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17.09.2025 15:08
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Mit der Genschere gegen erbliches Nierenleiden
Mutationen, die zu der Nierenkrankheit ADPKD führen, haben Berliner Forschende jetzt in Zellen von Mäusen und Menschen per CRISPR/Cas9 repariert. Bei Mäusen konnte das Team um Michael Kaminski so ein wichtiges Symptom der schwer behandelbaren Krankheit lindern, berichten sie in „Molecular Therapy“.
Mindestens eines von tausend Kindern kommt mit der autosomal-dominanten polyzystischen Nierenerkrankung, kurz ADPKD, zur Welt. Diese gilt damit als eine der häufigsten Erbkrankheiten. Auslöser ist meist eine Mutation in den Genen PKD1 oder PKD2, die dominant vererbt wird. Durch den Gendefekt bilden die Nieren der Patient*innen Zysten, die unter anderem zu Bluthochdruck, Schmerzen und Infektionen sowie im weiteren Krankheitsverlauf zu Nierenversagen führen können.
„Bislang gibt es gegen die ADPKD nur ein einziges Medikament, das lediglich die Symptome bekämpft und oft schwere Nebenwirkungen hervorruft“, sagt Dr. Michael Kaminski, Leiter der Emmy Noether-Gruppe „Nierenzell Engineering“ am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB) und Arzt in der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Manche der Patient*innen, die den Wirkstoff erhalten, verlieren zum Beispiel bis zu sechs Liter Urin am Tag. Zudem wirkt er nicht gegen Leberzysten, an denen viele Betroffene ebenfalls leiden.
Neue Therapieoptionen sind daher von großem Interesse. Im Fachblatt „Molecular Therapy“ kann ein internationales Team um Kaminski, Dr. Sorin Fedeles und Dr. Matteus Krappitz jetzt erste Erfolge vermelden: Gemeinsam mit anderen Forschenden des Max Delbrück Center, der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Yale University und der University of Colorado ist es gelungen, Mutationen in Zellen von Mäusen und Menschen mit einer auf der der Genschere CRISPR/Cas9 basierenden Methode zu reparieren. Im Mausmodell ließen sich durch dieses Base Editing – den Austausch einzelner Nukleotide in der DNA – zudem Leberzysten reduzieren. Gemeinsame Erstautor*innen der Publikation sind Antonia Ibel aus Kaminskis Arbeitsgruppe und Dr. Rishi Bhardwaj von der Yale School of Medicine.
Das fehlende Protein wurde wieder vermehrt exprimiert
Im ersten Schritt haben sich die Forschenden Veränderungen im PKD1-Gen von ADPKD-Patient*innen in Zellkulturen näher angeschaut. „Dabei sind wir auf 39 unterschiedliche Punktmutationen gestoßen, von denen wir etwa ein Drittel mit hoher Präzision korrigieren konnten“, berichtet Kaminski. Als nächstes nahm sich das Team einen ganz bestimmten Gendefekt in Nierenepithelzellen vor, die sie aus dem Urin von ADPKD-Patient*innen der Charité gewonnen hatten. „Sowohl in den menschlichen Zellen als auch in Zellen von Mäusen mit einem nicht funktionierenden PKD1-Gen konnten wir zeigen, dass sich der Defekt, der zu einem verkürzten Protein führt, per Base Editing effizient korrigieren ließ“, sagt Kaminski. In den behandelten Mauszellen sei das Protein Polycystin-1, für das das Gen kodiert, wieder vermehrt exprimiert worden. Dadurch sei auch die Menge eines zellulären Stressmarkers gesunken.
Im dritten und letzten Schritt ihrer Studie haben die Wissenschaftler*innen das Verfahren in einem Mausmodell für die ADPKD getestet. Dazu wurden die einzelnen Komponenten für das Base Editing in Adeno-assoziierte Viren (AAVs) verpackt und den Tieren verabreicht. „Wir haben festgestellt, dass der Base Editor seine Arbeit vor allem in den Leberzellen der Mäuse gut verrichtete: Sowohl die Zahl als auch die Größe der Zysten gingen dort deutlich zurück“, sagt Kaminski. „Für Patientinnen und Patienten könnte dieser Effekt vor allem auch deshalb nützlich sein, da das einzige für die Therapie der ADPKD derzeit zugelassene Medikament, der Wirkstoff Tolvaptan, gegen Leberzysten nicht hilft“, erläutert der Forscher.
Unklar ist, ob die Gentherapie auch in späteren Krankheitsstadien hilft
Zufriedengeben möchte sich Kaminski mit den bislang erzielten Ergebnissen trotzdem noch nicht. „Aktuell arbeiten wir an Vehikeln, mit denen sich die Genschere besser als bisher in die Zellen der Niere schleusen lässt, so dass wir den Krankheitsverlauf auch dort – im Zentrum des Geschehens – beeinflussen können“, sagt er. Zudem will der Forscher gemeinsam mit seinem Team jetzt auch andere Mutationen, die eine ADPKD hervorrufen können, beheben und die möglichen Effekte der Genreparatur untersuchen. Schließlich beschäftigt Kaminski noch die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt für die Therapie. „In unserem jetzigen Modell haben wie die Basenkorrektur sehr früh im Krankheitsverlauf vorgenommen“, sagt er. „Ich würde gerne herausfinden, ob das Verfahren womöglich auch im fortgeschrittenen Stadium Zysten reduzieren kann.“
Max Delbrück Center
Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft legt mit seinen Entdeckungen von heute den Grundstein für die Medizin von morgen. An den Standorten in Berlin-Buch, Berlin-Mitte, Heidelberg und Mannheim arbeiten unsere Forschenden interdisziplinär zusammen, um die Komplexität unterschiedlicher Krankheiten auf Systemebene zu entschlüsseln – von Molekülen und Zellen über Organe bis hin zum gesamten Organismus. In wissenschaftlichen, klinischen und industriellen Partnerschaften sowie in globalen Netzwerken arbeiten wir gemeinsam daran, biologische Erkenntnisse in praxisnahe Anwendungen zu überführen – mit dem Ziel, Frühindikatoren für Krankheiten zu identifizieren, personalisierte Behandlungen zu entwickeln und letztlich Krankheiten vorzubeugen. Das Max Delbrück Center wurde 1992 gegründet und vereint heute eine vielfältige Belegschaft mit rund 1.800 Menschen aus mehr als 70 Ländern. Wir werden zu 90 Prozent durch den Bund und zu 10 Prozent durch das Land Berlin finanziert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Michael Kaminski
Gruppenleiter „Nierenzell Engineering“
Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB)
+49 30 94060-1372
michael.kaminski@mdc-berlin.de
Originalpublikation:
https://www.cell.com/molecular-therapy-family/molecular-therapy/pdf/S1525-0016(2…
Weitere Informationen:
https://www.mdc-berlin.de/de/kaminski – AG Kaminski
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
