Erfolg in der Behandlung von Autoimmun-Bluterkrankheit



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27.05.2025 13:10

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Erfolg in der Behandlung von Autoimmun-Bluterkrankheit

MHH-Hämatologen therapieren schwerkranken Patienten mit erworbener Hämophilie A erfolgreich mit CAR-T-Zellen.

In Zell- und Gentherapien liegen große Hoffnungen der Biomedizin. Sie gewinnen zunehmend an Bedeutung für Erkrankungen, die bisher nicht oder nur schlecht behandelt werden können – etwa bei aggressiven Krebsformen oder bei seltenen Krankheiten wie der Hämophilie, umgangssprachlich auch Bluterkrankheit genannt. Im Hämophilie-Zentrum an der Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation (Direktor Professor Dr. Florian Heidel) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ist jetzt zum ersten Mal eine sogenannte CAR-T-Zelltherapie an einem Patienten mit erworbener Hämophilie A erfolgreich vorgenommen worden. Der 39-Jährige litt über mehrere Monate an schweren Blutungen, der individuelle Heilversuch war seine letzte Hoffnung. „Der Patient hat eine lebensbedrohliche Autoimmunstörung, das heißt, sein fehlgeleitetes Immunsystem hat Antikörper gegen seinen körpereigenen Gerinnungsfaktor gebildet“, erklärt Professor Dr. Andreas Tiede, Leiter des Hämophilie-Zentrums. Weil alle Standardtherapien versagten, wendeten die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ein Verfahren an, bei dem zu den weißen Blutkörperchen zählende T-Zellen genetisch verändert wurden, sodass diese als so genannte CAR-T-Zellen die fälschlicherweise aktivierten Immunzellen ausschalteten. Die Ergebnisse sind in der angesehenen Fachzeitschrift „Leukemia“ veröffentlicht worden.

Gerinnungsfaktor fehlt

Hämophilie A ist entweder angeboren, also genetisch bedingt, oder die Gerinnungsstörung ist erworben, entwickelt sich also im Laufe des Lebens. Im ersten Fall fehlt den Betroffenen der sogenannte Gerinnungsfaktor VIII, ein in der Leber produziertes Eiweiß. Im zweiten Fall stuft das Immunsystem das für die Blutgerinnung lebensnotwendige Eiweiß irrtümlich als körperfremd ein, sendet Immunzellen dagegen aus und zerstört es. In Deutschland sind etwa 6.000 Menschen genetisch bedingt von der Erkrankung betroffen, etwa 500 erwerben sie jährlich in Form einer Autoimmunreaktion. „Bei schweren Formen leiden die Patientinnen und Patienten an spontanen Einblutungen in Haut und Muskeln, aber auch innere Organe“, erklärt Professor Tiede. Zusätzlich hätten Menschen mit angeborener Hämophilie ein hohes Risiko für Hirnblutungen.

Fehlgeleitetes Immunsystem

Im Hämophilie-Zentrum der MHH werden sowohl Fälle der angeborenen als auch der erworbenen Bluterkrankheit behandelt. Fehlt der Gerinnungsfaktor, müssen Betroffene die Eiweiße mehrmals pro Woche selbst spritzen – wegen der kurzen Halbwertzeit ist das regelmäßig erforderlich. Mittlerweile bietet das Zentrum aber auch eine Gentherapie an, bei der die Erbinformation für den Gerinnungsfaktor mittels einer Virus-Fähre in die Leberzellen gelangt. Als kleiner DNA-Ring im Zellkern produziert das Gen dort das fehlende Eiweiß. Diese sehr nachhaltige Behandlung wird mittlerweile von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen.

