solche Einschlusskörperchen auch in den transplantierten Zellen nachweisbar, allerdings erst nach mehr als 10 Jahren [3]. Unsere Forschung an der Universität Marburg in Zusammenarbeit mit US-Forscherinnen und -Forschern [4] weist ebenfalls darauf hin, dass dopaminerge Neurone durch den Kontakt mit Bestandteilen der Einschlusskörperchen ‚angesteckt‘ werden können. Die kleinen Fragmente stoßen die Bildung der Einschlusskörperchen an und stören den Stoffwechsel der Zelle, was letztlich zu einer Degeneration führt. Es bleibt daher abzuwarten, ob die neuronalen Vorgängerzellen auch im Milieu der erkrankten Zellumgebung, wo solche Einschlusskörperchen-Fragmente vorhanden sind, gesund bleiben. Dass das in den vorliegenden Studien über 18 und 24 Monate der Fall war, ist ein ermutigendes Ergebnis.“
[1] Tabar V, Sarva H, Lozano AM et al. Phase I trial of hES cell-derived dopaminergic neurons for Parkinson’s disease. Nature. 2025 May;641(8064):978-983. doi: 10.1038/s41586-025-08845-y. Epub 2025 Apr 16.
[2] Takahashi R, Nakanishi E, Yamakado H et al. Allogenic transplantation therapy of iPS cell-derived dopamine progenitors for Parkinson’s disease -Current status of the Kyoto Trial and future perspectives. Parkinsonism Relat Disord. 2025 Apr 19:107833. doi: 10.1016/j.parkreldis.2025.107833. Epub ahead of print.
[3] Li JY, Englund E, Holton JL et al. Lewy bodies in grafted neurons in subjects with Parkinson’s disease suggest host-to-graft disease propagation. Nat Med. 2008 May;14(5):501-3. doi: 10.1038/nm1746. Epub 2008 Apr 6. PMID: 18391963.
[4] https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2024/energiestoerung-in-nervenzelle…
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Originalpublikation:
doi: 10.1038/s41586-025-08845-y
doi: 10.1016/j.parkreldis.2025.107833
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