17.05.2021 21:00
Neue Technologie bringt Tumor dazu, sich selbst zu eliminieren
Eine neue Technologie von UZH-Forschenden ermöglicht dem Körper, therapeutische Wirk-stoffe auf Abruf an genau der Stelle herzustellen, an der sie benötigt werden. Die Innovation könnte die Nebenwirkungen einer Krebstherapie reduzieren und dabei helfen, Covid-Behandlungen besser in die Lunge zu verabreichen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Forschende der Universität Zürich haben ein weit verbreitetes Atemwegsvirus, Adenovirus genannt, so modifiziert, dass es wie ein trojanisches Pferd funktioniert und Gene für therapeutische Wirkstoffe direkt in Tumorzellen transportiert. Im Gegensatz zur Chemo- oder Strahlentherapie schadet dieser Ansatz den normalen, gesunden Zellen nicht. In den Tumorzellen angekommen, dienen die gelieferten Gene als Vorlage für therapeutische Antikörper, Zytokine und andere Botenstoffe, die von den Krebszellen selbst produziert werden und den Tumor von innen heraus eliminieren.
Adenoviren unerkannt am Immunsystem vorbeischleusen
«Wir bringen den Tumor dazu, sich selbst zu eliminieren, indem wir seine Zellen veranlassen, therapeutische Wirkstoffe zu produzieren», sagt Postdoktorandin Sheena Smith, welche die Entwicklung des Ansatzes geleitet hat. Forschungsgruppenleiter Andreas Plückthun erklärt: «Die Wirkstoffe wie therapeutische Antikörper oder Botenstoffe bleiben an exakt der Stelle im Körper, an der sie gebraucht werden, anstatt sich im Blutkreislauf zu verteilen, wo sie gesunde Organe und Gewebe schädigen können.»
Die UZH-Forschenden nennen ihre Technologie SHREAD: für SHielded, REtargeted ADenovirus. Sie baut auf Schlüsseltechnologien auf, welche die Arbeitsgruppe Plückthun bereits zuvor entwickelt hat, um Adenoviren, die keine viralen Gene mehr tragen, am Immunsystem vorbei an ganz bestimmte Stellen im Körper zu lotsen.
Hohe Antikörper-Menge im Tumor, geringe Konzentration in anderen Geweben
Mit dem SHREAD-System brachten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Tumor in der Brust einer Maus dazu, einen zur Behandlung von Brustkrebs klinisch zugelassenen Antikörper namens Trastuzumab (Herceptin®) zu produzieren. Dabei fanden sie heraus, dass SHREAD nach einigen Tagen eine grössere Menge des klinischen Antikörpers im Tumor produzierte, als wenn das Medikament direkt injiziert wurde. Gleichzeitig war die Konzentration im Blutkreislauf und in anderen Geweben, in denen Nebenwirkungen auftreten können, deutlich geringer. Mithilfe eines ausgeklügelten, hochauflösenden 3D-Bildgebungsverfahren und transparent gemachtem Gewebe konnten sie zeigen, wie der im Körper produzierte therapeutische Antikörper Poren in Blutgefässen im Tumor erzeugt, dort Zellen zerstört und ihn so von innen heraus behandelt.
Einsatz zur Bekämpfung von Covid-19 wird untersucht
Plückthun, Smith und ihre Kollegen betonen, dass sich die SHREAD-Technologie nicht nur für die Bekämpfung von Brustkrebs eignet. Da gesundes Gewebe nicht mehr mit signifikanten Medikamentenmengen in Berührung kommt, ist die Technologie auch für die Verabreichung einer breiten Palette von sogenannten Biologika anwendbar – starke Medikamente auf Proteinbasis, die sonst zu toxisch wären.
So setzen die Mitglieder der Plückthun-Gruppe ihre Technologie derzeit in einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekt ein, das auf eine Covid-19-Therapie abzielt. Adenovirale Vektoren werden bereits in mehreren Covid-Impfstoffen verwendet, darunter jene von Johnson & Johnson, AstraZeneca, Chinas CanSino Biologics und Russlands Sputnik V — allerdings ohne SHREAD-Technologie. «Indem die SHREAD-Behandlung den Patienten über ein inhalatives Aerosol verabreicht wird, könnte unser Ansatz eine gezielte Produktion von Covid-Antikörpertherapien in Lungenzellen zulassen. Also da, wo sie am dringendsten gebraucht wird», erläutert Smith. «Damit liessen sich Kosten senken, die Zugänglichkeit von Covid-Therapien erhöhen und mit dem Inhalations-Ansatz auch die Verabreichung von Impfstoffen verbessern.»
——————
Finanzierung:
Die Arbeit wird unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds (Sinergia Grant 170929) und vom National Cancer Institute der NIH (F32CA189372). Das laufende Covid-Projekt wird unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds (NRP78, 198287).
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Andreas Plückthun
Biochemisches Institut
Universität Zürich
Telefon: +41 44 635 55 70
plueckthun@bioc.uzh.ch
Originalpublikation:
Smith, S. N., Schubert, R., Brücher, D., Simic, B., Schmid, M., Kirk, N., Freitag, P., Gradinaru, V. and Plückthun, A. The SHREAD gene therapy platform for paracrine delivery improves tumor localization and intratumoral effects of a clinical antibody as shown by PACT. PNAS. 17 May 2021. DOI: 10.1073/pnas.2017925118
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch