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03.05.2024 12:58
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Das Mikrobiom verändert sich dynamisch und begünstigt wichtige Funktionen für den Wirt
Ein interdisziplinäres Forschungsteam des Kieler SFB 1182 untersucht am Beispiel von Fadenwürmern, welche Prozesse die Zusammensetzung des Mikrobioms in Wirtslebewesen steuern
Alle vielzelligen Lebewesen – von den einfachsten tierischen und pflanzlichen Organismen bis hin zum Menschen – leben in enger Verbindung mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, dem sogenannten Mikrobiom, die sich auf und in ihren Geweben ansiedeln und symbiotische Beziehungen mit dem Wirt eingehen. Viele Lebensfunktionen wie die Nährstoffaufnahme, die Regulierung des Immunsystems oder neurologische Prozesse resultieren aus den Wechselwirkungen zwischen Wirtsorganismus und mikrobiellen Symbionten. Die funktionelle Zusammenarbeit zwischen Wirt und Mikroorganismen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als einen Metaorganismus bezeichnen, wird an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) im Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen” im Detail untersucht.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass das Mikrobiom einen wesentlichen Beitrag zur Umweltanpassung und Fitness eines Gesamtorganismus leisten kann. Einen Grund dafür sehen sie in der raschen Anpassungsfähigkeit von Mikroorganismen, die um ein Vielfaches schneller auf veränderte Umweltbedingungen reagieren können als die üblicherweise langsamer evolvierenden Wirtslebewesen. Wie die Ansiedlung und Zusammensetzung des Mikrobioms während der Individualentwicklung des Wirtslebewesens zustande kommt, ist Gegenstand aktueller Forschung.
Ein Team aus der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik um Professor Hinrich Schulenburg am Zoologischen Institut der CAU hat nun gemeinsam mit weiteren Forschungsgruppen des SFB 1182 aus verschiedenen Fakultäten und dem Plöner Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie die Dynamiken der Mikrobiombesiedlung untersucht. Dabei stellten sie fest, dass das Mikrobiom im Wirtsorganismus des Fadenwurms während einer großen Spanne seiner Lebenszeit keiner zufälligen Zusammensetzung entspricht, was für gerichtete Selektionsprozesse bei der Entstehung der Mikrobengemeinschaft spricht. Gestützt wird diese Vermutung dadurch, dass in einer Genomanalyse der Mikrobenarten des Wurmmikrobioms zahlreiche Gene gefunden wurden, die für bestimmte für den Wirtsorganismus wichtige, auch in anderen Lebewesen relevante Stoffwechselfunktionen verantwortlich sind. Mit diesen Ergebnissen zeigen die Kieler Forschenden erneut, dass sich Caenorhabditis elegans besonders gut als informativer Modellorganismus zur Erforschung des Darmmikrobioms eignet. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden des SFB 1182 kürzlich in der Fachzeitschrift mBio.
Dynamik der Mikrobiomzusammensetzung im Laufe der Lebenszeit des Fadenwurms
Um die Entwicklung der Mikrobiomzusammensetzung des Fadenwurms C. elegans über die Zeit untersuchen zu können, verwendete Dr. Agnes Piecyk, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik, die die Experimente plante und leitete, eine charakteristische Gemeinschaft von 43 verschiedenen Bakterienarten, die typischerweise auch in der Natur im Fadenwurm vorkommen. Diese Mikrobengemeinschaft brachte sie in zuvor keimfreie Tiere ein, siedelte sie zudem auf einem Nährmedium in der direkten Umgebung der Würmer und in separaten Petrischalen ganz ohne Kontakt zu den Tieren an. Anschließend wurde zu sechs einzelnen Zeitpunkten untersucht, wie sich die Zusammensetzung dieser experimentellen Mikrobengemeinschaft unter den verschiedenen Bedingungen im Laufe rund einer Woche entwickelte – was der durchschnittlichen Lebensdauer der Fadenwürmer entspricht.
Im Verlauf des Experiments zeigte sich, dass nur in den wirtsassoziierten Mikrobengemeinschaften, also bei den in den Würmern lebenden Bakterien, der Faktor Zeit eine auffallende Rolle spielte: „Ihre Zusammensetzung veränderte sich dahin, dass einige bestimmte Bakterienarten vermehrt auftraten“, so Dr. Johannes Zimmermann, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik, der die Daten auswertete. Es reichern sich zum Beispiel die Bakterienarten Ochrobactrum und Enterobacter im Darm des Wurms an. „Diese Entwicklung lässt sich nicht überzeugend mit stochastischen, also im Prinzip zufälligen Prozessen erklären. Daher wollten wir herausfinden, ob hinter der dynamischen Veränderung des Wurmmikrobioms über die Zeit möglicherweise gerichtete Prozesse stehen könnten“, erklärt Zimmermann.
Genomuntersuchung deutet auf Selektion bestimmter nützlicher Stoffwechselfunktionen hin
Im nächsten Schritt untersuchte das Forschungsteam die Genome der Mikroorganismen im Wurmmikrobiom, in diesem Fall also sämtliche Erbinformationen, die in den Bakteriengemeinschaften an den verschiedenen Zeitpunkten während der Lebensspanne der Würmer enthalten waren. Interessanterweise fanden die Forschenden speziell bei den wirtsassoziierten Mikrobengemeinschaften einige auffällige Übereinstimmungen mit Genen, die zum Beispiel aus der menschlichen Mikrobiom-Forschung bekannt sind. „Wir vermuten, das dies nicht zufällig zustande gekommen ist, sondern durch spezifische Wechselwirkungen zwischen Wirt und Mikrobiom getrieben zu sein scheint, die an bestimmten Punkten der Lebensspanne des Wirtes auf die Mikrobiomzusammensetzung einwirken. Eine sehr plausible Erklärung für die Häufung bestimmter Bakterienarten in den Würmern gegenüber den Kontrollgruppen könnte also sein, dass der Wirt ganz gerichtet bestimmte Bakterien und die mit ihnen verbundenen Funktionen selektiert, die wiederum vorteilhaft für den Wirtsorganismus sind“, betont Zimmermann. Diese Hypothese wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass diese vorteilhaften mikrobiellen Funktionen Stoffwechselprozesse umfassen, die auch für andere Lebewesen wichtig sind, zum Beispiel die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren, Vitamin B12 oder anderen lebenswichtigen Stoffen.
Modellorganismus für die Erforschung des Darmmikrobioms
Insgesamt schließen die Forschenden daraus, dass die Dynamik der Mikrobiomzusammensetzung über die Lebenszeit des Wurms bewirkt, dass die darin vertretenen Bakterienarten gewisse Konkurrenzstrategien entwickeln und dabei insbesondere solche Arten im Vorteil sind, die bestimmte für den Wirt nutzbare Funktionen zum Beispiel für den Stoffwechsel mit sich bringen – und die besiedelnden Mikroorganismen damit insgesamt dem Wirtsorganismus nützlich sind und ihm damit zum Beispiel bei der Anpassung an seine Umwelt helfen.
„Mit unserer neuen Arbeit liefern wir wichtige konzeptionelle Grundlagen, die unser Verständnis über die Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms und den Einfluss des Wirtsorganismus bei seiner Entwicklung erweitern“, fasst SFB 1182-Sprecher Schulenburg zusammen. „Unsere auf der neuartigen Mikrobengemeinschaft beruhende Studie zeigt zudem erneut, dass uns mit C. elegans ein wertvolles Modellsystem zur Verfügung steht, das auch für das Verständnis von grundlegenden Prozessen im menschlichen Darmmikrobiom und ihre Konsequenzen für Gesundheit und Krankheit relevant ist“, so Schulenburg weiter.
Fotos stehen zum Download bereit:
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2024/069-zimmermann-mbio-authors.j…
Bildunterschrift: Dr. Agnes Piecyk und Dr. Johannes Zimmermann untersuchten, wie Ansiedlung und Zusammensetzung des Mikrobioms während der Lebenszeit des Fadenwurms C. elegans zustande kommt.
© Dr. Agnes Piecyk
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2024/069-zimmermann-mbio-plate.jpg
Bildunterschrift: Das Forschungsteam beobachtete, wie sich eine Gemeinschaft von 43 verschiedenen Bakterienarten im Wirtslebewesen, auf einem Nährmedium in der direkten Umgebung der Würmer und in separaten Petrischalen ganz ohne Kontakt zu den Tieren entwickelte.
© Dr. Johannes Zimmermann
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2020/214-dirksen-g3-worm.gif
Bildunterschrift: Die Forschenden des SFB 1182 nutzen C. elegans als Modellsystem, um auch grundlegende Prozesse im menschlichen Darmmikrobiom und ihre Konsequenzen für Gesundheit und Krankheit zu verstehen.
© Prof. Hinrich Schulenburg
Weitere Informationen:
Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik, Zoologisches Institut, CAU:
https://www.uni-kiel.de/zoologie/evoecogen
Sonderforschungsbereich 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“, CAU:
https://www.metaorganism-research.com
Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Plön:
https://www.evolbio.mpg.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Hinrich Schulenburg
Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik, Leitung
Zoologisches Institut, CAU
Tel.: 0431-880-4141
E-Mail: hschulenburg@zoologie.uni-kiel.de
Originalpublikation:
Johannes Zimmermann, Agnes Piecyk, Michael Sieber, Carola Petersen, Julia Johnke, Lucas Moitinho-Silva, Sven Künzel, Lena Bluhm, Arne Traulsen, Christoph Kaleta, Hinrich Schulenburg (2024): Gut-associated functions are favored during microbiome assembly across a major part of C. elegans life. MBio First published: 18. April 2024
https://doi.org/10.1128/mbio.00012-24
Weitere Informationen:
https://www.uni-kiel.de/zoologie/evoecogen
https://www.metaorganism-research.com
https://www.evolbio.mpg.de
Bilder
Dr. Agnes Piecyk und Dr. Johannes Zimmermann untersuchten, wie Ansiedlung und Zusammensetzung des Mi …
© Dr. Agnes Piecyk
© Dr. Agnes Piecyk
Das Forschungsteam beobachtete, wie sich eine Gemeinschaft von 43 verschiedenen Bakterienarten im Wi …
Dr. Johannes Zimmermann
Dr. Johannes Zimmermann
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
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