07.04.2021 14:00
Neurokognitive Defizite nach einer COVID-19-Erkrankung spiegeln ausgedehnte Funktionsstörungen der Hirnrinde wider
Mit Abklingen der akuten Phase einer SARS-CoV-2-Infektion leiden viele Patienten unter neurologisch-kognitiven Defiziten. Eine Studie [1] konnte nun mit einer speziellen Bildgebungstechnik, der 18FDG-PET ([18F]Fluordesoxyglucose-Positronenemmissions-Tomografie), eine Verminderung des Glukosestoffwechsels im Gehirn nachweisen, die mit solchen neurokognitiven Defiziten assoziiert ist. Die Arbeitsgruppe publizierte auch Ergebnisse eines Follow-ups [2] von acht Patienten der Originalstudie. Hier zeigte sich im Verlauf eine signifikante Besserung der Kognition sowie eine weitgehende Normalisierung des Hirnstoffwechsels – wobei aber nach sechs Monaten noch kein Normalniveau erreicht war.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Im Verlauf der SARS-CoV-2-Pandemie zeigt sich zunehmend, welche neurologischen Manifestationen die Erkrankung mit sich bringen kann. Neben schweren akuten neurologischen Komplikationen wie beispielsweise Schlaganfällen sind inzwischen auch zahlreiche Folgeerscheinungen und Defizite bekannt, die nicht nur bei schweren Verläufen auftreten. Die Beschwerden können schon früh während der Infektion beginnen und deutlich über die akute Erkrankungsphase hinaus bestehen bleiben.
PD Dr. Jonas Hosp, Leiter der Post-COVID Ambulanz der Neurologie der Universitätsklinik Freiburg, und sein Team führten während der ersten Pandemie-Welle in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. Philipp T. Meyer, dem Ärztlichen Direktor der Nuklearmedizin der Universitätsklinik Freiburg, eine prospektive Studie bei stationär behandelten COVID-19-Patienten durch. Die Patienten wurden systematisch gescreent, auffällige neurologische und kognitive Befunde erfasst und nach möglichen nachweisbaren Ursachen gesucht. In die Studie wurden Patienten eingeschlossen, die mindestens ein neu aufgetretenes neurologisches oder neurokognitives Defizit aufwiesen, wie z.B. einen gestörten Geruchs- oder Geschmackssinn, weniger als 26/30 Punkte im kognitiven MoCA-Test („Montreal Cognitive Assessment“) und/oder pathologische Befunde bei der klinisch-neurologischen Untersuchung. Ausschlusskriterien waren vorbestehende kognitive Defizite, neurodegenerative Erkrankungen oder eine ausschließliche Behandlung auf der Intensivstation.
Patienten mit mindestens zwei neu aufgetretenen neurologischen Symptomen wurden in der subakuten Phase (unmittelbar nach abgeklungener Infektiosität) zusätzlichen Untersuchungen unterzogen. Dazu gehörten umfassende neuropsychologische Tests, eine zerebrale Kernspintomographie und eine 18FDG-PET, einem etablierten Verfahren in der zerebralen Funktionsdiagnostik (z.B. in der Demenz-Diagnostik). Das Molekül 18FDG wurde vom Traubenzucker (Glukose) abgeleitet, welcher der einzige Energielieferant des Gehirns ist. Durch die schwach radioaktive Markierung mit einem 18Fluor-Atom kann die regionale Aufnahme und Metabolisierung von 18FDG als Marker des Glukosestoffwechsels gemessen werden. Mittels der PET entstehen so dreidimensionale Bilddatensätze der Hirnfunktion, die sich wiederum mit gesunden Menschen gleichen Alters vergleichen lassen, um Rückschlüsse auf Funktionsstörungen in bestimmten Hirnregionen zu ziehen.
