Erstmals in Europa: Hirn-Computer-Schnittstelle für Patient mit Querschnittslähmung



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15.10.2025 09:02

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Erstmals in Europa: Hirn-Computer-Schnittstelle für Patient mit Querschnittslähmung

Ein Team des Universitätsklinikums der Technischen Universität München (TUM
Klinikum) hat einem vom Hals abwärts gelähmten eine Hirn-Computer-Schnittstelle
eingesetzt. Der fünfstündige Eingriff war der erste seiner Art in Europa. Das Gerät
ermöglicht Forschung, die Betroffenen in Zukunft mehr Teilhabe, Unabhängigkeit und
Lebensqualität eröffnen könnte. Konkret will das Team den 25-jährigen Patienten in die
Lage versetzen, sein Smartphone und einen Roboterarm allein mit seinen Gedanken zu
steuern. Derzeit werden weitere Betroffene für die Studie gesucht.

„Ich erhoffe mir, dass ich wieder selbständig essen und trinken kann und etwas weniger Hilfe im Alltag benötige“, sagt Michael Mehringer. Mit 16 Jahren überlebte er einen schweren Motorradunfall. Es folgten 14 Monate Klinik, mit Koma, Intensivstation und zahlreiche Operationen. Bis heute ist er vom Hals abwärts querschnittsgelähmt. Über einen Zeitungsartikel wurden Mehringer und seine Familie auf die Studie „Künstliche Intelligenz für Neurodefizite“ am TUM Klinikum aufmerksam. „Ich bin immer positiv. Ich habe immer viel Hoffnung. Das ist mein Antrieb“, sagt Mehringer. „Ich bin stolz, dass ich mithelfen kann, die Forschung voranzubringen.“

Mehr als fünfstündiger Eingriff

Nach einer langen Vorbereitungs- und Planungsphase setzte das Team der Neurochirurgie am TUM Klinikum in einer mehr als fünfstündigen Operation eine eigens gefertigte Hirn-Computer-Schnittstelle ein. Mit den 256 Mikroelektroden des Geräts lassen sich Signale aus dem Bereich des Gehirns, der für die Planung und Durchführung komplexer Greifbewegungen zuständig ist, präzise ableiten.

„Die größte Herausforderung bestand darin, die Elektroden sehr genau zu implantieren. Nur so erhält man hinterher exakte Ableitungen, und kann Hirnsignale präzise messen“, erläutert Prof. Bernhard Meyer, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie.

Erste Operation dieser Art in Europa

„Mit der Operation wurde erstmals in Europa eine Hirn-Computer-Schnittstelle bei einer Querschnittslähmung eingesetzt“, sagt Simon Jacob, Professor für Translationale Neurotechnologie. „Wir sind stolz, die erste akademische Einrichtung in ganz Europa zu sein, die inzwischen schon zwei Hirn-Computer-Schnittstellen implantiert hat.“ Bereits 2022 hatte das Team einer Schlaganfallpatientin mit Sprachstörung eine solche Schnittstelle eingesetzt. Mit deren Hilfe wurde seitdem zunächst die Sprachverarbeitung in der gesunden rechten Hirnhälfte kartiert.

Hirnsignale werden decodiert

Nach dem erfolgreichen Eingriff haben die eigentlichen Forschungsarbeiten begonnen. Etwa zweimal in der Woche treffen sich Michael Mehringer und die Forschenden im Labor. Über einen Messkopf wird ein Computer an die Schnittstelle angeschlossen. Das System extrahiert aus den übertragenen Signalen Nervenzellaktivität. Diese Daten werden genutzt, um KI-Algorithmen so zu trainieren, dass sie den Zusammenhang zwischen den neuronalen Signalen und der Bewegung, die Michael Mehringer ausführen will, erkennen. Hier kommt das Team des Munich Institute for Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) an der TUM ins Spiel.

Zunächst sollen decodierten Hirnsignale genutzt werden, um einen Cursor auf einem Bildschirm und ein Mausklick-Signal zu kontrollieren. Dann, so hoffen die Forschenden, kann Michael Mehringer nach und nach lernen, einen robotischen Arm zu bewegen und damit Gegenstände zu greifen. „Anstatt von Menschen zu erwarten, dass sie sich anpassen und den Umgang mit Robotersystemen erlernen, liegt unser Schwerpunkt darauf, Systeme zu entwickeln, die menschliche Absichten erkennen“, sagt die Teamleiterin Dr. Melissa Zavaglia. Ein erster Erfolg nach einigen Wochen Training: Wenn Michael Mehringer auf einem Bildschirm die Bewegungen eines Cursors beobachtet und in Gedanken nachahmt, können die Forschenden aus den neuronalen Daten ablesen, welche Bewegungen er sich vorstellt.

Querschnittslähmung in Deutschland

In Deutschland leben etwa 140.000 Menschen mit Querschnittslähmung. Durch Unfälle, Tumore, Entzündungen oder Veränderungen der Wirbelsäule kommen jährlich rund
2.400 Betroffene neu hinzu. Viele von ihnen leben Jahrzehnte mit ihrer Erkrankung. Die Abhängigkeit von Angehörigen und Pflegekräften stellt eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar.

Wettbewerb mit amerikanischen Einrichtungen

Bei der Suche nach neuen Lösungen für Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen, sehen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem im Wettbewerb mit Forschungseinrichtungen in den USA. Dort ist Simon Jacob zufolge in den vergangenen 20 Jahren stark in Forschung zu Gehirn-Computer-Schnittstellen investiert worden. „Unser Ziel ist, den Rückstand Europas und Deutschlands aufzuholen, indem wir Projekte durchführen, die anderswo nicht möglich sind“, sagt Simon Jacob. „Das geht nur, indem wir die unterschiedlichen Kerndisziplinen an einem Standort besetzen: Medizin, Neurowissenschaften – und da zähle ich die KI mit rein – und die Hardware-Seite, also die Ingenieurwissenschaften. Weltweit gibt es kaum Universitäten, die diese drei Pfeiler so gut besetzen wie die Technische Universität München.“

Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer für Studie gesucht

In Zusammenarbeit mit engagierten Teilnehmenden wie Michael Mehringer wollen die Münchner Forschenden in den kommenden Jahren wichtige Durchbrüche erzielen. Für die Studie suchen sie weitere junge Erwachsene aus dem Raum München mit hoher Querschnittlähmung, zum Beispiel durch einen Bade- oder Verkehrsunfall.

Prof. Jacob: „Wir suchen Menschen mit Pioniergeist und einer positiven Lebenseinstellung. Für unsere Studienteilnehmer ist wichtig zu verstehen, dass sie an Forschung teilnehmen, nicht an Heilung. Forschung ist nicht so planbar wie eine Kopfschmerztablette zu schlucken, die seit unzähligen Jahren entwickelt und erprobt ist.“

Weitere Informationen:

• Studienteilnahme: Junge Erwachsene mit hoher Querschnittslähmung, die an der Studie teilnehmen wollen, können sich per E-Mail an aid-studie@mri.tum.de bei den Forschenden melden. Sämtliche Kosten werden durch das TUM Klinikum getragen, unterstützt durch öffentliche Gelder. Die Studienteilnahme ist zunächst auf fünf Jahre angelegt. Der Fortgang der Studie wird laufend kritisch überprüft. Die Sicherheit und das Wohlbefinden der Teilnehmenden stehen stets im Vordergrund. Die Studie wird vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt gefördert und wurde von der Ethikkommission des TUM Klinikums geprüft.
• Ethische Fragen: Neben neuen Möglichkeiten sorgen Hirn-Computer-Schnittstellen auch für neue ethische Herausforderungen. Marcello Ienca, Professor für die Ethik von KI und Neurowissenschaften an der TUM, beschäftigt sich intensiv mit diesen Fragen und steht in engem Austausch mit dem Team. Prof. Ienca hat unter anderem in Expertengremien von OECD und UNESCO zu diesem Thema mitgearbeitet und ist designierter Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Neuroethik (Kontakt: marcello.ienca@tum.de).
• Persönliche Geschichte: Michael Mehringer hat über seinen Weg zurück ins Leben ein Buch geschrieben („Seit dem Tag danach – Hallo, ich bin immer noch DER Michi“).

Zusatzinformationen für Redaktionen:

• Fotos zum Download: https://mediatum.ub.tum.de/1832521

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Simon Jacob
Technische Universität München
Professur für Translationale Neurotechnologie
Tel: 089 / 4140 – 7636
simon.jacob@tum.de

Prof. Dr. Bernhard Meyer
TUM Klinikum
Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie
+49 89 41402151
nch-office@mri.tum.de

Dr. Melissa Zavaglia
Technische Universität München
Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI)
melissa.zavaglia@tum.de

Kontakt im TUM Corporate Communications Center:

Paul Hellmich
Pressereferent
Tel. +49 89 289 22731
presse@tum.de
www.tum.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Simon Jacob
Technische Universität München
Professur für Translationale Neurotechnologie
Tel: 089 / 4140 – 7636
simon.jacob@tum.de

Prof. Dr. Bernhard Meyer
TUM Klinikum
Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie
+49 89 41402151
nch-office@mri.tum.de

Dr. Melissa Zavaglia
Technische Universität München
Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI)
melissa.zavaglia@tum.de


Weitere Informationen:

https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/hirn-comp… Diese Meldung auf tum.de


Bilder

Prof. Simon Jacob und Studienteilnehmer Michael Mehringer besprechen Daten, die über eine Hirn-Computer-Schnittstelle gewonnen wurden.

Prof. Simon Jacob und Studienteilnehmer Michael Mehringer besprechen Daten, die über eine Hirn-
Quelle: Kathrin Czoppelt / TUM Klinikum
Copyright: Kathrin Czoppelt / TUM Klinikum; Verwendung frei für Berichterstattung über das Forschungsprojekt bei Nennung des Copyright

Ein Team der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des TUM Klinikums um Prof. Bernhard Meyer hat in einer fünfstündigen Operation einem Patienten mit Querschnittslähmung eine Hirn-Computer-Schnittstelle eingesetzt.

Ein Team der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des TUM Klinikums um Prof. Bernhard Meyer hat
Quelle: Julia Bergmeister / TUM Klinikum
Copyright: Julia Bergmeister / TUM Klinikum; Verwendung frei für Berichterstattung über das Forschungsprojekt bei Nennung des Copyright


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch


 

Quelle: IDW