Unerwarteter Befund bei Anorexia nervosa: Gewichtszunahme verändert Epigenetik nicht



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25.09.2025 10:55

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Unerwarteter Befund bei Anorexia nervosa: Gewichtszunahme verändert Epigenetik nicht

Es wird schon lange vermutet, dass epigenetische Mechanismen bei der Essstörung Anorexia nervosa eine große Rolle spielen könnten. Eine aktuelle Studie des Instituts für geschlechtersensible Medizin der Universität Duisburg-Essen kommt nun zu einem überraschenden Ergebnis. Obwohl Patient:innen mit Anorexia nervosa während einer stationären Therapie innerhalb weniger Monate stark an Gewicht zunehmen, zeigen sich keine einheitlichen Veränderungen in ihren DNA-Methylierungsmustern. Damit widerspricht diese kürzlich in Scientific Reports veröffentlichte Untersuchung der Annahme, dass eine Gewichtszunahme unmittelbare epigenetische Effekte auslöst.

Auch an einem bereits häufiger untersuchten Kandidatengen (NR1H3-Gen), das in früheren Arbeiten widersprüchliche Ergebnisse gezeigt hatte, konnten keine Methylierungsveränderungen gezeigt werden.

Die Essstörung Anorexia nervosa ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung. Das stark reduzierte Körpergewicht der Patient:innen wird häufig durch ein restriktives Essverhalten aufrechterhalten. Neben psychologischen und sozialen Faktoren spielt auch die Biologie eine Rolle. Während über den Einfluss der genetischen Veranlagungen inzwischen Vieles bekannt ist, ist unklar, welchen Anteil epigenetische Prozesse haben.

Unter der Epigenetik versteht man Veränderungen in der Genregulation, die nicht die DNA-Sequenz selbst betreffen, sondern durch chemische Modifikationen, wie die DNA-Methylierung, gesteuert werden. Solche Prozesse beeinflussen, welche Gene aktiv sind und welche nicht. Da die Epigenetik potenziell durch Umweltfaktoren, wie Stress oder auch Ernährung beeinflusst wird, gilt sie als Schlüsselmechanismus, um äußere Einflüsse auf Krankheiten zu erklären. Auch in der Regulation des Körpergewichts wird der Epigenetik eine relevante Rolle zugesprochen. „Wenn das Körpergewicht tatsächlich einen Einfluss hat, dann sollten gerade in stationär behandelten Patient:innen mit Anorexia nervosa klare Veränderungen nachweisbar sein. Einen solchen Effekt haben wir jedoch nicht beobachten können“, erklärt Dr. Luisa Rajcsanyi, den Ansatzpunkt des nun veröffentlichten Forschungsprojekts. Sie ist gemeinsam mit Dr. Miriam Kesselmeier aus Jena Erstautorin der Studie.

Besonders interessierten sich die Forschenden für das NR1H3-Gen, das in früheren Studien widersprüchliche Befunde geliefert hatte. Während eine Untersuchung aus dem Jahr 2015 eine erhöhte Methylierung an diesem Gen festgestellt hat, zeigte eine Essener Studie von 2018 eher eine Reduktion. Im aktuellen, deutlich größeren Kollektiv mit 189 Patient:innen und 67 gesunden Kontrollpersonen ließ sich keiner dieser Befunde bestätigen. Auch bei drei Patient:innen, die zu Beginn und zum Ende ihres stationären Aufenthalts untersucht wurden, blieben die Methylierungsmuster trotz deutlicher Gewichtszunahme stabil. „Was wir gesehen haben, waren starke interindividuelle Unterschiede zwischen den Patient:innen“, sagt Prof. Anke Hinney, Leiterin der Sektion für Molekulargenetik Psychischer Störungen am LVR-Universitätsklinikum Essen und Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Geschlechtersensible Medizin am Universitätsklinikum Essen. „Jede Einzelne zeigte keine relevanten Veränderungen zwischen Aufnahme und Entlassung. Und auch bei der Betrachtung aller Teilnehmenden fand sich kein einheitliches Muster.“

Die Forschenden schlussfolgern daraus, dass die DNA-Methylierung kurzfristig wahrscheinlich keine zentrale Rolle bei der Regulation des Körpergewichts spielt. Denkbar sei, dass Veränderungen entweder sehr subtil sind und somit mit der kleinen Stichprobe nicht nachweisbar waren oder erst langfristig sichtbar werden. Zudem variiert die DNA-Methylierung je nach Zelltyp, sodass andere Gewebe möglicherweise andere Ergebnisse zeigen könnten.
Dennoch trägt die Studie die Forschenden dazu bei, ein differenziertes Bild von den biologischen Grundlagen der Essstörung zu gewinnen und verdeutlichen zugleich die Grenzen aktueller epigenetischer Erklärungsansätze.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Anke Hinney


Originalpublikation:

https://www.nature.com/articles/s41598-025-12592-5
No indications of weight gain associated DNA methylation changes in patients with anorexia nervosa


Weitere Informationen:

https://www.uni-due.de/med/meldung.php?id=1831


Bilder

Prof. Dr. Anke Hinney (li) und Dr. Luisa Rajcsanyi (re) bei der Auswertung von Methylierungsmustern

Prof. Dr. Anke Hinney (li) und Dr. Luisa Rajcsanyi (re) bei der Auswertung von Methylierungsmustern
Quelle: AG Hinney
Copyright: (c) UDE


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW