02.04.2019 10:57
Die Normannen: Krieger und Kosmopoliten
Räuber, Ritter oder Reichsgründer? – „Unvollständig“ sei das allgemein vorherrschende Bild, das man von den Normannen habe, ist Prof. Dr. Rudolf Simek von der Universität Bonn überzeugt. Mit seinem Buch über die Nachfahren der Wikinger und „Erfinder“ des Rittertums will er Wissenslücken schließen und zeigen, dass die Normannen nicht nur erfolgreiche Feldzüge bestritten haben, sondern auch an kulturgeschichtlichen Entwicklungen beteiligt waren. Die geographische Ausbreitung der Normannen über den europäischen Kontinent liefert dafür den roten Faden.
Normannen? Sind das nicht die Protagonisten der Geschichte von „Wickie und die starken Männer“? Vom Ursprung des Begriffs her ist diese Assoziation durchaus berechtigt: „Heute spricht man von Wikingern statt von Normannen, wenn es um die Bezeichnung der Skandinavier des frühen Mittelalters geht“, schreibt Prof. Dr. Rudolf Simek, Professor und Lehrstuhlinhaber für Ältere Germanistik mit Einschluss des Nordischen an der Universität Bonn, gleich zu Beginn seines facettenreichen Buches. Explizit als „Normannen“ würden „nur noch diejenigen Skandinavier bezeichnet, die durch ihre Ansiedlung in Frankreich – besonders eben der späteren Normandie – die fränkische Kultur, die französische Sprache und das Christentum angenommen hatten“, fährt er fort. Die Definition des Begriffs „Normannen“ müsse man daher immer vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit sehen.
Bei der Frage, was man mit dem Begriff „Normannen“ verbinde, könne sogar die Nationalität des Befragten entscheidend für die Antwort sein, erklärt Simek. In den deutschen Rheinlanden zum Beispiel hätten „die Normannenstürme des 9. Jahrhunderts“ allenfalls zerstörerische Spuren hinterlassen. Da werde ihr Name wohl am ehesten mit Wikingerüberfällen, Plünderungen und Geiselnahmen in Verbindung gebracht. Die Engländer würden dagegen vor allem an die Eroberung Britanniens durch den Normannenherzog Wilhelm den Eroberer im Jahre 1066, der einzigen seit den Invasionen durch Julius Caesar, denken. Ein Ereignis, das auch heute noch zwiespältig beurteilt werde.
In der Normandie selbst assoziiere man mit den Normannen Romanisierung, Christianisierung und die „beständigste Reichsgründung“, die die ursprünglichen Skandinavier im Ausland etabliert hätten. Dass die Normannen sogar bis nach Süditalien gelangten und das Königreich Sizilien begründeten, mag im Wissen der Allgemeinheit vielleicht nicht so präsent sein, obwohl gerade dort steinerne Zeugnisse der Normannenherrschaft erhalten sind. Die Architektur stünde exemplarisch für die Hochkultur des 11. und 12. Jahrhunderts, die sich unter der Herrschaft der normannischen Eroberer entwickelt habe.
Von Räubern und Plünderern zu Kirchenförderern
„Kultur“ ist für Simek ohnehin ein entscheidendes Stichwort, wenn es darum geht, ein differenzierteres Bild der Normannen zu zeichnen als gemeinhin üblich. Es ist ihm ein wichtiges Anliegen, die Verdienste der Normannen auch auf diesem Gebiet hervorzuheben: „Man muss sich klar machen, welche rasante Entwicklung die Normannen durchgemacht haben. Innerhalb von ein, zwei Generationen haben sie sich von Räubern und Plünderern zu Rittern und Kirchenförderern gewandelt“, sagt Simek. Ihre Förderung des mittelalterlichen Klosterlebens führte ebenso zur kulturellen Blüte wie der bereichernde Austausch mit der islamischen Welt. Als Beispiel für die Literatur nennt Simek die ersten Ritterromane.
Bei seiner Geschichte der Normannen ist Simek nach der Begriffsbestimmung zunächst chronologisch vorgegangen. Es sei jedoch trotzdem nicht immer leicht gewesen, den Stoff zu strukturieren, da sich die Geschehnisse in England und Süditalien parallel ereigneten, erklärt er. Die Darstellung der militärischen Ereignisse und die Ausbreitung der Normannen auf dem europäischen Kontinent bis in den Nahen Osten habe er mit den kulturgeschichtlichen Aspekten wie etwa der Herausbildung eines Herzogtums und dem Verhältnis zum Christentum kombiniert. Eine weitere Herausforderung sei die Quellenlage. Zwar gebe es viele zeitgenössische Dokumente, aber diese seien immer mit Vorsicht zu genießen, da die damaligen Geschichtsschreiber über die Normannen häufig im Sinne ihrer Auftraggeber berichtet hätten.
Anpassungsfähigkeit und multikulturelle Offenheit
Aus seiner Anerkennung für die Normannen und ihre historischen Leistungen macht Simek keinen Hehl: „Sie haben besser als andere Europäer verstanden, wie sehr Christentum und Expansion zusammenhängen. Sie zeichnen sich außerdem durch eine unnachahmliche militärische Effizienz aus. Sie sind die eigentlichen Erfinder des Rittertums.“ Sie seien ursprünglich nicht einmal besonders gute Reiter gewesen und trotzdem hätten sie die effizienteste Methode entwickelt, zu Pferd zu kämpfen. Für ihn sind die Normannen die Kosmopoliten des Mittelalters, im besten Sinne wahre Europäer, von deren Mobilität, Energie, Anpassungsfähigkeit beziehungsweise ihrer Gabe nützliches Verhalten zu übernehmen und weiterzuentwickeln – Stichwort: Verwaltung – und multikultureller Offenheit man heutzutage durchaus etwas lernen könne.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rudolf Simek
Universität Bonn
Ältere Germanistik mit Einschluss des Nordischen
Tel. 0228/739010
E-Mail: simek@uni-bonn.de
Originalpublikation:
Rudolf Simek: Die Geschichte der Normannen – Von Wikingerhäuptlingen zu Königen Siziliens, Reclam, 296 S. 16 Farbabb. 5 Karten, 22 Euro
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch