Alte Mücke, neue Geschichte: Ursprung des „London Underground Mosquito“ liegt im alten Nahen Osten



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24.10.2025 16:00

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Alte Mücke, neue Geschichte: Ursprung des „London Underground Mosquito“ liegt im alten Nahen Osten

Ein internationales Forschungskonsortium mit Beteiligung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) hat das Geheimnis um den Ursprung einer der ungewöhnlichsten Stadtbewohnerinnen gelüftet: der Mücke Culex pipiens molestus, besser bekannt als „London Underground Mosquito“. Entgegen der langjährigen Annahme, dass sich diese unterirdisch lebende Stechmücke erst vor rund 200 Jahren in Londons U-Bahn entwickelte, zeigen neue genomische Analysen: molestus entstand bereits vor mehr als 1.000 Jahren im Mittelmeerraum oder Nahen Osten, vermutlich im Zusammenhang mit der Sesshaftwerdung früher Agrarkulturen. Die Studie ist im Fachjournal Science erschienen.

Seit Jahrzehnten kursiert die Geschichte der „U-Bahn-Mücke“, die während des Zweiten Weltkriegs in Londons Tunneln aufgetaucht sei. Menschen lagen dort nachts auf Bahnsteigen, um Schutz vor Bombenangriffen zu suchen und wurden gestochen. Forschende nahmen lange an, eine neue Mücke hätte sich innerhalb weniger Generationen an das Leben unter der Erde angepasst. Doch das stimmt nicht. Die neue Studie zeigt: Evolution verläuft langfristiger.

Die untersuchte Mückenform Culex pipiens molestus lebt vor allem in warmen, feuchten, oft unterirdischen Lebensräumen in Städten. Sie paart sich auf engem Raum, bleibt im Winter aktiv und sticht Menschen. Weibchen entwickeln ihre erste Eierladung auch ohne Blutmahlzeit, eine seltene Fähigkeit namens Autogenie. Doch auch wenn sie nicht zum Stechen gezwungen sind, tun sie es dennoch: Für weitere Gelege benötigen sie Blut; der Stichtrieb bleibt also erhalten. Ihre nahe Verwandte, die oberirdische Form Cx. pipiens pipiens, bevorzugt Vögel, benötigt offene Flächen zur Paarung und hält Winterschlaf. Morphologisch lassen sich beide nicht unterscheiden.

Genomdaten und historische Proben widerlegen den Mythos

Das Forschungskonsortium unter der Leitung von Prof. Lindy McBride und Yuki Haba (Princeton University) sequenzierte die Genome von mehr als 800 Stechmücken aus 44 Ländern, darunter auch historische Exemplare aus Londoner Museen. Die umfassende Analyse zeigt: molestus ist nicht im Untergrund entstanden, sondern oberirdisch im Mittelmeerraum. Zudem fanden die Forschenden Hinweise darauf, dass sich diese Mückenform bereits vor über 1.000 Jahren an vom Menschen geprägte Lebensräume anpasste, lange bevor moderne Städte entstanden.

„Am bemerkenswertesten finde ich, dass sich diese Mücken schon vor Tausenden von Jahren oberirdisch in frühen Siedlungen an den Menschen anpassten“, sagt Dr. Mine Altinli vom BNITM, die ebenso wie Dr. Tatiana Sulesco (BNITM) Mückenproben zu der Studie beisteuerte. „Eigenschaften, die vermutlich als Reaktion auf jene frühen Lebensräume entstanden sind, ermöglichen es ihnen heute, in modernen Städten und unterirdischen Räumen zu gedeihen. Diese langfristige Beziehung zu verstehen, ist entscheidend, um die heutigen Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit anzugehen.“

Erkenntnisse für die öffentliche Gesundheit

Die Studie liefert nicht nur eine überraschende Evolutionsgeschichte, sie hat auch aktuelle Relevanz. Cx. pipiens molestus ist ein effizienter Überträger von Viren wie dem West-Nil-Virus. Die Erkenntnis, dass diese Mückenform weit verbreitet und genetisch vielfältig ist, hilft, Übertragungswege besser zu verstehen und liefert Hinweise darauf, wie sich Krankheitsüberträger künftig in städtischen Räumen verhalten könnten.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Mine Altinli
Arbeitsgruppe Mücken-Virus-Interaktionen
Bernhard-Noch-Institut für Tropenmedizin
Tel.: +49 40 285380-452
mine.altinli@bnitm.de


Originalpublikation:

Yuki Haba et al.: Ancient origin of an urban underground mosquito. Science 23 Oct 2025. Vol 390, Issue 6771
doi.org/10.1126/science.ady4515


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Geschichte / Archäologie, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch


 

Quelle: IDW