Die Spinne mit dem Bienengift



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12.11.2025 15:08

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Die Spinne mit dem Bienengift

Forschende entschlüsseln das Toxinarsenal der giftigsten heimischen Spinnenart – Neue Perspektiven für die Suche nach Wirkstoffen gegen zellbasierte Krankheiten

Der Ammen-Dornfinger ist die giftigste Spinne Deutschlands. Ihr Biss kann zu Beschwerden führen, die medizinische Behandlung erfordern. Trotzdem war der Giftcocktail dieser Spinne bislang nahezu unbekannt. Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) haben nun erstmalig das Gift des Ammen-Dornfingers entschlüsseln können und dabei wichtige Einblicke in die Evolution und Pharmakologie seiner Toxine erhalten. Die Arbeit ist im Fachjournal „Communications Biology“ erschienen.

Spinnen sind Gifttiere und von vielen Menschen gefürchtet. Dabei sind die Bisse der meisten Arten, vor allem in Deutschland, für den Menschen völlig ungefährlich und oft sogar symptomlos. Eine Ausnahme dazu bildet der Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium), dessen Biss eine für Spinnen äußerst ungewöhnliche Symptomatik verursacht: Starke Schmerzen, Schwellungen und manchmal sogar Kreislaufprobleme, die bei Kindern und Vorerkrankten zu medizinischen Notfällen führen können. Das potente Gift dieser Spinne haben Forschende von JLU und IME nun durch moderne Methoden der Systembiologie entschlüsselt.

„Wir haben einen ganzen Katalog an neuen, spannenden Toxinen identifiziert und konnten zeigen, wie der Ammen-Dornfinger so schmerzhafte Vergiftungen verursachen kann“, sagt Dr. Tim Lüddecke, Leiter der Arbeitsgruppe „Animal Venomics“ am Institut für Insektenbiotechnologie der JLU und Erstautor der Studie. Das Gift des Ammen-Dornfingers enthält viele Komponenten, die Zellstrukturen angreifen – ähnlich wie Bienengift – und so die starken lokalen Effekte verursachen. „Dafür verantwortlich sind vor allem ein Toxintyp namens CPTX sowie das Enzym Phospholipase A2“, so Lüddecke.

Durch umfangreiche vergleichende Analysen von Giften aus dem gesamten Spinnenreich und mittels evolutionärer Rekonstruktionen konnten die Forschenden herleiten, dass beide Toxine eine komplexe Entstehungsgeschichte durchlaufen haben. Während die Toxinfamilie der CPTX und ihrer Verwandten früh in der Evolution der heutigen Spinnen entstanden und durch Genfusion ihre charakteristische Struktur erlangten, finden sich bedeutende Mengen der Phospholipase A2 nur im Ammen-Dornfinger.

Defensive Gifte sind durch schnell einsetzende, starke Schmerzen gekennzeichnet, was eine rasche Abwehr von Feinden ermöglicht. Die Phospholipase A2 kommt bei vielen Tieren vor die ihr Gift defensiv einsetzen, vor allem bei Insekten. Die Forschenden haben ihre Struktur untersucht und festgestellt, dass die Phospholipasen im Ammen-Dornfinger ähnlich zu denen aus Bienengift sind. Sie vermuten, dass die pharmakologische und strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem Gift des Ammen-Dornfingers und dem Bienengift in der vergleichbaren biologischen Funktion begründet liegt. „Im Gegensatz zu anderen Spinnen nutzt der Ammen-Dornfinger sein Gift in erster Linie, um seine Brut zu verteidigen“, erläutert Lüddecke. „Auch Bienen und einige weitere Arten haben klassische defensive Gifte. Offenbar reagiert die Evolution hier mit ähnlichen biomolekularen Lösungen auf vergleichbare Problemstellungen, obwohl die jeweiligen Arten nicht nahe verwandt sind.“

Daraus ergeben sich neue Perspektiven für die Suche nach Wirkstoffen. So wurde Spinnengift bislang nahezu ausschließlich für die Suche nach neuen Leitstrukturen für die Behandlung neuronaler Krankheiten berücksichtigt. „Die Bandbreite an Toxinen im Ammen-Dornfinger, die Zellen attackieren, deutet jedoch an, dass sie zukünftig auch für Wirkstoffe gegen zellbasierte Krankheiten wie Krebs evaluiert werden sollten“, sagt Lüddecke.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Tim Lüddecke
Institut für Insektenbiotechnologie
Telefon: 0641 97219203
E-Mail: tim.lueddecke@agrar.uni-giessen.de


Originalpublikation:

Lüddecke, T., Hurka, S., Dresler, J. et al. Comparative venomics suggests an evolutionary adaption of spider venom from predation to defense. Commun Biol 8, 1496 (2025). https://doi.org/10.1038/s42003-025-09015-6


Bilder

Ein ausgewachsener Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium) zeigt seine Drohgebärde.

Ein ausgewachsener Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium) zeigt seine Drohgebärde.
Quelle: Louis Roth


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch


 

Quelle: IDW