Belastende Erfahrungen im Kindesalter lassen das Gehirn schneller altern



Teilen: 

13.02.2025 13:21

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Belastende Erfahrungen im Kindesalter lassen das Gehirn schneller altern

Erwiesen ist, dass sich hochbelastende Kindheitserfahrungen mitunter negativ auf die Gesundheit im Erwachsenenalter auswirken. Betroffene erkranken häufiger etwa unter Depression, Angststörungen, Herzkreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen. Ob Belastungen in der Kindheit auch das Entstehen neurodegenerativer Erkrankungen fördern können, darüber war bisher wenig bekannt. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnten nun zeigen, dass schwerwiegende Kindheitserfahrungen zu messbaren Anzeichen für eine beschleunigte Hirnalterung führen und neurodegenerative Prozesse im Alter verstärken. Die Studie, in deren Zentrum Frauen stehen, ist im Magazin Annals of Neurology* erschienen.

Risiko für spätere Demenzerkrankungen rechtzeitig erkennen und vorbeugen

„Stress und Trauma während der Kindheit wie etwa Misshandlung oder Vernachlässigung, häusliche Gewalt, Substanzmissbrauch oder Kriminalität in der Familie oder der Verlust eines Elternteils – Erfahrungen dieser Art betreffen tatsächlich nicht wenige Menschen in unserer Gesellschaft“, sagt Studienleiterin Prof. Christine Heim, Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie der Charité. „Rund 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung berichten über stressreiche und hochbelastende Kindheitserfahrungen. Diese können molekulare und neurobiologische Spuren hinterlassen und das Hormon- und Immunsystem beeinflussen, was zu einem lebenslang deutlich erhöhten Risiko für verschiedene Erkrankungen beitragen kann.“ Mit ihrer Untersuchung wollte das Forschungsteam um Prof. Heim herausfinden, ob sich diese frühen belastenden Lebenserfahrungen langfristig auf die Gehirnalterung auswirken und neurodegenerative Prozesse fördern.

Biomarker, Hirn-Scan und kognitive Tests

An der Studie, die in enger Kooperation mit der Klinik für Neurologie der Charité entstand, nahmen 179 Frauen zwischen 30 und 60 Jahren teil. Da Frauen ein erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen haben, legten die Wissenschaftler:innen den Fokus ihrer Forschungsarbeit auf diese Hochrisikogruppe. „Zunächst haben wir klinische Interviews durchgeführt, um das Ausmaß stressreicher und hochbelastender Erfahrungen in der Kindheit – noch vor Einsetzen der Pubertät – zu erfassen“, sagt Lara Fleck, Doktorandin am Institut für Medizinische Psychologie der Charité und Erstautorin der Arbeit. „Außerdem haben wir Blutproben der Studienteilnehmerinnen mithilfe von Hochpräzisionstechnologien auf Biomarker untersucht, die spezifische Entzündungsprozesse und das Absterben von Nervenzellen anzeigen.“

Mittels Magnetresonanztomographie erstellten die Forschenden Hirn-Scans, um die Größe des Gehirns sowie die der mit Hirnwasser gefüllten Hohlräume zu erfassen. Die kognitive Leistung der Teilnehmerinnen ermittelten sie mit einem standardisierten und international anerkannten Testverfahren. „Dabei mussten die Teilnehmerinnen verschiedene Aufgaben am Computer lösen. Wir haben für unsere Studie drei spezifische Tests ausgewählt, die sehr genau frühe Anzeichen für eine Demenz detektieren können“, erklärt Lara Fleck.

Mithilfe statistischer Modelle haben die Forschenden die erhobenen Daten ausgewertet. Sozioökonomische Faktoren sowie das Vorliegen psychischer Probleme wie etwa Depressionen, die beim Entstehen neurodegenerativer Erkrankungen eine Rolle spielen können, haben die Wissenschaftler:innen herausgerechnet, sodass die zu untersuchenden Zusammenhänge nicht beeinflusst oder verfälscht wurden.

Frühe Stresserfahrungen begünstigen verstärkte Hirnalterung

Die Ergebnisse waren auf allen drei Untersuchungsebenen eindeutig: Frauen, die in ihrer Kindheit in hohem Maße Stress oder Trauma erlebten, wiesen im Blut vermehrt Biomarker für Entzündungen und Neurodegeneration auf, hatten ein geringeres Hirnvolumen und mehr kognitive Probleme. „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen frühen psychosozialen oder sozio-emotionalen Stresserfahrungen und verstärkter Hirnalterung bei Frauen. Frühe belastende Lebenserfahrungen scheinen also tatsächlich das Risiko für die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen zu erhöhen“, schließt Prof. Heim. „In weiterführenden Untersuchungen müssen nun die dahinterstehenden Mechanismen aufgeklärt werden, damit künftig die Pfade der Krankheitsentstehung mit geeigneten Therapien frühzeitig und gezielt unterbrochen werden können.“

„Insbesondere vor dem Hintergrund, dass neurodegenerative Erkrankungen wie zum Beispiel die Alzheimer-Erkrankung deutlich zunehmen, müssen wir besser verstehen lernen, welche Risikofaktoren beim Entstehen eine Rolle spielen“, sagt Prof. Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie der Charité. „Unsere Erkenntnisse werfen Licht auf bislang unerkannte, aber umso wichtigere Zusammenhänge.“ Doch nicht jede oder jeder Betroffene wird nach kindlichem Trauma eine Demenz entwickeln. Viele Menschen besitzen ein hohes Maß an Resilienz, also Widerstandskraft, mit der sie schwere Lebenskrisen überstehen, ohne größeren Schaden zu nehmen. Wie Resilienz nach frühen belastenden Erfahrungen in der Kindheit gezielt gefördert werden kann, ist eine wichtige Frage für weiterführende Studien, so die Forschenden.

Dass Frauen deutlich häufiger an Demenz erkranken als Männer, ist einer der Gründe, warum die Wissenschaftler:innen in der aktuellen Studie zunächst nur Frauen in den Fokus nahmen. In künftigen Untersuchungen will das Team um Prof. Heim untersuchen, ob bei Männern ähnliche Zusammenhänge zu beobachten sind. „Die jetzt vorliegenden Untersuchungsergebnisse beziehen sich zwar ausschließlich auf Frauen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Sie lassen aber nicht den Schluss zu, dass Frauen mit frühen belastenden Lebenserfahrungen stärker gefährdet wären als Männer.“

Über die Studie
Prof. Christine Heim und Prof. Matthias Endres sind Mitglieder des Exzellenzclusters NeuroCure. Der Fokus des Exzellenzclusters liegt auf der Erforschung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen mit dem Ziel, Krankheitsmechanismen besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln. Die Studie wurde durch NeuroCure gefördert und am NeuroCure Clinical Research Center durchgeführt.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Christine Heim
Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
T: +49 30 450 529 322
christine.heim@charite.de


Originalpublikation:

*Fleck L et al. Early-Life Adversity Predicts Markers of Aging-Related Neuroinflammation, Neurodegeneration, and Cognitive Impairment in Women. Ann Neurol. 2025 Jan 9. doi: 10.1002/ana.27161


Weitere Informationen:

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ana.27161
https://medpsych.charite.de/
https://neurocure.de/


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW