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22.07.2025 22:57
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Oropouche-Virus: Neues Risiko für Europa?
Forschende des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) haben gemeinsam mit Kolleg:innen der Universität Hamburg und weiteren Einrichtungen erstmals das Risiko einer Übertragung des tropischen Oropouche-Virus (OROV) durch in Europa verbreitete Stechmückenarten untersucht. Ergebnis: Unter bestimmten klimatischen Bedingungen kann die invasive Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) das Virus übertragen – ein mögliches Risiko für Südeuropa.
Das Oropouche-Virus gehört zu den sogenannten Arboviren, also Viren, die durch blutsaugende Arthropoden (Gliederfüßer) übertragen werden. Als ein solcher Überträger (Vektor) von OROV waren bislang nur Gnitzen bekannt, die Rolle von Stechmücken war ungeklärt. Seit Anfang 2024 kam es in mehreren Ländern Mittel- und Südamerikas zu einem massiven Anstieg von OROV-Infektionen. Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO/WHO) verzeichnete über 11.000 bestätigte Fälle bis Ende des Jahres – darunter erstmals auch Todesfälle sowie Hinweise auf eine mögliche Übertragung während der Schwangerschaft mit schwerwiegenden Folgen wie Fehlgeburten und Mikrozephalie (kleinen Kopfumfang). Angesichts dieser Entwicklung stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Risiko im betroffenen Raum als hoch ein. In Europa wurden bereits einzelne importierte Fälle bei Reiserückkehrenden festgestellt. Unklar war bislang, ob Stechmücken überhaupt als Überträger des Oropouche-Virus in Frage kommen, also eine sogenannte Vektorkompetenz für dieses Arbovirus besitzen – eine zentrale Frage für die Risikobewertung.
Fünf Mückenarten unter der Lupe
Die nun veröffentlichte Studie liefert erste Antworten und eine Risikobewertung für Europa: Das Team untersuchte fünf auf dem europäischen Kontinent verbreitete Stechmückenarten im Labor, sowohl heimische (Culex pipiens biotyp pipiens und C. torrentium) als auch invasive Arten wie Aedes aegypti, A. japonicus und A. albopictus. Die Tiere wurden mit Oropouche-Viren infiziert und bei unterschiedlichen Temperaturen gehalten. Die Forschenden analysierten, ob sich die Stechmücken tatsächlich mit OROV infizieren lassen (eine Voraussetzung für die Übertragung auf den Menschen) und ob eine Übertragung durch den Speichel stattfinden kann. Die Ergebnisse zeigen, dass nur Aedes albopictus bei Temperaturen von 24 bis 27 °C eine geringe Vektorkompetenz für OROV aufwies. Bei niedrigeren Temperaturen und bei den anderen getesteten Stechmückenarten ließ sich keine Virusübertragung nachweisen.
Nur eine Art zeigte Übertragung – bei Wärme
Um die epidemiologische Relevanz dieser Beobachtung einzuordnen, kombinierten die Forschenden ihre Labordaten mit Klimadaten und aktuellen Verbreitungskarten von Aedes albopictus. Die Analyse zeigt, dass insbesondere Regionen rund um das Mittelmeer klimatische Bedingungen aufweisen, die eine saisonale Virusübertragung im Sommer begünstigen könnten. Besonders betroffen wären dabei Gebiete in Spanien, Süditalien, Griechenland und der Türkei – Regionen, in denen Aedes albopictus bereits etabliert ist.
„Ein realistisches, aber begrenztes Risiko“
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Oropouche prinzipiell auch in Europa übertragen werden könnte, wenn infizierte Reisende auf Populationen von Aedes albopictus in wärmeren Regionen treffen“, sagt Dr. Anna Heitmann, Letztautorin der Studie. „Die Vektorkompetenz ist zwar niedrig, aber nicht gleich null – das macht Wachsamkeit und weitere Forschung notwendig.“ Derzeit lasse sich nicht vorhersagen, ob es in Europa jemals zu autochthonen Ausbrüchen komme, so Heitmann weiter, also zu Infektionen, die nicht durch Reiserückkehrende eingeschleppt, sondern direkt vor Ort durch heimische Stechmücken übertragen werden. „Aber wie bei Dengue, Zika oder Chikungunya sehen wir, dass eingeschleppte Viren durch invasive Stechmückenarten unter bestimmten Bedingungen auch bei uns zirkulieren können.“
Die Forschenden veröffentlichten ihre Ergebnisse im Fachjournal The Journal of Infectious Diseases. Mit ihrer Arbeit tragen sie dazu bei, das Risiko neuer Infektionskrankheiten im Kontext globaler Mobilität und Klimaerwärmung besser einzuschätzen – und betonen, wie wichtig integrierte Überwachungs- und Frühwarnsysteme für durch Stechmücken übertragene Krankheiten in Europa sind.
Förderung:
Die Studie wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, Förderkennzeichen 01KI2022) sowie vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL, FKZ 2819107A22).
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Anna Heitmann
Laborgruppe Heitmann
Bernhard-Nocht-Institut für
Tropenmedizin
Tel.: +49 40 285380-832
heitmann@bnitm.de
Originalpublikation:
Jansen S*, Lühken R*, Höller P et al. (2025): Risk assessment of Oropouche
virus transmission by mosquitoes in Europe. The Journal of Infectious Diseases.
DOI: 10.1093/infdis/jiaf356
(*geteilte Erstautorenschaft)
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
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