Hochempfindliche Sensoren sollen Herz- und Hirnströme messen

Hochempfindliche Sensoren sollen Herz- und Hirnströme messen


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19.09.2019 17:18

Hochempfindliche Sensoren sollen Herz- und Hirnströme messen

Kieler Forschungsteam entwickelt energieeffiziente Sensoren für extrem niedrige Frequenzen

Wie das menschliche Gehirn oder das Herz arbeitet, zeigen ihre elektrischen Signale, die zum Beispiel über ein EKG (Elektrokardiogramm) gemessen werden. Aber auch magnetische Signale verraten etwas über die Aktivität dieser Organe. Sie könnten sich mit wenig Aufwand ohne Hautkontakt messen lassen. Für die besonders schwachen Signale braucht es jedoch hochempfindliche Sensoren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Sonderforschungsbereich 1261 „Magnetoelectric Sensors“ der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben jetzt ein neues Sensorkonzept entwickelt, um in Zukunft diese niedrigen Frequenzen von Herz- und Hirnströmen zu messen. Die extrem kleinen, energieeffizienten Sensoren eignen sich besonders gut für medizinische Anwendungen oder mobile Mikroelektronik. Möglich wird das durch die Verwendung von sogenannten Elektreten. Dieses Material ist permanent elektrisch aufgeladen und kommt auch in Mikrofonen für Hörgeräte oder Mobiltelefone zum Einsatz. Das Forschungsteam stellt sein Sensorkonzept in einem Sonderband der renommierten Zeitschrift Nano Energy vor.

Wie ein Sprungbrett im Schwimmbad

Im gemeinsamen Forschungsprojekt von Professor Rainer Adelung, Arbeitsgruppe Funktionale Nanomaterialien und Professor Franz Faupel, Arbeitsgruppe für Materialverbunde, dreht sich alles um sogenannte Biegebalken-Sensoren. Sie bestehen aus einem dünnen Silizium-Streifen, auf dem zwei Schichten aufgebracht sind: Die erste reagiert auf Magnetfelder, die zweite kann eine elektrische Spannung abgeben. „Tritt ein Magnetfeld auf, verformt sich die erste Schicht und verbiegt damit den ganzen Balken: Er schwingt, ähnlich wie ein Sprungbrett im Schwimmbad“, erklärt SFB-Mitglied Faupel das Grundprinzip. Die zweite Schicht gibt durch ihre Verformung ein messbares Spannungssignal ab.

„Mit unserem neuen Sensorkonzept wollten wir diese Umwandlung von mechanische in elektrische Energie noch effektiver gestalten, indem wir dem Biegebalken mehr Schwung verleihen“, erklärt Doktorandin Marleen Schweichel. Je stärker der Balken schwingt, desto stärker das ausgesendete elektrische Signal.

Hartes Material zum Schwingen gebracht

Normalerweise schwingen sogenannte weiche Materialien wie Kunststoffe mit niedriger Frequenz. Die Schwingung ist also stark gedämpft und das ausgesendete Signal nur sehr gering. Mit harten Materialien lässt sich so eine starke Dämpfung vermeiden. Hierfür wird aber eine größere Materialmasse benötigt, die sich in den kleinen Dimensionen der Sensortechnik kaum einbauen lässt. „Mit unserem Ansatz konnten wir einen kleinen Biegebalken aus hartem Material dazu bringen, sich wie ein weiches Material zu verhalten und bei niedrigen Frequenzen zu schwingen – und das sogar noch mit größerer Amplitude“, fasst Adelung die Besonderheit ihrer Entdeckung zusammen.

Elektret-Materialien: Permanent elektrisch aufgeladen

Entscheidend war hierfür der sogenannte Elektret. Dieses permanent elektrisch aufgeladene Material brachte das Forschungsteam unter dem Biegebalken an. Normalerweise drängt der in Schwingung gebrachte Balken zurück in seine Ausgangsposition. Der Elektret zieht ihn durch seine Eigenspannung jedoch in die Gegenrichtung und vergrößert damit die Schwingung des Balkens – und damit das elektrische Signal des Sensors.

Um dieses Signal möglichst exakt auslesen zu können, integrierte das Forschungsteam in sein alternatives Sensorkonzept außerdem einen neuen Ansatz zur Rauschunterdrückung. Mit einer extrem schnellen Messung lassen sich gewissermaßen die einzelnen Signale zwischen dem Rauschen erfassen, so Erstautorin Mona Mintken aus der Arbeitsgruppe „Funktionale Nanomaterialien“.

Sensor mit eigener Stromversorgung

Dank der in den Sensoren verwendeten Elektrete lassen sich nicht nur niedrige Frequenzen besser messen. Ähnlich wie Permanentmagnete, die ohne Stromversorgung dauerhaft magnetisch sind, erzeugen auch Elektrete ihr permanentes elektrisches Feld selbst. „Der Elektret verleiht dem Sensor damit ein eingebautes elektrisches Potential. Der Sensor selbst benötigt somit keine externe Stromversorgung und kann für mobile Anwendungen eingesetzt werden“, erklärt Doktorand Stefan Schröder. Er forschte im Rahmen einer Kooperation drei Monate am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA, um die benötigten speziellen Elektretschichten weiter zu verbessern. Dafür nutzte er das sogenannte iCVD-Verfahren (initiierte chemische Gasphasenabscheidung), mit dem sich einzelne Materialschichten hochpräzise abscheiden lassen.

„Elektrete funktionieren wie eine Art Nanogenerator, der elektrische Energie erzeugt – und das theoretisch über zwanzig Jahre lang“, so Materialwissenschaftler Faupel. „Sensoren mit eigener Stromversorgung in diesen kleinen Dimensionen sind auch spannend für Anwendungen im Bereich ‚Internet of Things‘, die dezentrale, autark arbeitende elektronische Systeme vernetzen“, ergänzt Adelung.

Über den SFB 1261
Magnetfeldsensoren könnten die medizinische Diagnostik für Patientinnen und Patienten deutlich bequemer machen: Kontaktlose Messungen, ohne auf die Haut geklebte Elektroden wie bei einem EKG, ließen sich schneller und über einen längeren Zeitraum durchführen. Kontaktlos arbeitende Sensoren könnten außerdem während der Messung bewegt und so Veränderungen des magnetischen Signals exakt lokalisiert werden. Doch die magnetischen Signale des menschlichen Körpers sind verhältnismäßig schwach und werden leicht von anderen Signalquellen wie Mobiltelefonen oder dem Erdmagnetfeld überlagert. Neben Konzepten für besonders sensible, kleine Sensoren werden auch Techniken benötigt, um die Messdaten ohne störendes Rauschen auszulesen. Daran forschen im Sonderforschungsbereich 1261 „Magnetoelectric Sensors: From Composite Materials to Biomagnetic Diagnostics“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Materialwissenschaft, Physik, Elektrotechnik bis hin zu Biologie und Medizin. Dafür arbeiten sie mit Kompositmaterialien, die unter Einfluss eines Magnetfelds ein elektrisches Signal abgeben geben. Dafür kombinieren die Forschenden magnetisch aktive (magnetostriktive) und elektrisch aktive (piezoelektrische) Werkstoffe.

Weitere Informationen:
http://info.sfb1261.de

Bildmaterial steht zum Download bereit:
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/280-sensoren-1.jpg
Bildunterschrift: Marleen Schweichel und Stefan Schröder haben ein Sensorkonzept für niedrige Frequenzen entwickelt, das sich selbst mit Strom versorgt.
© Julia Siekmann, CAU

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/280-sensoren-2.png
Bildunterschrift: Beim Anlegen eines Magnetfelds schwingt der Biegebalken (grau) aus. Ein permanent elektrisch aufgeladener Elektret (blau) zieht den Balken an. So vergrößert sich seine Schwingung und damit das elektrische Signal des Sensors.
© Marleen Schweichel

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/280-sensoren-3.png
Bildunterschrift: Die neu entwickelten Sensoren können dank der eingesetzten Elektrete nicht nur niedrige Frequenzen um 140 Hz messen (rote Linie), sondern erzeugen auch eine deutlich höhere Amplitude als andere Sensorkonzepte.
© Marleen Schweichel

Kontakt:
Julia Siekmann
Wissenschaftskommunikation
Forschungsschwerpunkt Kiel Nano, Surface and Interface Science (KiNSIS)
Universität Kiel
Telefon: 0431/880-4855
E-Mail: jsiekmann@uv.uni-kiel.de
Web: http://www.kinsis.uni-kiel.de

Details, die nur Millionstel Millimeter groß sind: Damit beschäftigt sich der Forschungsschwerpunkt »Nanowissenschaften und Oberflächenforschung« (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Im Nanokosmos herrschen andere, nämlich quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Life Sciences zielt der Schwerpunkt darauf ab, die Systeme in dieser Dimension zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsbezogen umzusetzen. Molekulare Maschinen, neuartige Sensoren, bionische Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche Therapien und vieles mehr können daraus entstehen. Mehr Informationen auf www.kinsis.uni-kiel.de

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Rainer Adelung
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Arbeitsgruppe Funktionale Nanomaterialien
Telefon: +49 431 880-6116
E-Mail: ra@tf.uni-kiel.de
Web: https://www.tf.uni-kiel.de/matwis/fnano/de

Prof. Dr. rer. nat. Franz Faupel
Arbeitsgruppe Materialverbunde
Telefon: +49 431 880-6225
E-Mail: ff@tf.uni-kiel.de
Web: http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/matv


Originalpublikation:

Nanogenerator and piezotronic inspired concepts for energy efficient magnetic field sensors, Mona Mintken, Marleen Schweichel, Stefan Schröder, Sören Kaps, Jürgen Carstensen, Yogendra Kumar Mishra, Thomas Strunskus, Franz Faupel, Rainer Adelung, Nano Energy Volume 56, 2019, Pages 420-425
https://doi.org/10.1016/j.nanoen.2018.11.031


Weitere Informationen:

http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/280-sensoren/


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Energie, Informationstechnik, Maschinenbau, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW