Neuer Ansatz zur Prävention sozialer Isolation



Teilen: 

23.09.2025 10:26

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Neuer Ansatz zur Prävention sozialer Isolation

In einer aktuellen Studie im European Journal of Epidemiology zeigen Laurenz Lammer und Veronica Witte vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, dass gängige Strategieansätze für die öffentliche Gesundheit, die sich auf besonders isolierte Menschen beschränken, womöglich einen großen Teil des präventiven Potentials größerer sozialer Integration verpassen.

Schwache soziale Beziehungen sind ein dringendes Problem der öffentlichen Gesundheit, aber es mangelt stark an fundierten Erkenntnissen darüber, welche Strategie bei Präventionsmaßnahmen verfolgt werden sollte. Die Wissenschaftler*innen um Laurenz Lammer haben in ihrer Analyse einen neuartigen Ansatz getestet und sogenannte gemischte additive Modelle verwendet, um die Zusammenhänge zwischen sozialer Isolation und den Auswirkungen auf die Gesundheit des Gehirns, die kognitiven Fähigkeiten und die psychische Gesundheit in einer bevölkerungsbasierten Stichprobe zu modellieren. „Wir haben insgesamt über 10.000 Teilnehmer*innen (Durchschnittsalter 58 Jahre, 53 % Frauen) zu Beginn der Studie untersucht und über 5500 Teilnehmer*innen (Durchschnittsalter 64 Jahre, 53 % Frauen) bei der Nachuntersuchung nach etwa sechs Jahren. Diese haben Gehirnmessungen mit 3Tesla MRTs durchlaufen, wir haben die kognitiven Funktionen mit umfangreichen neuropsychologischen Tests bewertet und die soziale Isolation und die psychische Gesundheit anhand etablierter Fragebögen gemessen. Dabei haben wir uns vor allem Depressionen und Angststörungen angeschaut.“, erklärt der Erstautor der Studie, Laurenz Lammer.
„Ein linearer Zusammenhang würde zum Beispiel sagen: Je weniger soziale Kontakte, desto häufiger treten depressive Symptome bei Menschen auf und je mehr, desto besser. Ein anderer, in der Medizin recht häufig verwendeter kategorialer Ansatz würde eher sagen, ob man nun zwei gute soziale Kontakte hat oder drei macht keinen großen Unterschied – sobald man unter einen kritischen Punkt kommt, geht die Kurve für Depressionen steil nach oben. Wir haben nun mit einem speziellen statistischen Modell geschaut, was uns die Daten über die Form des Zusammenhangs sagen. Wir konnten feststellen, dass die Anzahl sozialer Kontakte durchweg signifikante Vorhersagen für die Gesundheit des Gehirns, die kognitiven Fähigkeiten und die psychische Gesundheit zulässt. Was wir zum Beispiel an linearen Zusammenhängen gefunden haben: Je mehr soziale Kontakte die Personen hatten, desto größer waren auch ihre Hippocampi, also ihre Gedächtniszentralen im Gehirn. Insgesamt haben wir durchweg positive Auswirkungen sozialer Kontakte auf die Lebensqualität gefunden.“

Was bedeutet das nun für neue Strategien im Bereich der öffentlichen Gesundheit? Laurenz Lammer gibt einen Ausblick: „Es wird ja schon politisch versucht, gegen soziale Isolation und die Auswirkungen vorzugehen – wir haben uns gefragt, wie sollten wir das machen und können wir etablierte Theorien und Daten zusammenführen, um diese Frage zu beantworten. Es sieht so aus, dass wir mit der gängigen Strategie, bei der wir uns auf einzelne isolierte Menschen fokussieren, viel von dem Potential verpassen, das wir mit gesellschaftlichen Ansätzen hätten. Der derzeitige Fokus auf Interventionen auf individueller Ebene gegen soziale Isolation ist zumindest für die Prävention von Demenz, kognitivem Verfall, Angstzuständen und Depressionen wahrscheinlich nicht optimal. Im Gegenteil, wir weisen auf Interventionen auf Bevölkerungsebene hin, die darauf abzielen, soziale Verbindungen in der gesamten Gesellschaft zu fördern, als vielversprechendere Ansätze zur Prävention. Man könnte sich überlegen, wie können wir Strukturen in unserer Stadt oder auf dem Land so verändern, dass sie soziale Kontakte fördern. Was sind vielleicht kulturelle Faktoren, die wir fördern könnten, die mehr Miteinander bringen? Wie können wir Nachbarschaft gestalten, so dass sich Menschen sozial integrierter fühlen?“


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

PD Dr. Veronica Witte
Gruppenleiterin witte@cbs.mpg.de
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig

Dr. Laurenz Lammer
Medizindoktorand lammer@cbs.mpg.de
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig


Originalpublikation:

Laurenz Lammer, Frauke Beyer, Steffi Riedel-Heller, Julia Sacher, Heide Glaesmer, Arno Villringer, A. Veronica Witte
„Generalized additive mixed models to discern data-driven theoretically informed strategies for public brain, cognitive and mental health“
European Journal of Epidemiology


Weitere Informationen:

https://www.cbs.mpg.de/2403355/20250922


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW