10.02.2021 17:55
Neuer Ansatzpunkt für die Entwicklung einer medikamentösen Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes
Der im zentralen Nervensystem sitzende Rezeptor für das Hormon GIP spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Körpergewichts und der Nahrungsaufnahme. Das zeigen Untersuchungen des Helmholtz Zentrums München, der ETH Zürich und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Die jetzt in ‘Cell Metabolism’ erschienene Studie liefert neue Ansatzpunkte für die Entwicklung einer medikamentösen Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Medikamente mit gleichzeitiger Wirkung an den Rezeptoren für das Glukagon-ähnliche Peptid-1 (GLP-1) und das glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid (GIP) gelten als vielversprechende neue Wirkstoffe zur Behandlung von Übergewicht und Typ-2 Diabetes. Jetzt haben Forschende herausgefunden wie GIP das Körpergewicht senkt. GIP ist ein Hormon, welches im Verdauungstrakt gebildet wird. Nach der Nahrungsaufnahme stimuliert es die Ausschüttung von Insulin und senkt so den Blutzuckerspiegel. Das Hormon hat aber auch einen Effekt auf die Appetitregulation. Doch über welche Mechanismen und Organe GIP auf das Körpergewicht wirkt, ist noch nicht bekannt. Zudem war bislang unklar, ob der GIP-Rezeptor für die Senkung des Körpergewichtes aktiviert oder blockiert werden muss und welche Rolle das Gehirn bei der Wirkung von GIP spielt. „Ziel unserer Untersuchungen war es herauszufinden, ob dem GIP-Rezeptor im Gehirn eine besondere Bedeutung bei der Wirksamkeit von GIP zukommt“, erläutert Erst-Autorin Qian Zhang vom Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München.
GIP senkt das Körpergewicht durch eine über das Gehirn vermittelte Hemmung der Nahrungsaufnahme
Die Forschenden konnten zeigen, dass die Gabe von GIP bei Wildtyp-Mäusen das Körpergewicht und die Nahrungsaufnahme senkt, nicht aber bei Mäusen, welchen der GIP-Rezeptor im zentralen Nervensystem fehlt.
Wirkt das Hormon auf bestimmte Bereich im Gehirn? Um diese Frage zu beantworten, untersuchten die Forschenden die Hirnaktivität von Mäusen, bei denen durch Ernährung ein Diabetes ausgelöst wurde. „Dabei zeigte sich nach Gabe von GIP eine erhöhte neuronale Aktivität in Bereichen des Hypothalamus, die mit der Kontrolle des Appetits verbunden sind“, berichtet Christian Wolfrum von der ETH Zürich. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schließen daraus, dass die zentrale Regulierung der Nahrungsaufnahme durch GIP auch die Aktivierung wichtiger Neuronen im Hypothalamus einschließt.
Neue Ansatzpunkte für die Entwicklung einer medikamentösen Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes
Die neuen Erkenntnisse sind auch für die Entwicklung einer medikamentösen Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes von Bedeutung. Forschende des Helmholtz Zentrums München haben gemeinsam mit der Indiana University einen neuen therapeutischen Ansatz für Typ-2-Diabetes entwickelt. Sie kombinierten Hormone in einem einzigen Molekül, das gleichermaßen an den Rezeptoren der Hormone GLP-1 und GIP wirkt. Dieser duale Agonist senkt das Gewicht und verbessert die Blutzuckerwerte1. GLP-1/GIP Co-Agonisten befinden sich bereits in klinischen Studien der Phase 3. In klinischen Studien zeigte sich, dass GLP-1/GIP im Vergleich zur der alleinigen Gabe von GLP-1 das Körpergewicht stärker reduzierte.
„Diese deutlichen Unterschiede bei der Gewichtsabnahme sind jedoch nicht bei Mäusen zu sehen, denen der GIP-Rezeptor im zentralen Nervensystem fehlt“, sagt Timo Müller, Letztautor der neuen Studie und Leiter des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München. Hier reduzieren der GLP-1/GIP Co-Agonist und die Gabe von GLP-1 das Körpergewicht gleich stark. „Unsere Arbeiten zeigen zum ersten Mal, dass der GLP-1/GIP-Dual-Agonist den GIP-Rezeptor im Gehirn benötigt, um das Körpergewicht und die Nahrungsaufnahme zu senken“, erläutert Timo Müller. „Diese Erkenntnisse können dazu beitragen, neuartige Wirkstofftargets zu entwickeln, die die Signalgebung und -wirkung des GIP-Rezeptors verbessern. Das könnte helfen, die metabolischen Vorteile einer Behandlung mit GIP und GLP-1/GIP weiter zu steigern.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Timo Müller
Helmholtz Zentrum München
Institut für Diabetes und Adipositas
Ingolstädter Landstraße 1
D-85764 Neuherberg
Telefon: +49 89 3187-43278
Originalpublikation:
Qian Zhang et al.: The glucose-dependent insulinotropic polypeptide (GIP) regulates body weight and food intake via CNS-GIPR signaling. Cell Metabolism. DOI: https://doi.org/10.1016/j.cmet.2021.01.015
Weitere Informationen:
http://Finan, B. et al. (2013). Novel Unimolecular Dual-Incretins Maximize Metabolic Benefits in Rodents, Monkeys, and Humans. Science Translational Medicine, DOI: 10.1126/scitranslmed.3007218
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
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