Bei einer Autoimmunerkrankung wirkt die Gabe dieser Gerinnungsfaktoren oft nicht. Patientinnen und Patienten erhalten in der Regel Immunsuppressiva, also Medikamente, die das fehlgeleitete Immunsystem dämpfen. Eine weitere Therapiemöglichkeit ist der Wirkstoff Emicizumab. Der Antikörper ist kein Gerinnungsfaktor, sondern ahmt nur dessen Wirkungsweise nach und aktiviert die Blutgerinnung. „Bei unserem Patienten hat jedoch keine der Standardtherapien funktioniert, weshalb wir einen anderen Weg gegangen sind“, sagt Privatdozent (PD) Dr. Christian Schultze-Florey. Gemeinsam mit seiner Kollegin Professorin Dr. Felicitas Thol hat der Hämatologe den lebensbedrohlich erkrankten 39-Jährigen mit einer CAR-T-Zelltherapie behandelt. Die Methode wird in der Medizin vor allem in der Krebsbehandlung eingesetzt. Dafür werden körpereigene T-Zellen aus dem Blut entnommen. Diese werden dann genetisch verändert und mit einem sogenannten chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet. Mit Hilfe dieses Rezeptors können die T-Zellen nun die als Antigene bezeichnete Zielstrukturen auf den Zellen erkennen, gegen die sie vorgehen sollen.

CAR-T-Zellproduktion direkt vor Ort

Die genetisch modifizierten CAR-T-Zellen werden im Labor vermehrt und anschließend ähnlich wie in einer Bluttransfusion in den Körper der Erkrankten zurückgegeben. Dort vermehren sie sich weiter und verbleiben– je nach synthetischem Rezeptor – als lebende Waffe entweder gegen Krebszellen oder gegen fehlgeleitete Abwehrzellen. „In unserem Fall richtete sich der Antigenrezeptor gegen das Protein CD19 auf der Oberfläche der CD19-B-Lymphozyten, die irrtümlich Antikörper gegen den Gerinnungsfaktor bildeten“, erklärt Professorin Thol. Das Besondere ist, dass die CAR-T-Zellen direkt an der MHH in den Reinräumen des Cellular Therapy Center (CTC) hergestellt werden. Der Vorteil: Die Zellen stehen bereits innerhalb kurzer Zeit unmittelbar zur Verfügung, ohne aufwändig transportiert werden zu müssen und das unabhängig von kommerziellen Firmen.

Noch keine Standardtherapie

Die Therapie rettete dem 39-Jährigen das Leben. Bereits zwei Monate nach der CAR-T-Zell-Transfusion erholte sich der Gerinnungsfaktor und die gefährlichen, unkontrollierten Blutungen gingen komplett zurück. „Obwohl die Behandlung trotz schlechter Ausgangsbedingungen sehr erfolgreich war, handelt es sich um einen individuellen Heilversuch“, betont Professor Tiede. „Um die Wirksamkeit der CAR-T-Zelltherapie bei erworbener Hämophilie A irgendwann als Standardtherapie anbieten zu können, sind weitere Studien nötig.“

Um die Ergebnisse aller Behandlungsansätze im Zusammenhang mit CAR-T-Zelltherapien besser bewerten und nutzen zu können, möchte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das oberste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen, die Daten der bereits bestehenden Register unter dem Dach eines übergreifenden Zell- und Gentherapieregisters zusammenführen. Auch Professor Tiede ist am Aufbau des nationalen Registers beteiligt.

Schwerpunkt Zell- und Gentherapie an der MHH

Die patientennahe „Point-of-Care-Produktion“ der CAR-T-Zellen ist aktuell nur an wenigen Zentren und Standorten in Deutschland möglich und macht so den Schwerpunkt Zell- und Gentherapie der MHH noch stärker sichtbar. Nur durch die enge Verknüpfung des Cellular Therapy Center (CTC) mit dem CAR-T-Programm der Klinik für Hämatologie und dem Schwerpunkt klinische Zelltherapie können Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP) aus der biomedizinischen Entwicklung direkt in die klinische Zelltherapie überführt werden. Diese bietet als Teil des neu gegründeten Zentrums für Zell- und Gentherapie der MHH in exzellenter Zusammenarbeit verschiedener Kliniken neue Therapiemöglichkeiten etwa in den Bereichen Immunologie, Nephrologie oder Neurologie.

SERVICE:
Die Originalarbeit „Anti-CD19 CAR-T cell therapy for acquired hemophilia A” finden Sie unter: https://www.nature.com/articles/s41375-025-02554-1

Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Andreas Tiede, tiede.andreas@mh-hannover.de.


Bilder

CAR-T-Zellen (blau) erkennen mithilfe des synthetischen Rezeptors die Zielzelle (gelb), binden an diese und zerstören sie.

CAR-T-Zellen (blau) erkennen mithilfe des synthetischen Rezeptors die Zielzelle (gelb), binden an di

Copyright: iStock.com, selvanegr


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW