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29.09.2025 08:34
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Ein molekularer Reißverschluss und eine DNA-Verbindung schützen die Fruchtbarkeit
Forscher*innen entschlüsseln das Geheimnis der sicheren Fortpflanzung in Zellen
Jedes neue Leben beginnt nach einer genetischen Umordnung. Wenn Organismen Eizellen oder Spermien bilden, paaren sich mütterliche und väterliche Chromosomen und tauschen DNA-Abschnitte in einem Prozess aus, der als Crossing-over bezeichnet wird. Dieser Austausch ist unerlässlich: Ohne mindestens einen Austausch pro Chromosomenpaar sind die Fruchtbarkeit und eine gesunde Chromosomenzahl gefährdet. Gleichzeitig können zu viele Austausche – oder zu viele DNA-Brüche, die diese auslösen – das Genom schädigen. Wie stellen Zellen sicher, dass das Gleichgewicht genau richtig ist? Wissenschafter*innen um Joao Matos an den Max Perutz Labs der Universität Wien liefern eine Antwort in Nature.
Das Team entdeckte, dass winzige DNA-Strukturen, sogenannte Holliday Junctions, nicht nur Sprungbretter auf dem Weg zum Crossing-over sind. Stattdessen tragen sie auch zur Stabilisierung einer reißverschlussartigen Struktur bei, die als synaptonemaler Komplex bekannt ist und gepaarte Chromosomen zusammenhält. Diese Stabilität wiederum signalisiert der Zelle, keine weiteren DNA-Brüche mehr zu erzeugen, wodurch das Genom vor Schäden geschützt wird.
„Unsere Hypothese war, dass die Holliday Junctions mehr sind als passive DNA-Verbindungen“, erklärt Gruppenleiter Joao Matos: „Sie sind für den Aufbau und Erhalt des synaptonemalen Komplexes unerlässlich und sorgen dafür, dass die Chromosomen gepaart bleiben, bis das Crossing-over sich bilden kann.“
Um diese Idee zu testen, verwendete Erstautor Adrian Henggeler Bäckerhefe als Modellorganismus, weil Hefe eine ähnliche Meiose wie in menschlichen Zellen durchläuft. Es gelang ihm, Millionen von Hefezellen genau in dem Moment „einzufrieren“, als die DNA-Verbindungen und der Chromosomenreißverschluss vorhanden waren, aber bevor der Austausch stattgefunden hat. Danach trennte er die DNA-Verbindungen mit einem im Labor entwickelten einzigartigen molekularen Werkzeug und konnte in Echtzeit die Ergebnisse beobachten.
„Einer unserer Aha-Momente war, als wir ‚live‘ sahen, wie der synaptonemale Komplex in dem Moment zusammenbrach, sobald die Verbindungen entfernt wurden. Unsere Vermutung wurde bestätigt”, erklärt Adrian Henggeler. Ohne die Holliday Junctions fiel der Chromosomenreißverschluss auseinander, es bildeten sich erneut DNA-Brüche und die Meiose konnte nicht mehr korrekt ablaufen.
„Diese Studie deckt einen einfachen, aber eleganten Rückkopplungskreislauf auf“, so Joao Matos. „Sobald die Kreuzungen und der Chromosomenreißverschluss stabilisiert sind, ‚weiß‘ die Zelle, dass sie keine Brüche mehr erzeugen und die Meiose sicher fortsetzen kann.“
Nun wollen die Forscher*innen im nächsten Schritt herauszufinden, ob das gleiche Prinzip auch bei Säugetieren gilt. Wenn ja, könnte dies Aufschluss über grundlegende Mechanismen geben, die die Fruchtbarkeit schützen und die Genomstabilität über Arten hinweg aufrechterhalten.
Über das Matos-Labor
Joao Matos und sein Team erforschen, wie Zellen ihre DNA reparieren, um zwei grundlegende Aufgaben zu erfüllen: die Erhaltung genetischer Vielfalt und die Bildung haploider Keimzellen mit einfachem Chromosomensatz aus diploiden Zellen während der Meiose. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie ein Genom zugleich Stabilität und Vielfalt bewahren können – ein Prozess, der auf homologer Rekombination basiert. Joao Matos, geboren und aufgewachsen in Portugal, promovierte ab 2003 in Deutschland am MPI-CBG, arbeitete anschließend als Postdoktorand am London Research Institute und wurde 2014 Assistenzprofessor an der ETH Zürich. Seit 2020 ist er Professor für Zell- und Entwicklungsbiologie an den Max Perutz Labs der Universität Wien.
Über die Max Perutz Labs
Die Max Perutz Labs sind ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. Das Institut betreibt herausragende, international anerkannte Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Molekularbiologie. Wissenschafter:innen der Max Perutz Labs erforschen grundlegende, mechanistische Prozesse in der Biomedizin und verbinden innovative Grundlagenforschung mit medizinisch relevanten Fragestellungen.
Die Max Perutz Labs sind Teil des Vienna BioCenter, einem führenden Hotspot der Lebenswissenschaften in Europa. Am Institut sind rund 40 Forschungsgruppen mit ca. 450 Mitarbeiter:innen aus mehr als 50 Nationen tätig.
www.maxperutzlabs.ac.at
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Univ.-Prof. Dr. Joao Matos
Department für Chromosomenbiologie
Universität Wien
1030 Wien, Dr.-Bohr-Gasse 9, 1030 Wien
T +43-1-4277-74419
joao.matos@univie.ac.at
www.univie.ac.at
Originalpublikation:
Publikation in Nature:
Joao Matos, Adrian Henggeler, Lucija Orlic, Daniel Velikov: Holliday junction–ZMM protein feedback enables meiotic crossover assurance. 2025.
Doi: 10.1038/s41586-025-09559-x
https://www.nature.com/articles/s41586-025-09559-x
Weitere Informationen:
https://www.univie.ac.at/aktuelles/detail/ein-molekularer-reissverschluss-und-ei…
Bilder
V.l.n.r.: Adrian Henggeler und Joao Matos.
Copyright: Max Perutz Labs, Universität Wien
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