Von 41 gescreenten COVID-19-Patienten wurden 29 in das klinikinterne Neuro-COVID-19-Register aufgenommen (65,2 ± 14,4 Jahre; 38% Frauen). Die häufigsten neurologischen Störungen betrafen den Geruchs- (25/29) und Geschmackssinn (29/29). 18/26 Patienten hatten im MoCA-Test auffällige Ergebnisse (mittlerer Score 21,8/30 Punkten), wobei insbesondere frontoparietale Funktionen betroffen waren (z. B. Gedächtnis, Exekutivfunktionen und Visuokonstruktion). Insgesamt 26/29 Patienten zeigten mehr als ein Symptom, sodass weitere Untersuchungen erfolgten. Bei 15 Patienten erfolgte eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung, in der die Defizite im MoCA-Test bestätigt werden konnten. In der 18FDG-PET konnte bei 10/15 Patienten in frontoparietalen Hirnregionen (Stirn- und Scheitellappen) ein verminderter Glukosestoffwechsel (Hypometabolismus) nachgewiesen werden. Statistische Analysen zeigten eine hohe Korrelation der MoCA-Testwerte mit der Ausprägung der Stoffwechselerniedrigung in genannten Hirnregionen. Bei einer verstorbenen Patientin, die das charakteristische Muster des zerebralen Glukose-Hypometabolismus zeigte, ergab die Untersuchung postmortaler Gewebeproben eine deutliche Aktivierung von Mikroglia-Zellen (das sind immunaktive, phagozytierende Zellen im Nervensystem) vor allem in der weißen Substanz, wohingegen die kortikale graue Substanz relativ wenig betroffen war. Dies deutet darauf hin, dass die kortikalen Funktionen vor allem indirekt gestört waren.
„Bei einem Großteil von Patienten, die wegen einer akuten COVID-19-Erkrankung stationär behandelt werden mussten, konnten in der subakuten Phase definierte kognitive Beeinträchtigungen festgestellt werden“, fasste PD Dr. Jonas Hosp zusammen. „Die Befunde passen zu dem im 18FDG-PET sichtbar verminderten Glukosestoffwechsel, d. h. einer regionalen Leistungseinschränkung in den entsprechenden Bezirken der Großhirnrinde.“
Die Arbeitsgruppe publizierte bereits Ergebnisse eines Follow-ups [2] von acht Patienten der Originalstudie. Im Verlauf kam es zu einer signifikanten Besserung der neurokognitiven Defizite, die mit einer weitgehenden Normalisierung des Hirnstoffwechsels einherging. Die neurokognitiven Beeinträchtigungen korrelierten also mit dem Grad der Verminderung des Glukosemetabolismus, so dass dieser als Biomarker für kognitive Post-COVID-Symptome herangezogen werden könnte. „Als erfreuliches Ergebnis lässt sich festhalten: die kognitiven Einschränkungen sind per se reversibel. Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass einige Betroffenen auch sechs Monate nach der Akuterkrankung noch kein Normalniveau erreicht hatten, die vollständige Wiederherstellung der Gesundheit also in einigen Fällen langwierig zu sein scheint“, so PD Dr. Hosp.
„Diese Befunde belegen, dass neurokognitive Probleme nach einer COVID-19-Erkrankung eine messbare Ursache haben. Um das gesamte Ausmaß besser zu verstehen und den Post-COVID-Verlauf unter Therapie beurteilen zu können, sind nun prospektive Follow-up-Studien notwendig “, ergänzt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Literatur
[1] Hosp JA, Dressing A, Blazhenets G et al. Cognitive impairment and altered cerebral glucose metabolism in the subacute stage of COVID-19. Brain 2021; https://academic.oup.com/brain/advance-article/doi/10.1093/brain/awab009/6209743
[2] Blazhenets G, Schröter N, Bormann T et al. Slow but evident recovery from neocortical dysfunction and cognitive impairment in a series of chronic COVID-19 patients. Journal of Nuclear Medicine March 2021, jnu-med.121.262128; https://jnm.snmjournals.org/content/early/2021/03/31/jnumed.121.262128
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Originalpublikation:
https://doi.org/10.1093/brain/awab009
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